The Current Column

Wutbürger im Unterhaus – Die Steuermoral von Internet- und Lifestylefirmen auf dem Prüfstand

Wiemann, Jürgen
The Current Column (2012)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 17.12.2012)

Bonn, 17.12.2012. Wer London zum ersten Mal besucht, sollte nicht versäumen, einen Blick in das älteste Parlament der Welt zu werfen. Nur mit Glück allerdings wird man gerade dann eine spannende Debatte erleben. Aber das lässt sich im Zeitalter des Internet jederzeit nachholen. Man muss gar nicht mehr nach London reisen, um die in ihrer Dynamik ganz eigentümlichen Unterhausdebatten zu erleben. So konnte man vor einigen Monaten die peinliche Befragung des berühmt-berüchtigten Zeitungsverlegers Rupert Murdoch und seiner Entourage zu den unappetitlichen Abhörpraktiken der von ihm kontrollierten Regenbogenpresse verfolgen, und am 12. November 2012 wurde eine <link http: www.parliamentlive.tv main _blank>Anhörung im Haushaltsausschuss des Unterhauses zur anschaulichen Lehrstunde über die steuerpolitische Schattenseite der Globalisierung.

Zwei Stunden lang wurden Firmenvertreter von Starbucks, Amazon und Google zu den Strategien und Tricks befragt, mit denen es ihren Unternehmen trotz umfangreicher und ständig zunehmender Aktivitäten im Vereinigten Königreich gelingt, ihre Steuerlast auf „Peanut“-Niveau zu drücken. Auch in den deutschen Medien wurde darüber berichtet, dass ausgerechnet Unternehmen, deren Kunden wir alle sind, so wenig Steuern zahlen. In Zeiten der globalen Finanzkrise und immer angespannterer Staatshaushalte muss das die Haushälter auf den Plan rufen. Wenn umsatzstarke Firmen wie Amazon oder Starbucks nicht nur vergleichsweise wenig Steuern zahlen, sondern darüber hinaus noch die gesamte Steuerbasis verkleinern, indem sie bodenständige Konkurrenten vom Markt verdrängen, also Buchhandlungen und Kaffeehäuser, die sich der normalen Besteuerung nicht entziehen können, sollte jeder aufhorchen und seine Einkaufsgewohnheiten überprüfen.

Trotzdem ergab die Anhörung keine eindeutige Verurteilung der befragten Firmen. Die Sprecher beteuerten, dass ihre Firmen kein Unrecht begingen, wenn ihre Gewinne durch strategische Standortwahl dort anfielen, wo die Steuersätze besonders günstig seien. Auf jeden Fall würden die Steuergesetze aller Länder eingehalten, in denen die Unternehmen tätig sind. Mit Ausnahme der Firma Google, die von Bermuda aus Royalties für die unternehmensinterne Nutzung des geistigen Firmeneigentums ein- und damit der höheren Besteuerung in den USA entzieht, wo es zugegebenermaßen erzeugt wird, halten sich die befragten Unternehmen zugute, dass sie keine Zuflucht zu exotischen Steueroasen nähmen. Allerdings offenbarte der Sprecher von Starbucks den verblüfften Abgeordneten, dass die niederländische Regierung seiner Firma mit einem speziellen Abkommen, dessen Inhalt er nicht preisgeben dürfe, erhebliche Steuervorteile einräume. Steueroasen findet man also nicht nur auf exotischen Inseln, sondern mitten in Europa.

Auf der anderen Seite wirken die Abgeordneten bei allem detektivischen Spürsinn doch ein wenig hilflos, so als würden sie zum ersten Mal mit den eigentlich bekannten Steuerstrategien multinationaler Unternehmen konfrontiert. Die erkennbar wütende Ausschussvorsitzende Margaret Hodgewirft den Firmen gar vor, dass ihre internationalen Kosten- und Gewinnverschiebungen zwar nicht ungesetzlich, aber doch unmoralisch seien („not illegal, but immoral“). Doch dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage, denn die OECD-Länder, und allen voran Großbritannien, haben sich immer zum Wettbewerb bei den nationalen Steuersystemen bekannt und damit genau die Unebenheiten zwischen den nationalen Steuersystemen gerechtfertigt, die von den weltweit operierenden Unternehmen zum eigenen Vorteil genutzt werden.

Am Ende bleibt den Abgeordneten nur noch, mit der Boykottmacht der verärgerten Konsumenten zu winken. Den Anstoß dazu könnte ja die Fernsehübertragung und Internetaufzeichnung geben. Von den befragten Unternehmen wäre Starbucks womöglich am leichtesten zu treffen, siehe Shell-Boykott vor einigen Jahren. Als in New York die Occupy Wall Street-Aktivisten eine benachbarte Starbucks-Filiale als Koordinationsbüro in Beschlag nahmen, konnte man erleben, wie schnell mit Hilfe von Facebook und Twitter eine Occupy Starbucks-Kampagne losgetreten werden kann. Um so einer Kampagne in London zuvorzukommen, hat Starbucks inzwischen eingelenkt und angekündigt, seine ins Kreuzfeuer der Kritik geratene Steuerkonstruktion zu „überarbeiten“. Trotzdem gab es Anfang Dezember die ersten Go-ins in Londoner Filialen, und es wird ernsthaft darüber spekuliert, wie stark der Image-Verlust die Starbucks-Umsätze im kommenden Jahr treffen wird. Und die Hälfte der Engländer erklärt, dass sie in diesem Jahr auf Weihnachtseinkäufe bei Amazon verzichten wollen.

Für Entwicklungsexpertinnen und -experten sind die Offenbarungen der Firmen über ihre Steuerpraktiken nichts Neues. Entwicklungsländer und ihre Fürsprecher in den UN-Organisationen und der internationalen Zivilgesellschaft klagen schon lange über die Steuervermeidungsstrategien multinationaler Unternehmen. Die Wettbewerbsverzerrung gegenüber einheimischen Unternehmen der Gastländer ergibt sich nicht nur aus ihrer schieren Größe, sondern daraus, dass sich nationale Unternehmen nicht in gleicher Weise der Besteuerung entziehen können wie ihre multinationalen Konkurrenten. Doch hat diese Kritik nicht viel mehr erzeugt als eine Reihe wirkungsloser internationaler Deklarationen. Das dürfte in Zukunft anders werden, je mehr sich auch die OECD-Länder als Opfer der Steuervermeidung durch multinationale und ganz besonders durch Internetunternehmen wahrnehmen. Und der Zusammenhang zwischen Steuerflucht und Verschuldungskrisen südeuropäischer Länder ist ja offensichtlich.

Die aktuellen Offenbarungen der Internet- und Lifestylefirmen – und dazu gehören noch mehr als die am 12. November in London angehörten – über ihre strategische Nutzung von Steueroasen und Steuerwettbewerb zwischen OECD-Ländern könnten nun endlich eine Phase verstärkter Kooperation auf europäischer und auf multilateraler Ebene einleiten. So versprechen der deutsche Bundesfinanzminister Schäuble und sein britischer Kollege Osborne in einer gemeinsamen Erklärung, der Steuervermeidung von Internetunternehmen einen Riegel vorzuschieben. Auch die G20 hat sich des Themas angenommen und ist dabei, eine gemeinsame Front von OECD-Ländern und Entwicklungsländern gegen Steuerflucht und Steueroasen zu schmieden. Wir sollten die Politiker beim Wort nehmen und darauf achten, welche Taten diesen Worten im nächsten Jahr folgen werden. Diese Geschichte ist noch lange nicht zu Ende, sie fängt gerade an spannend zu werden…

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