The Current Column

Regeln vs. Deals

Politik für eine regel-basierte multipolare Welt

Hornidge, Anna-Katharina / Axel Berger
The Current Column (2025)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 24.02.2025

Bonn, 24. Februar 2025. Deutschland hat gewählt. Die Bildung einer Koalition zwischen CDU/CSU und SPD ist möglich und damit die Chance auf relativ stabile Regierungsverhältnisse. Dieser Lichtblick sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gut 20 Prozent der Wähler*innen einer Partei ihre Stimme gegeben haben, die aufgrund ihrer rechtsextremen Ausrichtung unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, die europäische Integration in Frage stellt und Deutschland näher an Russland heranführen möchte.

Die Herausforderungen für die neue Regierung könnten kaum größer sein. Spätestens seit der Rede von US-Vizepräsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz und den direkten Verhandlungen der USA mit Russland ist klar: die regelbasierte internationale Ordnung als Grundlage einer multipolaren Welt ist ernsthaft bedroht. Anti-demokratische Kräfte arbeiten systematisch und transnational-organisiert an ihrer Destabilisierung. Die Alternative jedoch, eine Ordnung, die auf bilateralen ‚Deals‘ und die Macht des Stärkeren beruht, läuft auf die Aufteilung der Welt in Einflusssphären hinaus – inklusive einer möglichen Zunahme destruktiver Konkurrenzen und Eskalationsspiralen.

In den kommenden vier Jahren muss die Bundesregierung, als treibende Kraft in Europa, ihr volles Gewicht für die Sicherung der regel-basierten Ordnung in die Waagschale werfen. Dies umfasst substanzielle Investitionen in Deutschlands und Europas Sicherheit wie auch eine umfassende Partnerschaft mit der Ukraine. Gleichermaßen bedarf es gezielter Investitionen in nachhaltige Entwicklung, Demokratisierung und Konfliktprävention, um vertrauensvolle, strategische und friedenssichernde Allianzen mit gleichgesinnten Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens zu ermöglichen.

Wir sehen fünf Leitprinzipien zum Schutz der regel-basierten, statt ‚deal‘-basierten, Ordnung:

  1. Strukturelle Gründe und Ursachen (‚root-causes‘) sozialer und politischer Polarisierung abbauen. Deutschlands Kooperationsfähigkeit hängt von gesellschaftlicher Unterstützung ab. Es bedarf der gezielten Förderung politischer und ökonomischer Teilhabe und gesellschaftlicher Gestaltungsmacht marginalisierter Gruppen. Investitionen in sozialen Zusammenhalt nach innen sollten unterstützt werden durch den Schutz gegen anti-demokratische, polarisierende Einflussnahme von außen.
  2. Multilateralismus stärken. Die erfolgreichen Reformen der Weltbank zeigen, dass Multilateralismus nach wie vor möglich ist. In der UN gilt es, die Lücken, die durch den Rückzug der USA entstehen, zügig – und an der Stelle von beispielsweise China – zu füllen. Die 2030 Agenda und die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele stellen gerade in einer Zeit, in der die regel-basierte Ordnung inklusive der Menschenrechts-Charta offen in Frage gestellt werden, ein zentrales Referenzdokument für Zukunftsgestaltung dar. Deutschland und Europa sollten sich mit hohem Engagement für sie und für eine ambitionierte Folgeagenda einsetzen.
  3. Abhängigkeiten von globalen Machtzentren reduzieren. Dies gilt zunächst für die militärische Abhängigkeit von den USA. Europa und Deutschland müssen sich in dem Maße emanzipieren, dass sie sich auch ohne die USA gegen Russland verteidigen können, inklusive einer glaubwürdigen nuklearen Abschreckung. Gleichzeitig gilt es, ein Primat der militärischen Verteidigung zu vermeiden. Es gilt auch, einseitige Abhängigkeiten in strategisch kritischen Feldern zu reduzieren. Hierzu zählen neben Energie insbesondere die Bereiche kritische Rohstoffe und Digitalisierung.
  4. Strategische, vertrauensvolle Partnerschaften gezielt ausbauen. Nicht ‚trotz allem‘, sondern: jetzt erst recht. Dort, wo multilaterale Kooperation nicht möglich ist, sollte Deutschland in minilateralen Allianzen mit gleichgesinnten (demokratischen) Mittel- und Regionalmächten arbeiten. Sich weiterhin in die G7 und G20 einzubringen ist in unserem nationalen Interesse. Zur Sicherung globaler Gemeingüter muss Deutschland zusätzlich, und gezielt themen-spezifisch, mit den Schwergewichten der multipolaren Welt kooperieren: neben den USA, vor allem China und Indien.
  5. Europas Nachbarschaftsregionen gezielt stabilisieren und stärken. Insbesondere in Subsahara Afrika, dem Nahen Osten, aber auch in Ost-Europa und Zentralasien, wirken die Folgen des Klimawandels, Armut, fehlende Einkommensmöglichkeiten und der mangelnde Zugang zu Gesundheitsversorgung, teils weiter verschärft durch externe Kräfte, destabilisierend. Der USAID-Aderlass wird insbesondere die Flüchtlingslager und Gesundheitssysteme in Subsahara Afrika stark treffen. Europa und Deutschland sind klug beraten, hier kurzfristig mit humanitärer Hilfe einzugreifen, sowie mittel- bis längerfristig strukturbildend nachhaltige Entwicklung sicherzustellen.

Diskussionen über Ressortzuschnitte sind vor Wahlen und in Koalitionsverhandlungen beliebt, sie verdecken aber die eigentliche Herausforderung: Deutschlands außen-gerichtete Politiken müssen sehr viel besser verzahnt und koordiniert werden. Deutschland, Europa und die Welt benötigen eine geeinte Bundesregierung als Advokaten für eine regel-basierte internationale Ordnung. Wir sind, gemeinsam mit allen kleineren und mittelgroßen Ländern dieser Welt, auf eben diese Regeln und ihre Einhaltung angewiesen. Um sie zu verteidigen, muss ein emanzipiertes Deutschland seine Partnerschaften diversifizieren, Abhängigkeiten reduzieren und neue Allianzen suchen.

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