Die aktuelle Kolumne

15 Jahre nach dem Internationalen Jahr der Mikrokredite

Was wir Neues über Kleinstkredite wissen

Sommer, Christoph
Die aktuelle Kolumne (2020)

German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 12.10.2020

Fast auf den Tag genau vor 14 Jahren wurde Muhammad Yunus, der als Begründer der Mikrokredite gilt, als Friedensnobelpreisträger des Jahres 2006 benannt. In seiner Preisrede unterstrich er die Rolle kleiner Kredite in der Armutsbekämpfung. Ein Jahr zuvor hatten die Vereinten Nationen das Internationale Jahr der Mikrokredite ausgerufen. Diese Ereignisse haben dem Finanzinstrument große Beachtung in der Öffentlichkeit beschert. Seitdem ist das Mikrofinanzwesen weitergewachsen, in einigen Ländern durch schwere Krisen gegangen und sowohl medial als auch in der Wissenschaft unter Druck geraten. Das alte Narrativ um Mikrokredite gilt nicht mehr, da das Instrument seine Grenzen in der Armutsbekämpfung zeigt: Es muss in eine größere Entwicklungsstrategie eingebettet werden.

Die Vergabe von Mikrokrediten und anderen Finanzdienstleistungen an Menschen, die keinen Zugang zu konventionellen Banken haben, begann im Jahr 1983 in Bangladesch mit der Gründung der Grameen Bank durch den Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus. Obwohl das Konzept in zahlreichen Ländern kopiert wurde, war um die Jahrtausendwende eine rigorose Wirkungsmessung nur bedingt möglich. Die öffentliche Wahrnehmung wurde vor allem von anekdotischen Erzählungen geprägt: Dass kleine Kredite ärmere Personen befähigten ihre Geschäftsideen zu verwirklichen und damit ihren Weg aus der Armut zu gehen. Der marktbasierte Ansatz mit dem Versprechen einer doppelten Dividende (ökonomisch und sozial), fand großen Anklang unter Gebern und wurde durch Zuwendungen und subventionierte Kredite gefördert. Mikrofinanz wuchs auf über 211 Millionen Kreditnehmer*innen weltweit und entwickelte sich von einem NGO-dominierten zu einem profitorientierten Sektor, bei dem einzelne Mikrofinanzinstitutionen sogar an die Börse gingen. Die Kommerzialisierung des Mikrofinanzsektors sorgte für eine beachtliche Verbreitung und Verfügbarkeit von Mikrokrediten, führte in verschiedenen Ländern aber auch zu schweren Krisen mit Überschuldung, Kreditausfällen und meist drastischen sozialen Folgen. Hohe Wellen schlugen beispielsweise Nachrichtenbeiträge über die Entwicklungen in Indien als 2010/11 Mikrokreditnehmer*innen den Suizid als einzigen Ausweg aus ihrer Schuldenspirale sahen.

Randomisiert kontrollierte Studien (RCTs) ermöglichten in den 2010er-Jahren eine verlässliche Wirkungsmessung, die weder die vielversprechenden Anekdoten noch die scharfe Kritik von Mikrofinanzgegnern unterstützte. RCTs aus verschiedenen Ländern zeigen, dass der durchschnittliche Effekt auf unternehmerische Aktivitäten sehr moderat ist.  Es gibt positive Effekte auf Investitionen in langlebige Güter wie Werkzeuge und einfache Maschinen, und teilweise auch auf Unternehmensgröße und Profite. Allerdings stellen sich keine dauerhaften Veränderungen im Einkommens- oder Konsumniveau auf Haushaltsebene und dadurch auch keine transformativen Effekte auf Bildung, Gesundheit, Teilhabe von Frauen oder subjektives Wohlbefinden ein. Nach heutigem Wissensstand scheiden Mikrokredite also als Instrument zur Armutsbekämpfung aus. Dennoch gibt es eine Daseinsberechtigung aus ökonomischer und entwicklungspolitischer Sicht: Zum einen ermöglichen Mikrokredite mehr Selbstbestimmung und Sicherheit für ärmere Haushalte durch größere Freiheiten in der Berufswahl und das Ausgleichen von Einkommensschwankungen. Zudem schneiden Mikrokredite im Vergleich zu anderen Entwicklungsinstrumenten in Kosten-Nutzen-Analysen relativ gut ab, so dass Subventionen im Mikrofinanzbereich gerechtfertigt werden können, auch wenn die Effekte klein sein mögen.

Aktuelle DIE Forschung zu kleinen und mittleren Unternehmen, betrachtet unter anderem Mikrofinanz im größeren Kontext des nationalen Finanzsystems. Dabei zeigt sich, dass ein starker Mikrofinanzsektor den Zugang zu ausreichend großen Krediten für erfolgreiche kleine Unternehmen verschlechtern kann. Der Grund ist, dass für diese Unternehmen Mikrokredite zu niedrig, aber höhere Kredite bei konventionellen Banken nicht verfügbar sind. Unter anderem weil Banken nicht „downscalen“, das heißt keine geeigneten Finanzinstrumente für diese Unternehmen entwickeln, da starke Mikrofinanzinstitutionen dieses Marktsegment und die damit verbundenen Profitmargen einengen. Eine unbeabsichtigte Folge von Mikrofinanz ist also, dass gerade erfolgreiche kleine Unternehmen, die aufgrund ihres Wachstums wichtige Impulse für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die lokale wirtschaftliche Entwicklung setzen, durch Finanzierungsengpässe ausgebremst werden.

Deshalb gilt es den Mikrofinanzsektor in eine größere Strategie für die Finanzsystementwicklung einzubetten. Beispielsweise können funktionierende Kreditbüros, denen auch Mikrofinanzinstitutionen zur Meldung verpflichtet sind, für kleine Unternehmen den Übergang von Mikrofinanz zu einem Anschlusskredit im konventionellen Finanzsystem erleichtern. Mikrofinanzinstitutionen leisten einen wichtigen Beitrag, da der Zugang zu Finanzdienstleistungen für ärmere Menschen mehr Selbstbestimmung und Sicherheit im Alltag schafft. Allerdings müssen wir uns der Grenzen von Mikrokrediten bewusst sein: Um transformative Effekte und Fortschritte in der Armutsbekämpfung zu erzielen, braucht es soziale Sicherung und umfassendere Programme wie beispielsweise „multi-faceted programs“, die neben Mikrofinanzdienstleistungen auch Training, Coaching, und einmalige Zuwendungen beinhalten.

Über den IDOS-Autor

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