Policy Brief

Eine komplexe Aufgabe inmitten des Krieges: Wiederaufbau und EU-Integration der Ukraine miteinander verzahnen

Bergmann, Julian / Miriam Kosmehl / Julia Langbein / Gwendolyn Sasse
Policy Brief (16/2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS)

DOI: https://doi.org/10.23661/ipb16.2024

Ukrainische Ausg. u. d. T.:
Кілька місій у розпал війни: інтеграція зусиль з відновлення та вступу України до ЄС
(Policy Brief 14/2024)

Engl. Ausg. u.d.T.:
Multiple missions in the midst of war: integrating Ukraine's recovery and EU accession
(Policy Brief 11/2024)

Die Ukraine und ihre internationalen Partner stehen vor einer gewaltigen Aufgabe: Nicht nur müssen sie den Wiederaufbau und den EU-Beitrittsprozess vorantreiben, sondern auch die Souveränität der Ukraine mithilfe militärischer und finanzieller Unterstützung im Kampf gegen den russischen Angriff verteidigen. Die Ungewissheit über den Ausgang des Krieges macht die Planung für den Wiederaufbau und den EU-Beitritt umso komplexer, unterstreicht aber auch, dass beide Vorhaben Hand in Hand gehen und sich gegenseitig verstärken sollten.
Zu diesem Zweck hat die EU die Ukraine-Fazilität beschlossen. Damit stellt die EU der Ukraine bis 2027 verlässliche Finanzmittel für den Wiederaufbau und wichtige Reformen bereit, die für einen EU-Beitritt erforderlich sind. Der zentrale Fahrplan für die Umsetzung der Fazilität ist der sogenannte Ukraine-Plan der ukrainischen Regierung. Den Wiederaufbau und den EU-Beitritt gleichzeitig zu stemmen, könnte die Kapazitäten der ukrainischen Regierung und des Privatsektors überlasten, wodurch der Rückhalt in der Gesellschaft schwinden könnte. Um beide Prozesse bestmöglich zu verzahnen, sollten Entscheidungsträger*innen folgende Empfehlungen berücksichtigen:
● Prioritäten für kurzfristige Hilfe mit langfristigen Ambitionen setzen. Wiederaufbaumaßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitslage, zur Deckung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung und zur Stabilisierung der ukrainischen Wirtschaft sollten Vorrang haben. Bei den EU-Beitrittsverhandlungen sollten grundlegende Beitrittsvoraussetzungen („fundamentals“) und die Verhandlungskapitel, die Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit fördern, priorisiert werden.
● Für einen inklusiven Ansatz in der Umsetzung des Ukraine-Plans sorgen. Deutschland und die Ukraine, die im Juni 2024 gemeinsam die Ukraine Recovery Conference (URC) ausrichten werden, sollten sicherstellen, dass auf dieser ein inklusiver Ansatz zur Umsetzung des Ukraine-Plans entwickelt wird, der über die diesjährige URC hinaus trägt. Eine Möglichkeit ist die Bildung themenspezifischer Bündnisse ukrainischer Akteure auf unterschiedlichen Verwaltungsebenen.
● Internationale Geber für den Ukraine-Plan gewinnen und Wiederaufbaubemühungen als Hebel für einen beschleunigten EU-Beitritt nutzen. Deutschland könnte als EU- und G7-Mitglied als verbindendes Element zwischen den EU- und Nicht-EU-Akteuren fungieren, die sich für den Wiederaufbau der Ukraine einsetzen. Die EU-Mitgliedstaaten sollten ihre bilateralen Hilfen für die Ukraine auf den Ukraine-Plan abstimmen.
● Maßgeschneiderte technische Hilfe bereitstellen und Kapazitätsaufbau ausweiten. Ukrainische und internationale Akteure sollten gemeinsam eine „Asset Map“ erarbeiten, die Kapazitäten und ungenutztes Potenzial (z. B. in Bezug auf Infrastruktur, öffentliche Finanzen, Industrie und Handel) in bestimmten Regionen und Gemeinden sowie im Privatsektor erfasst und dabei die Entwicklungsstrategien der verschiedenen Verwaltungsebenen berücksichtigt. Die ukrainische Diaspora in den EU-Ländern sollte aktiv an diesen Prozessen beteiligt werden, jedoch ohne unrealistische Erwartungen hinsichtlich ihrer zeitnahen und vollständigen Rückkehr.
● Eine stufenweise EU-Integration der Ukraine vorbereiten. Die Bundesregierung sollte die europäische Debatte über mögliche Zwischenschritte auf dem Weg hin zur formellen EU-Mitgliedschaft weiter vorantreiben, wie etwa die schrittweise Integration der Ukraine in den EU-Binnenmarkt.
● Für eine offene und transparente Kommunikation sorgen. Aufbauend auf einem offenen und transparenten Dialog muss eine wirksame Kommunikationsstrategie gegenüber der ukrainischen Bevölkerung entwickelt werden, um deren Unterstützung für einen EU-Beitritt zu erhalten. Auch innerhalb der EU bedarf es einer effektiven Kommunikation, um den politischen Spielraum von Vetospielern einzugrenzen.

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