Die aktuelle Kolumne

Das Unsichtbare sichtbar machen

Wie Grundwasserübernutzung und Gesellschaftsverträge zusammenhängen

Houdret, Annabelle / Birgit Kemmerling / Ines Dombrowsky
Die aktuelle Kolumne (2022)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 21.03.2022

Der Weltwassertag der Vereinten Nationen am 22. März steht dieses Jahr unter dem Motto: Grundwasser – das Unsichtbare sichtbar machen. Wenn Flüsse zunehmend verschmutzen oder austrocknen, ist die Nutzung von Grundwasser für die Trinkwasserversorgung, Industrie, Energie und Landwirtschaft eine vermeintlich sichere Quelle. Doch gerade in der wasserknappen und vom Klimawandel stark betroffenen Region Mittlerer Osten und Nordafrika (MENA) droht auch diese Quelle zu versiegen. Hier ist die Rate der Grundwasser(über)nutzung im weltweiten Vergleich am höchsten, gleichzeitig steigt die Verschmutzung der Ressource durch Abwässer und eindringendes Salzwasser. Insbesondere die bewässerte Landwirtschaft gefährdet viele Grundwasserleiter in der Region massiv.

Bisherige Lösungsansätze reichen nicht

Häufig werden technische Lösungen als Antwort auf die Grundwasserkrise gesucht. Grundwasserleiter können durch Wasserzufuhr (z.B. behandeltes Abwasser, Sturmfluten) wieder befüllt oder wassersparende und abwasseraufbereitende Technologien eingesetzt werden, um den Verbrauch zu vermindern. Satellitengestütztes Monitoring des Landnutzungswandels kann helfen, Quellen von Verschmutzung und Übernutzung auszumachen oder verbrauchsabhängige Wassernutzungsgebühren zu erheben. Letztere sind Teil ökonomischer Lösungsansätze wie sie beispielsweise in Jordanien im Hochland und in der Azraq-Oase verfolgt werden: Mittels Gebühren sollen Anreize für einen sparsamen Umgang geschaffen werden.

Auch institutionelle Reformen zum Schutz und zur Erhaltung der Grundwasserressourcen werden vielerorts angestoßen. Verwundbare Trinkwassergewinnungsgebiete werden für die Nutzung gesperrt. Bau und die Nutzung von Brunnen werden an Lizenzen gekoppelt. Zudem hat z.B. die marokkanische Regierung in verschiedenen Regionen des Landes gemeinsam mit den verschiedenen Nutzergruppen in Grundwasserverträgen die Grundwassernutzung verbindlich festgelegt.

Doch trotz dieser Maßnahmen steigt die Grundwasserentnahme in der Region. So sind Gebühren häufig nicht hoch genug, um Steuerungswirkung zu entfalten und werden nicht konsequent genug erhoben. Die intransparente Vergabe und mangelnde Kontrolle von Brunnen-Lizenzen erhöhen weiterhin in vielen Regionen die Entnahmen. Auch behindern die unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure die Durchsetzung von Verträgen, etwa wenn Ressourcenschutz gegenüber politisch einflussreichen Landwirt*innen nicht durchgesetzt werden kann. Dies zeigt: Das Problem der übernutzten Grundwasserressourcen in der MENA-Region ist politischer Natur.

Wasser bedeutet Macht

Insbesondere in der MENA-Region ist Wasser eng verknüpft mit den entsprechenden Gesellschaftsverträgen. Gesellschaftsverträge sind implizite Abkommen zwischen den Regierenden und der Bevölkerung, bei denen Regierungen Legitimität und Loyalität sichern, indem sie bestimmte Dienstleistungen bereitstellen, Sicherheit gewährleisten und teilweise auch politische Beteiligung ermöglichen.

Gerade weil Grundwasservorkommen in vielen Ländern trotz Dürre und Klimawandel weiterhin Landwirtschaft ermöglichen und gleichzeitig schnell wachsende Städte mit Trinkwasser versorgen, sind sie ein wichtiger Pfeiler solcher Gesellschaftsverträge. Denn gelingt es Regierungen nicht, die Wasserversorgung ihrer Bevölkerung zu sichern oder diese vor den negativen Auswirkungen von Wasserknappheit, Dürren und Überflutungen zu schützen, scheitern sie an ihrer Verantwortung im Gesellschaftsvertrag und riskieren Proteste, beispielsweise von Kleinbäuer*innen, deren Lebensunterhalt vom Zugang zu Wasser abhängt.

Gleichzeitig beeinflussen die jeweiligen Gesellschaftsverträge, wie Grundwasser bewirtschaftet wird. Häufig spielen einflussreiche Landwirt*innen und Agrarunternehmen, die lukrative Exportprodukte anbauen, eine wichtige Rolle im Gesellschaftsvertrag. Sie sind Teil der politischen Elite oder verfügen über eine starke Lobby, um ihre Interessen durchzusetzen und Ressourcenzugänge oder Gebührenrabatte zu sichern. So werden Maßnahmen zur ökologisch dringend notwendigen Begrenzung der Wasserentnahme in vielen Ländern der Region kaum durchgesetzt.

Notwendig ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber, wie die MENA-Länder mit ihren begrenzten und übernutzten Wasserressourcen mittel- und langfristig umgehen wollen. Dabei müssen nationale Regierungen, zivilgesellschaftliche Akteure, der Privatsektor und die Entwicklungszusammenarbeit die Zusammenhänge zwischen Wasser und Gesellschaftsverträgen berücksichtigen und neu regeln: Wie kann politische Loyalität von der Wasserverteilung abgekoppelt und in größere Zusammenhänge guter Regierungsführung überführt werden? Das schließt auch eine Diskussion darüber ein, welche Wirtschaftssektoren ausgebaut und welche zurückgefahren werden sollen. Wichtig ist, dass eine solche Wende ökologisch und sozial verträglich gestaltet wird. Solange diese (macht)politischen Fragen nicht berücksichtigt werden, werden auch technische und institutionelle Lösungen Grundwasservorkommen nicht schützen können.


Aktuelle Kolumne des Bonn Water Network.

Über die Autorinnen:

Dr. Annabelle Houdret ist Politikwissenschaftlerin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm „Umwelt-Governance“.
Dr. Birgit Kemmerling ist Geographin und Senior Researcher im Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC).
Dr. Ines Dombrowsky ist Ökonomin und Programmleitung des Forschungsprogramms „Umwelt-Governance“.

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