Die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf globale Entwicklung: welche (Führungs-) Rolle hat Europa?
Veranstaltungsart
Bonner Impulse
Ort / Datum
Bonn, 10.03.2009
Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), European Association of Development Research and Training Institutes (EADI), Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO)
Die Finanz- und Wirtschaftskrise beherrscht die Nachrichtenwelt und Regierungen übertreffen sich gegenseitig mit Ideen und Maßnahmen, um die Krise einzudämmen.
Am 10. März 2009 verfolgten über 120 Teilnehmer die Diskussion im Rahmen der Veranstaltungsreihe Bonner Impulse zur Frage, welche Rolle Europa in der Krise zukommt. Es diskutierten Prof. Dr. Dirk Messner vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Dr. Sebastian Paust von InWEnt - Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH, Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath vom Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO e.V.) mit Moderator Andreas Becker von der Deutschen Welle.
Prof. Dr. Dirk Messner wies in seinem Eingangsvortrag darauf hin, dass parallel zur Wirtschaftskrise auch die Klimakrise und die Ernährungskrise verlaufen, die ebenfalls keinen Aufschub dulden. Zudem würden die Einbrüche in den Entwicklungsländern weit größer ausfallen als in den Industrieländern. Erforderlich sei also eine klima- und ressourcenschonende Weltwirtschaft. Messner skizzierte vier Punkte, die die Bedeutung Europas hervorheben: (1.) 60 % der Investitionen in Entwicklungsländern kommen aus der EU; (2.) Europa ist Protagonist und technisch führend in Klimaschutztechnologien wie z. B. Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz-Technologien; (3.) Europas Erfahrung in multinationaler Zusammenarbeit; und (4.) die lange und wichtige Erfahrung grenzüberschreitender Kooperationen.
Dr. Sebastian Paust unterstrich, dass die Wirtschaftskrise mittlerweile in Asien brutaler angekommen sei als in den Industrieländern und zu massiven Exporteinbrüchen und Abzug von Direktinvestitionen führe. Den Staaten brechen auch dadurch Einnahmen weg, da viele Asiaten im Ausland infolge der Krise ihren Arbeitsplatz verlieren und damit die Summe der Rücküberweisungen sinkt. . In der Folge dieser Entwicklung sieht Paust eine massive Erhöhung der Armut, massiven Wertverlust und einen um sich greifenden Zweifel an den Philosophien und Entwicklungskonzepten der Industrieländer.
Prof. Dr. h.c. Christa Randzio-Plath erinnerte daran, dass schon aus der Asienkrise von 1997 keine Konsequenzen gezogen wurden und dass der Markt nur bedingt Lösungen für die Wirtschaftskrise liefern kann. Sie plädiert für eine neue Führungsrolle der Nationalstaaten wenn es um die Regulierung der Finanzmärkte geht und besonders der Vereinten Nationen, „die ein System finden müssen, das den Menschen nützt“.
Bei der Frage nach einer grundsätzlichen Diskussion über die Finanzsysteme wurde deutlich, dass es bisher kein Gremium gibt, das die Rolle eines Kontrollsystems übernehmen könnte. Messner betonte: „Alle bisherigen Aufsichtssysteme haben nicht funktioniert“. Randzio-Plath kritisierte, dass die EU einerseits für ihren Regelungswahn bekannt ist, es aber für Finanzprodukte kaum Vorschriften gibt. Einig sind sich alle Diskussionsteilnehmer darin, dass den Europäern erst dann mehr Gewicht zukommt, wenn Europa endlich als einheitlich gestaltender Akteur auftritt und mit einer Stimme spricht.
Sind angesichts der Auswirkungen der Wirtschaftskrise die Millennium Development Goals (MDGs) überhaupt noch bis 2015 zu erreichen? In dieser Frage stimmten alle Teilnehmer überein: Die MDGs aufzugeben wäre eine Bankrotterklärung und zugleich eine humanitäre Katastrophe und würde in vielen Ländern auch die politische Stabilität gefährden. Doch mit welchen Mitteln und Gremien man die Wirtschaftskrise in den Griff bekommen kann ist kontrovers. Auch aus dem Publikum kam die Frage, welche Empfehlung man den Entwicklungsländern denn geben könne, welchem Gremium sie Vertrauen schenken sollten. Paust glaubt, dass der Vertrauenseinbruch nicht mit entwicklungspolitischen Mitteln bewältigt werden kann. Die Vereinten Nationen sind für ihn ebenfalls nicht der richtige Rahmen. Er hält die G20 unter Einbeziehung der internationalen Bankensysteme für die breiteste und beste Alternative und sieht die sozial-ökologische Markwirtschaft Europas als beispielhaft. Demgegenüber tritt Randzio-Plath für einen Weltwirtschaftsrat für soziale und ökonomische Fragen ein und forderte ein Nachdenken über neue Institutionen. Messner warf ein, dass ein Weltwirtschaftsrat einer Änderung der UN-Charta bedürfe und ebenso wie die Einrichtung neuer Institutionen viel zu lange dauern würde. „Die Finanzordnungsfrage muss um die G20 stattfinden“, so Messner. Die Vereinten Nationen seien derzeit nicht in der Lage die momentanen Probleme zu lösen, eine Reform der UN sei dringend notwendig und diese müsse von der G20 angestoßen und vorangetrieben werden.
Auf die Schlussfrage des Moderators Andreas Becker, was im Rückblick hätte besser gemacht werden können, gab es unterschiedliche Antworten: Randzio-Plath: „Rechtzeitiger für mehr Multilateralität sorgen“, Messner: „Besser zuhören, sich selbst nicht zu wichtig nehmen, nicht zu paternalistisch sein und Tacheles reden“. Paust: „Mehr Good Governance.“
Alle sehen in der derzeitigen Wirtschaftskrise aber auch die Chance, einen Umbau der Wirtschaftsstrukturen einzuleiten.
Hinweis
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Veranstaltungsinformation
Datum / Uhrzeit10.03.2009 / 17:00
OrtHaus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, 16:00 - 18:00 Uhr