Arbeiten zu (Wissens-)Kooperation bedeutet Arbeiten in Kooperation
Arbeiten zu (Wissens-)Kooperation bedeutet Arbeiten in Kooperation
Transnationale Wissenskooperation wird immer wichtiger – im Kontext der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und bei der Bewältigung globaler Krisen wie der aktuellen Pandemie. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) mit seinem Netzwerk Managing Global Governance (MGG) hat ein besonderes Interesse an der Rolle von transnationalen Wissensakteur*innen und Wissensgemeinschaften, die den globalen Wandel erforschen und gestalten.
Gemeinsame Expertise für gesellschaftlichen Wandel entwickeln
Wenn wir uns für transnationale Zusammenarbeit einsetzen, müssen wir zunächst über ihre historischen Altlasten nachdenken: Unsere Welt ist von postkolonialen Ungleichheiten geprägt, die den Zugang zu Wissen, wissenschaftlichen Infrastrukturen, und Fachgebieten bestimmen, und die auch die Anwendung unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wissens begrenzen. Gleichzeitig haben jahrelange Bemühungen um ‚Wissenstransfer‘ in der Entwicklungszusammenarbeit gezeigt, wie begrenzt dessen Möglichkeiten sind, wenn die zu transferierende Expertise nicht im jeweiligen lokalen Kontext mitentwickelt wurde, in dem sie zu transformativen Veränderungen beitragen soll. Die gemeinsame Entwicklung von Expertise für gesellschaftlichen Wandel ist daher der Ausgangspunkt des MGG-Netzwerks.
Globale Gerechtigkeit ist ein integraler Bestandteil von Nachhaltigkeit. Der Modus der Zusammenarbeit kann bestehende Ungleichheiten verstärken oder Fairness in der Zusammenarbeit fördern. Im MGG-Netzwerk bemühen sich die Partner um Zusammenarbeit für den gemeinsamen Wissensaufbau zur Umsetzung der Agenda 2030. Darüber hinaus zielt die Kooperation im Netzwerk auch darauf ab, systemische globale Ungleichheiten zu überwinden, die über die international vereinbarten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) hinausgehen. Daher strebt das MGG-Netzwerk eine gleichberechtigte und faire Zusammenarbeit an, die die Vielfalt der Partner und Perspektiven anerkennt und fördert. Im Weiterbildungsprogramm MGG Academy heißt Kooperation statt bloßem Nord-Süd-Wissenstransfer, gemeinsam Defizite und Erfolge der aktuellen nachhaltigen Entwicklung, ihre Governance oder die Rollen verschiedener Akteure rund um den Globus zu reflektieren. Moderator*innen, Dozent*innen und Teilnehmer*innen pflegen einen respektvollen Dialog und kollegialen Austausch – aufbauend auf gegenseitiger Wertschätzung und gefördert durch interaktive, integrative und partizipative Methoden.
Wissenskooperation bedeutet auch Wertekooperation
Normative Grundlage für die Zusammenarbeit sind geteilte menschliche Werte: die Sicherung einer nachhaltigen, gerechten Zukunft auf einem gemeinsamen Planeten; kurz, die Förderung des globalen Gemeinwohls. In der Kooperation werden Werte vermittelt, neu definiert und verhandelt. Zusammenarbeit erfordert gemeinsame Werte, stärkt und bekräftigt sie aber auch. Wissenskooperation für globale nachhaltige Entwicklung bedeutet also auch Wertekooperation.
Vor diesem Hintergrund ist ein erstes Kooperationsprinzip von MGG, nachhaltige Entwicklung im Sinne der Agenda 2030 und den SDGs als gemeinsame Verantwortung aller Länder zu verstehen. Als Partner des globalen Nordens im Netzwerk versteht sich das DIE als gleichrangiger Partner im Dialog und bei der Schaffung von Wissen, der Suche nach Lösungen und gegenseitigem Lernen.
Die Machtverteilung im gegenwärtigen Wissenschaftssystem verzerrt die Sicht, indem sie im globalen Norden entstandenes Wissen in der empirischen Forschung und Theorieentwicklung priorisiert und protegiert. Ziel von MGG ist es, diese Wissenshierarchien abzubauen: Netzwerkarbeit zwischen Süden und Norden bedeutet folglich, den Zugang zu Publikationen, Herausgeber*innen und Ressourcen zu teilen und damit den Zugang zum globalen Wissen(schaft)ssystem – als zweites MGG-Prinzip – zu verbessern. Die Veröffentlichung kurzer, oft politikorientierter Beiträge oder gemeinsam herausgegebener Sammelbände, die von Autor*innen aus dem Süden (mit-)verfasst und (mit-)herausgegeben werden, ist eine Möglichkeit, unterschiedliche globale Perspektiven in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und im politischen Dialog abzubilden, die Barrieren des Wissenssystems zu überwinden und bestehende Hierarchien in Frage zu stellen.
Ungleichheiten in der globalen Wissensproduktion anerkennen
Als drittes Kooperationsprinzip führt MGG Dialoge mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure. Komplexe Ziele wie globale nachhaltige Entwicklung zu erreichen ist wissensintensiv. Damit Wissen transformativ werden kann, muss es kontextbezogen und relevant sein. Um dies zu gewährleisten, benötigen verschiedene gesellschaftliche Gruppen, wie politische Entscheider*innen, Forscher*innen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft, Schnittstellen. Das MGG-Netzwerk stellt nötige Räume zur Verfügung, um unterschiedliche Meinungen zu diskutieren und Gemeinsamkeiten zu finden. Die Produktion von handlungsrelevantem Wissen darf nicht voreingenommen sein. Sie sollte unterschiedliche Typen von Wissen einbeziehen und gleichzeitig akademische Standards für eine evidenzbasierte Wissensproduktion einhalten. In verschiedenen Arbeitssträngen von MGG ist der Austausch zwischen verschiedenen Akteur*innen und Sektoren daher gängige Praxis, zum Beispiel in der Initiative zur Stärkung der Kapazitäten des öffentlichen Sektors bei der Umsetzung der Agenda 2030. In transnationalen Workshops diskutieren Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik und öffentlicher Verwaltung, wie Nachhaltigkeit in die Lehrpläne von Verwaltungshochschulen integriert werden kann, damit zukünftige Mitarbeiter*innen des öffentlichen Dienstes über das notwendige transformative Wissen verfügen.
Die alltägliche Praxis der Zusammenarbeit ist oft komplexer als die Theorie, sogar in lang gewachsenen Kooperationsnetzwerken wie MGG. Reflexivität ist hier der Schlüssel: Sie beginnt damit, die Ungleichheiten in der globalen Wissensproduktion anzuerkennen. Ein solcher Ausgangspunkt ermöglicht ein gemeinsames Nachdenken über Rollen, Positionen und Privilegien im System sowie über gemeinsames Wissen, Normen, Werte und partnerschaftliche Ideale. Auf dem Weg zu globaler Nachhaltigkeit ist Fairness in der Kooperation unerlässlich. Fragen zur Kooperation lassen sich am besten in Kooperation beantworten.
Die Autor*innen
Dr. Anna Schwachula ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm „Inter- und Transnationale Zusammenarbeit“, Cluster Wissenskooperation, am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Sie arbeitet zur Rolle von Wissenskooperation und Wissenschaftspolitik für nachhaltige Entwicklung aus einer soziologischen Perspektive.
Prof. Dr. Paulo Esteves ist Assoziierter Professor am Institut für internationale Beziehungen der Päpstlichen Katholischen Universität von Rio de Janeiro, Direktor des BRICS Policy Centers und Senior Research Fellow am Institute of Advanced Sustainability Studies in Potsdam (IASS) in Potsdam.
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