Die aktuelle Kolumne
Die Bundestagswahl 2025
Wiederaufbau in Syrien: Ein Gewinn für Geflüchtete und ihr Aufnahmeland
Abedtalas, Musallam / Tina ZintlDie aktuelle Kolumne (2025)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 06.02.2025
Bonn, 6. Februar 2025. Mit dem Sturz des Assad-Regimes steht Deutschland vor komplexen Herausforderungen. Wichtige Entscheidungen stehen an, über die Zukunft syrischer Geflüchteter und über einen migrationspolitischen Kurs, der über die nächste Legislaturperiode hinausblickt. Während des Syrienkonflikts nahm Deutschland rund eine Million syrische Geflüchtete auf, doch nun steht die Bundesregierung angesichts des zunehmenden politischen Drucks und der bevorstehenden Wahlen am Scheideweg. Während Populisten eine schnelle Rückkehr der syrischen Geflüchteten fordern, verweisen andere darauf, dass Deutschland in vielerlei Hinsicht von ihrer Arbeitskraft und ihren Qualifikationen profitiert. Zugleich muss die Bundesregierung entscheiden, wie sie den Wiederaufbau Syriens unterstützen will, in dem ebendiese Qualifikationen benötigt werden. Deutschland sollte klug taktieren und die Chance nutzen, eine nachhaltige und beiderseits vorteilhafte Zusammenarbeit mit Syrien zu forcieren.
Deutschlands politische Antwort auf den Sturz des Assad-Regimes schien teils übereilt. So wurden Asylverfahren für neu angekommene syrische Geflüchtete zügig eingestellt. Einige Politiker*innen forderten eine schnelle Rückkehr der Geflüchteten nachdem der Fluchtgrund weggefallen war. In der Tat ergab sich der Schutzstatus für Syrer*innen in Deutschland aus der unmittelbaren Verfolgung durch das repressive Assad-Regime. Doch die zunehmend populistische und fremdenfeindliche Debatte riskiert, dass die Chancen für einen gezielteren und effektiveren Umgang mit den Geflüchteten vertan werden.
Die Unterbringung von Geflüchteten belastet nicht nur den deutschen Haushalt, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Doch die Situation der syrischen Geflüchteten hat sich seit 2015, als die meisten von ihnen nach Deutschland kamen, erheblich verändert. Sie haben sich seitdem ein neues Leben aufgebaut, Qualifikationen in verschiedenen Bereichen erworben und sind Teil der deutschen Wirtschaft geworden, wo sie in vielen Sektoren den Fachkräftemangel lindern. Deutschland sollte klug handeln, um beidem Rechnung zu tragen: den langfristigen Vorteilen der Integration Geflüchteter als auch dem Rückkehrwunsch vieler Syrer*innen, sobald sich die Sicherheits- und Wirtschaftslage in ihrem Heimatland verbessert hat.
Daher sollte Deutschland eine strategische Rolle beim Wiederaufbau Syriens übernehmen und zugleich auf die Qualifikationen syrischer Geflüchteter bauen. Sobald die Lage stabil genug ist, werden syrische Geflüchtete zurückkehren und als Humankapital eine Schlüsselrolle beim langfristigen Wiederaufbau spielen. Die Bundesregierung weiß, wie wichtig die Unterstützung Syriens ist, und hat bereits konkrete Hilfen in Bereichen wie Gesundheit oder Bildung zugesagt. Noch werden jedoch der potenzielle langfristige Nutzen und die beträchtliche Soft Power aus der geleisteten Aufnahme und Integration syrischer Geflüchteter nicht ausreichend berücksichtigt. Die Bundesregierung sollte daher unbedingt eine nachhaltige Strategie für die Zusammenarbeit mit Syrien entwickeln, die dem demographischen Wandel in Deutschland Rechnung trägt und das von den Geflüchteten erworbene Know-how in verschiedenen Bereichen in Wert setzt.
Eine solche Strategie wäre die zirkuläre Migration, ein langfristiger Ansatz, der es Geflüchteten erlaubt, sich am Wiederaufbau Syriens zu beteiligen, ohne ihr neues Leben in Deutschland aufzugeben. Statt auf Rückkehr zu pochen, könnte Deutschland es den Geflüchteten ermöglichen, durch temporäre Besuche oder eine Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und – sofern die syrische Regierung Legitimität gewinnt – sogar mit öffentlichen Einrichtungen am Wiederaufbau teilzuhaben. Diese Strategie erfordert eine Kooperation in mehreren Bereichen. Deutschland sollte die baldige Wiedereröffnung seiner Botschaft erwägen, die syrische Übergangsregierung die Aufnahme ausreisepflichtiger Syrer*innen.
Deutschland und Syrien sollten ihre Beziehungen vertiefen, etwa in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Technologie und Energie – aus humanitären und wirtschaftlichen Gründen. Die Partnerschaften mit syrischen Krankenhäusern sollten ausgeweitet werden und technische Zusammenarbeit sowie regelmäßigen Wissensaustausch in Forschung und Ausbildung einschließen, vornehmlich in Gebieten, aus denen die meisten Syrer*innen nach Deutschland geflohen sind. Bildung wird eine Schlüsselrolle spielen. Der Aufbau von Schulen mit deutschen Lehrplänen sollte unterstützt werden, damit sich hochqualifizierte Syrer*innen, die eine (vorübergehende) Rückkehr erwägen, am Wiederaufbau beteiligen können, ohne ihre im Ausland aufgewachsenen Kinder zu entwurzeln.
Deutschland könnte dadurch von zukünftigen Generationen syrischer Arbeitskräfte profitieren, die ein von Deutschland gefördertes Bildungs- und Ausbildungssystem durchlaufen haben, und dadurch den Fachkräftemangel eindämmen. Gemeinsam mit seinen EU-Partnern kann Deutschland entschlossen und strategisch handeln, etwa weitere Syrien-Sanktionen aufheben oder später die EU Talentpartnerschaften ausweiten. Mit einem durchdachten Kooperationsmodell – der modernen, praxisorientierten Variante von Goethes West-Östlichem Diwan – kann die Bundesregierung den Wiederaufbau Syriens unterstützen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken und neue wirtschaftliche Chancen für alle Beteiligten schaffen. Angesichts der aktuellen deutschen Migrationsdebatte wird es aber auch darauf ankommen, wie die Bundesregierung einer für zweifelhafte populistische Positionen anfälligeren Bevölkerung diese Vorteile vermittelt.