Die weltweite Nahrungskrise: Wird die EU ihrer Verantwortung gerecht?

Veranstaltungsart
Bonner Impulse

Ort / Datum
Bonn, 14.10.2008

Veranstalter

Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), European Association of Development Research and Training Institutes (EADI), Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO)

Die hohen Nahrungsmittelpreise der letzten Monate haben das Thema Ernährungssicherung nach langer Zeit wieder in den Mittelpunkt der Weltpolitik gerückt. Hunger, Armut, Inflation und politische Destabilisierung waren in vielen Entwicklungsländern die Folge. Die Ursachen der Krise sind komplex und in ihrem Ausmaß unklar. Diese Gemengelage macht es schwierig, geeignete Gegenmaßnahmen zu identifizieren und umzusetzen. Sicher ist, dass es ohne nachhaltige Verbesserung und Stabilisierung der weltweiten Ernährungslage keine nachhaltige Entwicklung geben wird, und auch Vieles schon sicher Geglaubte in Frage gestellt werden könnte.

Der Welternährungstag am 16.10. war ein konkreter Anlass, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Fokus war die Politik der EU. In vielen für die Ernährungssicherheit relevanten Bereichen wie Landwirtschaft, Energie, Handel, Umwelt, Klima und Entwicklungspolitik spielt die EU eine zentrale Rolle. Wie steht die EU zur Ernährungskrise, welche Erklärungen hat sie, wo trägt sie selber Verantwortung? Welche Maßnahmen will sie ergreifen, was kann sie erreichen, was überschreitet ihre Möglichkeiten, stimmt das Paket? 

Diesen und anderen Fragen ging die Podiumsdiskussion der Bonner Impulse am 14. Oktober nach. Dazu waren drei Experten eingeladen: Michael Brüntrup vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), David Matern vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WEP) und Dr. Rafaël Schneider von der Deutschen Welthungerhilfe. 

Die Diskussion hatte drei Ausgangspunkte, die sich in unterschiedlicher Gewichtung in den Eingangsstatements der Podiumsteilnehmer wieder fanden: 1) Die Gründe für die jüngste Nahrungsmittelkrise, die genau genommen als eine Krise hoher Nahrungsmittelpreise gewertet wurde , 2) die Verantwortung der EU für die Krise, sowie 3) die Maßnahmen der EU zur Bewältigung der Krise und die Frage, inwieweit diese Maßnahmen adäquat und ausreichend sind. Alle Experten waren sich einig, dass viele Ursachen der Krise weit über den Verantwortungsbereich der EU hinausgehen. Dazu gehören das anhaltende Bevölkerungswachstum, die Urbanisierung in Entwicklungsländern, die steigende Nachfrage nach tierischen Nahrungsmitteln, die hohen Erdöl- und Energiepreise, Fehlernten in wichtigen Exportländern über eine Reihe von Jahren, Spekulation und politische Maßnahmen in vielen Entwicklungsländern zur Beschränkung von Nahrungsmittelexporten. 

Allerdings war sich die Runde ebenso darüber einig, dass die EU in manchen Bereichen dazu beigetragen hat, die Krise auszulösen, zu verschärfen bzw. die Folgen in Entwicklungsländern stärker spürbar zu machen. Dazu gehört die gemeinsame Agrarpolitik der EU, die seit Jahrzehnten die Weltmarktpreise für Agrarprodukte drückt und damit Eigenanstrengungen vieler Entwicklungsländer untergräbt, die eigene Agrarproduktion zu fördern. Die in den letzten Jahren beobachtete Umstellung von produktionsgebundener Preis- auf ungebundene Einkommensstützung macht EU-Agrarsubventionen zwar in der Klassifikation der Welthandelsorganisation handelsneutral und damit statthaft, stellt aber immer noch eine klare Benachteiligung der Produzenten des Südens dar, die selten über solche Förderung verfügen. Auch die andauernde Abschottung der EU-Agrarmärkte führt zu niedrigen Weltmarktpreisen und benachteiligt die Produzenten des Südens. Eindeutig negativ wurde auch bewertet, dass die Förderung des Agrarsektors in der Entwicklungszusammenarbeit der EU seit langem rückläufig ist. Es wurde gefordert, wieder stärker in die Landwirtschaft und in die ländlichen Räume zu investieren. Allerdings ist das nur möglich, wenn sich auch die Entwicklungsländer ihrer Verantwortung stellen und den Agrarsektor wieder stärker ins Zentrum ihrer Wirtschafts- und Armutsbekämpfungspolitiken stellen. Speziell für arme Konsumentenhaushalte wurde der Aufbau bzw. die Stärkung von sozialen Sicherungssystemen gefordert, damit sie höhere Nahrungsmittelpreise verkraften können. Der Agrarsektor sollte nicht die alleinige Verantwortung für die Nahrungssicherheit übernehmen. 

Es wurde angesprochen, ob nicht die Nahrungsmittelhilfe der EU in einigen Fällen ebenfalls zu einer Vernachlässigung der lokalen Agrarproduktion in den Empfängerregionen geführt habe. Für die Unterstützung des WEP in Äthiopien wurde dies verneint – in Regionen, die über lange Jahre Nahrungsmittel erhalten haben, hat sich die Selbsthilfefähigkeit verbessert. Es wurde betont, dass eine sorgfältige Planung und Koordination für den Übergang von Nothilfe über Rehabilitierung hin zu langfristiger Entwicklungshilfe nötig ist, und dass durch eine bessere und langfristige Verzahnung von lokalem Aufkauf und entsprechender Produktionsförderung die Entwicklungswirkung von Nahrungsmittelhilfe noch weiter verbessert werden kann. Positiv wurde vermerkt, dass die EU schon seit längerem ihre Nahrungsmittelhilfe von Sach- auf Geldleistung umgestellt hat, wodurch der lokale Aufkauf prinzipiell möglich ist und zunehmend auch praktiziert wird. 

Die deutlichsten Unterschiede in der Einschätzung der Rolle der EU gab es im Bereich der Biokraftstoffe. In jüngerer Zeit hat die massive weltweite Förderung von Bioenergie dazu geführt, dass die Nachfrage nach Agrarprodukten insgesamt angezogen ist. Dies hat sicherlich zur Erhöhung der Nahrungspreise beigetragen. Das hat Beobachter wie Jean Ziegler, den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, dazu veranlasst, Biokraftstoffe als Verbrechen gegen die Menschenrechte zu qualifizieren.

Hinweis

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Veranstaltungsinformation

Datum / Uhrzeit

14.10.2008 / 18:30

Ort

Haus der Geschichte