Die aktuelle Kolumne
Vom lokalen Kontext ausgehen
Wie der Globale Flüchtlingspakt erfolgreich umgesetzt werden kann
Dick, Eva / Markus RudolfDie aktuelle Kolumne (2019)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 16.12.2019
Bonn, 16.12.2019. Das <link https: www.unhcr.org global-refugee-forum.html>Globale Flüchtlingsforum, das vom 16. bis zum 18. Dezember 2019 in Genf stattfindet, steht ganz im Zeichen des von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2018 beschlossenen <link https: www.unhcr.org gcr gcr_english.pdf>Globalen Flüchtlingspaktes (Global Compact on Refugees, GCR) und des darin enthaltenen Umsetzungsrahmens, dem <link https: www.unhcr.org comprehensive-refugee-response-framework-crrf.html>Comprehensive Refugee Response Framework (CRRF). Die Vereinbarungen sehen vor: Erstens den Druck auf Aufnahmegemeinden von Flüchtlingen zu verringern; zweitens die Eigenständigkeit Geflüchteter zu verbessern; drittens ihnen einen besseren Zugang zur Umsiedlung in (wohlhabenderen) Ländern außerhalb des Erstaufnahmelandes zu bieten und viertens Bedingungen in den Herkunftsländern für eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde zu schaffen.
Die internationale Staatengemeinschaft hat mit dem GCR auf höchster Ebene einen überfälligen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik festgeschrieben. Viele Krisen und Konflikte kehren zyklisch wieder; zahlreiche Fluchtsituationen dauern über Jahrzehnte an. Diese Realitäten erfordern eine stärkere Verzahnung von kurzfristiger Nothilfe und langfristiger Entwicklungszusammenarbeit. Insbesondere in afrikanischen und asiatischen Ländern leben Geflüchtete vor allem in räumlich abgeschiedenen Lagern, ohne Zugang zu nationalen Arbeitsmärkten, sozialen Dienstleistungen und Interaktionsmöglichkeiten mit der aufnehmenden Gesellschaft. Dies führt für sie zu Perspektivlosigkeit und Abhängigkeit von Hilfsleistungen der aufnehmenden Länder oder internationaler Geber. <link https: cms.emergency.unhcr.org documents>Alternativen zur Unterbringung in Camps zu identifizieren ist daher ein erklärtes Ziel des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR).
Es ist mittlerweile unumstritten, dass die lokale Ebene, das heißt sub-nationale Regierungs- und Verwaltungseinheiten sowie zivilgesellschaftliche Gruppen für die Integration von Geflüchteten bedeutsam ist. Allerdings werden lokale Erfahrungen in der globalen Politik noch immer zu wenig wahrgenommen und berücksichtigt. Dies trifft insbesondere auf Kommunen in Ländern des globalen Südens zu. Dabei finden die meisten <link https: www.unhcr.org figures-at-a-glance.html>der globalen Flüchtlingsbewegungen ebendort statt. So suchen etwa laut einer <link https: www.worldbank.org en news feature>Studie der Weltbank die über 4,6 Millionen Menschen, die zwischen 2016 und 2018 aus Venezuela geflohen sind, hauptsächlich in den umliegenden Ländern Zuflucht. Dort halten sie sich vor allem in städtischen Räumen auf, <link http: passthrough.fw-notify.net download documents.worldbank.org curated en pdf>in Peru beispielsweise im Ballungsraum Lima-El Callao. Daher, so die Autor*innen der Weltbank-Studie, sei es dringlich, die lokale Bevölkerung und Entscheidungsträger*innen von den Vorteilen insbesondere der Arbeitsmarktintegration der (oftmals qualifizierten) Geflüchteten zu überzeugen.
Undifferenzierte Überzeugungsarbeit über Vorteile der Integration von Geflüchteten im Sinne der <link https: blog.fluchtforschung.net mehr-stadt-verstehen>Übertragung ‚globaler Blaupausen‘ genügt allerdings nicht. Denn lokale Voraussetzungen für den Umgang mit Flucht sind sehr unterschiedlich. Dies zeigt auch eine vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und Bonn International Center for Conversion (BICC) durchgeführte Forschung zur <link briefing-paper article from-global-refugee-norms-to-local-realities-implementing-the-global-compact-on-refugees-in-kenya>lokalen Umsetzung des Flüchtlingspakts in der Turkana Region in Kenia: Neben denjenigen, die inoffiziell in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und anderen Städten des Landes leben, hält sich der Großteil der Geflüchteten (circa 350.000 Menschen) in einem der beiden großen Flüchtlingscamps Kukuma und Dadaab im ariden Nordwesten beziehungsweise Osten des Landes auf. Als Pilotland zur Umsetzung des CRRF hat sich die kenianische Regierung jedoch dazu verpflichtet, die bislang strikte und von Sicherheitsbedenken geprägte Lagerpolitik zu lockern und die Eigenständigkeit und gesellschaftliche Integration der Geflüchteten zu stärken.
Eine Kernmaßnahme dafür bildet die Pilotsiedlung Kalobeyei für die Integration der Geflüchteten mit der ortsansässigen Bevölkerung in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flüchtlingscamp Kakuma. Im migrationspolitisch restriktiven Kenia ist sie bisher eine erfolgreiche Ausnahme. Die Siedlungsplanung geht auf eine ursprüngliche Initiative der Lokalregierung zurück, die das Potenzial der Geflüchteten – sie haben teils einen höheren Bildungshintergrund und landwirtschaftliche Kenntnisse – für die lokale Entwicklung erkannt hatte. Darüber hinaus sah die Regierung die Anwesenheit der internationalen Geber als vorteilhaft für die lokale Wirtschaft, auch über die Siedlungsgrenzen Kalobeyeis hinaus. Mit der Aussicht, dass alle gemeinsam von der Entwicklung profitieren können, hat sie auch die lokale Bevölkerung davon überzeugt, ein Stück Land zur Verfügung zu stellen.
Kalobeyei ist ein Lehrstück darin, dass die Umsetzung globaler Flüchtlingspolitik wesentlich von Wahrnehmungen und Interessenslagen lokaler Akteure abhängt. Diese sollten daher stärker in globale Politikdiskurse und -prozesse eingebunden werden. Die Entwicklungspolitik kann dies unterstützen, indem sie etwa den Erfahrungsaustausch zwischen Kommunen aus dem Globalen Süden und Norden (weiter) fördert. Auf lokaler Ebene kann sie wichtige Beiträge leisten durch erstens gebietsbezogene Ansätze (area-based approaches), die von kontextspezifischen Chancen und Herausforderungen ausgehen, zweitens partizipative Siedlungs-, Flächennutzungs- und Infrastrukturplanung zusammen mit der geflüchteten und lokalen Bevölkerung, und drittens Unterstützung kommunaler Verwaltungen beim Integrationsmanagement und lokaler Dienstleistungsversorgung.
<link eva-dick>Eva Dick ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Programm „Transformation politischer (Un-)Ordnung“ am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
<link https: www.bicc.de about staff staffmember member>Markus Rudolf ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Vertreibung, Friedens- und Konfliktforschung und ethnische Gewalt am Internationalen Konversionszentrum Bonn - Bonn International Center for Conversion (BICC)