Armut, Ungleichheit und Wohlbefinden
Forscher des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitk (DIE) haben neue Erkenntnisse zur Konstruktion von Armuts- und Ungleichheitsindices und Auswahl von Armutsdimensionen geliefert. Insbesondere wurde der "Correlation Sensitive Poverty Index" (CSPI) entwickelt, der im Gegensatz zu UNDP's "Multidimensional Poverty Index" (MPI) Ungleichheit und Korrelationen zwischen Armutsdimensionen erfasst, sowie ein Pro-Poor Growth Index, der auf der Umverteilungskomponente von Änderungen im Armutsgefälle basiert und misst, ob die Armen überproportional vom Wachstum profititieren. Damit trägt das Projekt zur besseren Messung von Armut, Ungleichheit und Wohlbefinden bei, wobei es Theorie, statistische Genauigkeit und politische Legitimität verbindet.
Projektleitung:
Nicole Rippin
Projektteam:
Tilman Altenburg
Francesco Burchi
Markus Loewe
Mario Negre
Daniele Malerba
Nicole Rippin
Finanzierung:
Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
Zeitrahmen:
2010 - 2020
/
Abgeschlossen
Kooperationspartner:
Department of Development Economics, University of Göttingen; Department of Economics, Roma Tre University; World Bank’s Development Research Group on concepts and operationalization of pro-poor growth
Projektbeschreibung
Amartya Sen's Nobelpreis-gekrönter Capability Approach hat die Art und Weise, wie wir Wohlbefinden und Armut konzeptionalisieren und somit messen, revolutioniert. In diesem konzeptionellen Rahmenwerk werden Wohlbefinden und Armut nicht länger als eindimensionale Phänomene betrachtet, die in Form von mangelndem Einkommen (oder Konsum) gemessen werden. Tatsächlich ist der Einkommensansatz zunehmend in Kritik geraten, da insbesondere arme Menschen häufig nur wenig Möglichkeit haben, ihre Bedürfnisse monetär zu befriedigen. Das gilt insbesondere für öffentliche Güter wie Gesundheit oder Bildung. Sen's Ansatz überwindet dieses Problem, indem er sich direkt auf Capabilites konzentriert, d.h. das, was Menschen in der Lage sind zu tun und zu sein. Um die relevanten Dimensionen von Wohlbefinden in einer Gesellschaft zu identifizieren, haben Forscher am DIE den "Constitutional Approach" entwickelt. Da diese Methode auf nationalen Verfassungen aufbaut - sofern diese bestimmte Kriterien erfüllen - ist davon auszugehen, dass die daraus resultierenden Dimensionen eher gesellschaftlich akzeptiert und von politischen Entscheidungsträgern verwendet werden. Zugleich betont Amartya Sen die Bedeutung von Ungleichheit. Und dennoch wird Ungleichheit von einigen der einflussreichsten Armuts- und Pro-Poor Growth Indices nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. UNDP's "Multidimensional Poverty Index" (MPI), ein Index der auf dem Capability Approach beruht, ist ein gutes Beispiel dafür, da er weder Ungleichheit noch die Korrelationen zwischen Armutsdimensionen berücksichtigt. Die Antwort des DIE auf diese Schwächen ist Rippin's "Correlation Sensitive Poverty Index" (CSPI), der die nützlichen Eigenschaften des MPI teilt, aber zusätzlich Ungleichheit sowie die Korrelationen zwischen den Armutsdimensionen erfasst. Ein anderes Beispiel für die unzureichende Berücksichtigung von Ungleichheit kann in der Pro-Poor Growth Debatte gefunden werden. Wachstum, das Armut reduziert, wird oft als pro-poor bezeichnet - unabhängig davon, ob die Armen davon mehr profitieren als die Nicht-Armen. DIE-Forschung in Kooperation mit der Weltbank hat zu der Entwicklung eines Pro-Poor Growth Index geführt, der ökonomisches Wachstum nur dann als pro-poor betrachtet, wenn es disproportional denjenigen unterhalb der Armutsgrenze zugute kommt. Der Index konzentriert sich darauf, wie Veränderungen in der Verteilung das Armutsgefälle beeinflussen und erlaubt durch die Verbesserung herkömmlicher Methoden eine Beurteilung, ob ökonomisches Wachstum über einen gegebenen Zeitraum pro-poor war und, falls ja, wie stark es pro-poor war.
Im folgenden werden einige der Forschungsfragen gelistet, die in dem Projekt bearbeitet werden:
1. Wie sollte Armut in Zukunft gemessen werden? Inwiefern ändern sich Gestalt und Ausmaß globaler Armut mit unterschiedlichen Armutsmaßen? Was sind die politischen Implikationen?
2. Wie können Dimensionen von Wohlbefinden und Armut besser ausgewählt werden? Wie sollten sie gewichtet werden? Wie können zukünftige Haushaltsbefragungen modifiziert werden um bislang fehlende Dimensionen zu erfassen? Wie sollten Fragen generell formuliert werden, um nicht nur Aufschluss über erreichte "functionings", wie z.B. wohlgenährt zu sein, zu geben, sondern darüber hinaus auch über "capabilities", wie z.B. die Möglichkeit, wohlgenährt zu sein?
3. Angesichts der derzeitigen Post-2015 Debatte bietet der Capability Approach ein einzigartiges Rahmenwerk um Wohlbefinden und Armut nicht nur in armen, sondern auch in wohlhabenden Ländern zu analysieren. Welches sind die spezifischen Entscheidungen, die Forscher treffen müssen, um diese Phänomene in wohlhabenden Gesellschaften zu messen? Was können wir von der Erfahrung von deutlich fortschrittlicheren Datensätzen wie dem deutschen Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) hinsichtlich der Aufnahme fehlender Dimensionen, der Wahl von Indikatoren und der Formulierung von Capability-Fragen lernen? Wie sieht Armut in OECD-Ländern wie Deutschland oder Italien aus? Was sind die Hauptunterschiede zu Entwicklungsländern?
4. Bezogen auf die Einkommensdimension, inwiefern waren Länder in der Lage, ökonomisches Wachstum in Armutsreduktion zu übersetzen, das als pro-poor bezeichnet werden kann? Wie korrelieren die Ergebnisse mit anderen Dimensionen und makroökonomischen Indikatoren um zu erklären, was die Determinanten einer solchen progressiven Transformation waren? Ist es möglich, diese einkommensbasierte Methode auf den multidimensionalen Ansatz auszuweiten?
5. Aus einer Pro-Poor Growth Perspektive, und angesichts des von deutscher Seite unterstützten Weltbankziels die globale extreme Armut bis zum Jahr 2030 auf 3% zu reduzieren, welche Art struktureller Transformation benötigen Länder, um die notwendigen Veränderungen in der Einkommensverteilung vorzunehmen, die angesichts der inhärenten Unsicherheit von Wirtschaftswachstum - insbesondere in einer Zeit ökologischer Einschränkungen - erforderlich sind? Wie verhält sich dies zum derzeitigen Diskurs gemeinsamen Wohlstands, der sich auf das Wachstum der unteren 40% der Einkommensverteilung konzentriert?
Publikationen
- Transforming our world, achieving a sustainable development model: the 2030 Agenda and the EU
With contributions by Roberto Bissio / Carles Casajuana / Koen De Feyter / Lelio Iapadre / Markus Loewe / Fabiana Maglio / Annalisa Prizzon / Liliana Rodrigues / Sahar T. Rad(2017)
in: Conny Reuter / Ernst Stetter (eds.), Progressive lab for sustainable development: from vision to action, Brussels: Foundation for European Progressives Studies / SOLIDAR / Group of the progressive alliance of the Socialist and Democrats in the European Parliament, 15-29 - A review of the literature on well-being in Italy: a human development perspective
Burchi, Francesco / Chiara Gnesi(2016)
in: Forum for Social Economics 45 (2-3), 170-192 - Measuring human development in a high-income country: a conceptual framework for well-being indicators
Burchi, Francesco / Pasquale De Muro(2016)
in: Forum for Social Economics 45 (2-3), 120-138 - Multidimensional poverty in Germany: a capability approach
Rippin, Nicole(2015)
Forum for Social Economics (Special Issue: Capability Approach and Multidimensional Well-being in High-income Countries) DOI: 10.1080/07360932.2014.995199 - Translating an ambitious vision into global transformation: the 2030 agenda for sustainable development
Loewe, Markus / Nicole Rippin (eds.)(2015)
Discussion Paper 7/2015 - Die Millenium Developement Goals: 15 Jahre Erfahrung mit einem internationalen Zielsystem
Loewe, Markus(2015)
in: Adrian Amelung / Carina Fugger (Hrsg.), Entwicklungspolitik auf dem Prüfstand: Stellschrauben für Post-2015 Development Goals, Köln: Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln, 15-20 - An appropriate approach: interview with Markus Loewe
Loewe, Markus(2015)
in: Development and Co-operation (D+C) 42 (8), 18-20 - Safety nets: an underresearched topic
Loewe, Markus(2015)
in: Development and Co-operation (D+C) 42 (9), 36 - Post 2015: eine Chance für soziale und ökologische Entwicklung
Loewe, Markus / Carmen Richerzhagen(2014)
in: Jahresbericht 2013-2014: 50 Jahre Brücken bauen zwischen Theorie und Praxis, Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), 36-39 - 千年发展目标与可持续发展目标 ——人类发展目标同全球公共产品目标的结合? [Millennium Plus oder Sustainable Development Goals: Wie lassen sich Ziele der menschlichen Entwicklung mit Zielen für globale öffentliche Güter miteinander kombinieren?]
Loewe, Markus(2015)
in: Thomas Fues / Jiang Ye (eds.), 联合国2015年后全球发展议程研究——中国与欧洲的视角 [The United Nations post-2015 agenda for global development: perspectives from China and Europe], Shanghai, 143-163 - Millennium Plus or Sustainable Development Goals: how to combine human development objectives with targets for Global Public Goods?
Loewe, Markus(2014)
in: Global Review 2/2014 - MDGs and SDGs: are the concepts compatible?
Loewe, Markus(2014)
in: Global Compact International Yearbook 2014, 10-15 - World development agenda after 2015: merging human with sustainable development
Loewe, Markus(2014)
published on The Diplomatist (India) 8/2014 - Which dimensions should matter for capabilities?A constitutional approach
Burchi, Francesco / Pasquale De Muro / Eszter Kollar(2014)
in: Ethics and Social Welfare 8 (3), 233-247 - Children’s multidimensional health and medium-run cognitive skills in low- and middle-income countries
Burchi, Francesco(2014)
Oxford Univ.: Young Lives (Working Paper 129) - Stoppt die Verteilungsungerechtigkeit – jetzt!
Rippin, Nicole(2014)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 30.09.2014) - Inequality in the monetary and functionings spaces: the case of Peru under the first Garcia government (1985-1990)
Burchi, Francesco / Andrea Passacantilli(2013)
in: Journal of International Development 25 (3), 340–361 - A review of the literature on well-being in Italy: a human development perspective
Burchi, Francesco / Chiara Gnesi(2013)
Roma Tre University (Departmental Working Paper of Economics 175) - Considerations of efficiency and distributive justice in multidimensional poverty measurement
Rippin, Nicole(2013)
Göttingen, Univ., Diss. - Progress, prospects and lessons from the MDGs
Rippin, Nicole(2013)
(Background Research Paper for the Report of the High Level Panel on the Post-2015 Development Agenda) - Universal agenda on the multiple dimensions of poverty
Pogge, Thomas / Nicole Rippin(2013)
(Background Research Paper for the Report of the High-Level Panel on the Post-2015 Agenda) - Nachhaltigkeitsziele – auch für Deutschland!
Rippin, Nicole(2013)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 26.09.2013) - Lasst keinen zurück! Mobilisierungsversuch für das Tabuthema Ungleichheit
Rippin, Nicole(2013)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 09.09.2013) - Globale Armutsstrukturen im Wandel
Loewe, Markus / Nicole Rippin(2012)
Analysen und Stellungnahmen 7/2012 - Changing global patterns of poverty
Loewe, Markus / Nicole Rippin(2012)
Briefing Paper 3/2012 - Kann die Europäische Union Ungleichheit in Entwicklungsländern bekämpfen?
Furness, Mark / Mario Negre(2012)
Analysen und Stellungnahmen 17/2012 - Can the EU confront inequality in developing countries?
Furness, Mark / Mario Negre(2012)
Briefing Paper 14/2012 - Gedanken zum Europatag 2012: wo bleibt die Bekämpfung von Ungleichheit bei der EU-Entwicklungspolitik?
Negre, Mario / Mark Furness(2012)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 07.05.2012) - Distributional justice and efficiency: integrating inequality within and between dimensions in additive poverty indice
Rippin, Nicole(2012)
Göttingen: Univ. Göttingen (CRC-PEG Discussion Paper 128) - Operationalising the capability approach: a multidimensional correlation sensitive poverty index for Germany
Rippin, Nicole(2012)
(CRC-PEG Discussion Paper 132) - Armut im Wohlfahrtsstaat Deutschland: Mythos oder Realität?
Rippin, Nicole(2012)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 12.11.2012) - Wachstum für alle?
Rippin, Nicole(2012)
in: Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (27/28), 45-51 - Die Weltbank sagt: die weltweite Armut hat sich seit 1990 halbiert – wirklich?
Rippin, Nicole(2012)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 19.03.2012) - Was ist Armut? Der Correlation Sensitive Poverty Index (CSPI)
Rippin, Nicole(2012)
in: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) , Jahresbericht 2011-2012: Brücken bauen zwischen Theorie und Praxis, 24-27 - A response to the weaknesses of the Multidimensional Poverty Index (MPI): the correlation Sensitive Poverty Index (CSPI)
Rippin, Nicole(2011)
Briefing Paper 19/2011 - Entwicklungspolitik, Armutsbekämpfung und Millennium Dvelopment Goals
Loewe, Markus(2010)
in: Jörg Faust / Susanne Neubert (Hrsg.), Wirksamere Entwicklungspolitik: Befunde, Reformen, Instrumente (Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik 8), Baden-Baden: Nomos Verl.-Ges., 101–135 - Pro-poor growth: concepts and operationalisation; case ctudy: Honduras
Negre, Mario(2010)
World Institute for Development Economics Research (Working Paper 47) - Poverty severity in a multidimensional framework: the issue of inequality between dimensions
Rippin, Nicole(2010)
Göttingen: Courant Research Centre 'Poverty, Equity and Growth' (Discussion Papers 147) - Kampf der Armut
Rippin, Nicole(2008)
in: Entwicklung und Zusammenarbeit 49 (4), 160-161 - Wissenschaftler diskutieren "Pro-Poor-Growth"
Rippin, Nicole(2008)
in: E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit 4/2008, 160-161 - Kann die EU Entwicklungsländern bei der Bekämpfung von Ungleichheit helfen?
Furness, Mark / Mario Negre(2012)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 08.10.2012 ) - Indian economy in the era of contemporary globalisation: some core elements of the balance sheet
Jha, Praveen / Mario Negre(2007)
Economic Research Foundation - Verteilungsgerechtigkeit in der Armutsmessung
Rippin, Nicole(2015)
in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65 (10), 47-54