Die aktuelle Kolumne
Digitalisierung
Wie die EU und aufstrebende Mächte ihre Zukunft nachhaltig gestalten können
Grimm, Sven / Wulf Reiners / Benjamin StewartDie aktuelle Kolumne (2020)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 06.04.2020
Die Covid-19-Krise schränkt den sozialen Umgang ein, kappt physische internationale Verbindungen und beschleunigt gleichzeitig weltweit die Digitalisierungsprozesse. Schon vor der Pandemie stellte die dringliche Reduzierung von Emissionen die Notwendigkeit globaler physischer Treffen mit ihrem hohen Kohlenstoff-Fußabdruck in Frage und verlangte nach umweltfreundlichen technischen Lösungen. Die Digitalisierung hat großes Potenzial als Katalysator für einen weltweiten Wandel hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu wirken, wie sie in der 2030-Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung vereinbart wurde. Obwohl nicht umfassend in die Agenda 2030 integriert, gehören digitale Technologien zu den mächtigsten Werkzeugen zur Erreichung der Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs). Die Digitalisierung wird in den kommenden Jahrzehnten unser Leben weiter verändern – auf persönlicher, politischer, gesellschaftlicher, ökologischer und wirtschaftlicher Ebene. Diskussionen und Verfahren in allen Bereichen werden sich ändern, von der Landwirtschaft über die Industrie bis zum Finanzwesen, von der Bildung bis zur Gesundheit, Demokratie und den Menschenrechten. Die Wechselbeziehung von Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung muss daher auf integrierte Weise angegangen werden, damit positive Auswirkungen maximiert und mögliche negative Auswirkungen gemildert werden können.
Digitalisierung ist sowohl ein innenpolitisches Politikfeld als auch ein Gebot für internationale Zusammenarbeit. Mit dem Anspruch, den Übergang zu einem gesunden Planeten und einer neuen digitalen Welt anzuführen, veröffentlichte die Europäische Kommission im Februar 2020 eine Vision, Ziele und Schwerpunktbereiche, wie Europas digitale Zukunft gestaltet werden kann. Die Europäische Union bekundete auch ihre Absicht, ein weltweites Vorbild für die digitale Wirtschaft zu werden. Sie wird digitale Standards festlegen und fördern und gleichzeitig die digitale Entwicklung von Entwicklungs- und Schwellenländern unterstützen.
Investitionen in Digitalisierung finden auch in vielen anderen Teilen der Welt statt, darunter in den technologisch entwickelten aufstrebenden Mächten. Länder wie Brasilien, Indien und Mexiko formulieren Digitalisierungsstrategien und setzen neue Technologien ein, um ihre spezifischen Herausforderungen zu bewältigen, zum Beispiel bei der Politik mit großen Bevölkerungen oder beim Management ihrer Ressourcen. Ihre Ansätze haben einen erheblichen Einfluss – aufgrund ihrer Größe und ihrer Position auf der internationalen Bühne. Diese aufstrebenden Mächte setzen digitale Werkzeuge ähnlich ein, aber in unterschiedlichem Tempo und mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Ergebnissen. Die Wirksamkeit des Digitalisierungsprozesses einer Nation hängt von der jeweiligen Politik und der Bereitschaft der Gesellschaft ab, digitale Verfahren zu übernehmen.
Dabei wird ein großer Teil des Dialogs vom kommerziellen Unternehmensmodell der US-Digitalisierung (Google, Amazon, Facebook, Apple) auf der einen Seite und vom staatlichen Überwachungsmodell der chinesischen Digitalisierung auf der anderen Seite bestimmt. Europäische Positionen, wie sie in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zum Ausdruck kommen, werden auch in aufstrebenden Mächten wahrgenommen und dienen als Orientierungspunkt, wenn es um den Schutz der Privatsphäre, die Datensicherheit und das Verhältnis von Staat und Bürger geht. Europa sollte auf dieser Rolle aufbauen und engere Partnerschaften mit den aufstrebenden Volkswirtschaften entwickeln, um gemeinsam Modelle zu entwickeln, die den europäischen Standards entsprechen, also auf Evidenz, guter Regierungsführung sowie den Menschenrechten, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre, basieren.
Diese alternativen Modelle zielen darauf, die Möglichkeiten digitaler Instrumente zu nutzen und das Missbrauchspotenzial zu begrenzen. In der aktuellen Covid-19-Krise bedeutet dies, dass digitale Instrumente die Zusammenarbeit ohne physische Treffen erleichtern können; gleichzeitig können die Rückverfolgung von Infektionen und die Überwachung der Einhaltung von Kontaktverboten so organisiert werden, dass die Grundrechte so weit wie möglich respektiert werden.
Um Fragen wie diese anzugehen, wurde das Projekt PRODIGEES – kurz für „Promoting Research on Digitalisation in Emerging Powers and Europe towards Sustainable Development“ – ins Leben gerufen. Es verbindet die Forschung verschiedener Thinktanks und Forschungseinrichtungen aus Europa und Brasilien, Indien, Indonesien, Mexiko und Südafrika. Der Forschungsschwerpunkt von PRODIGEES liegt an der Schnittstelle von Digitalisierung und Nachhaltigkeit und stärkt die Partnerschaften des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) mit Akteuren aus den aufstrebenden Mächten. Die neue Initiative ist Teil des Programms Managing Global Governance (MGG) und erhält einen 4-Jahres-Zuschuss aus dem EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“. Auf seiner Grundlage finden auch länderübergreifende Fortbildungen und Dialoge mit unterschiedlichen Interessengruppen statt, um politische Wege zur Erreichung der SDGs zu fördern.
Angesichts der katalytischen Wirkung der Covid-19-Pandemie auf Digitalisierung ist die aktuelle Krise ein dringender Aufruf zu einer gründlichen Analyse der Auswirkungen der Digitalisierung auf Nachhaltigkeit und zu einer seit langem notwendigen Diskussion darüber, wie sie sinnvoll für das Gemeinwohl eingesetzt und genutzt werden kann. Es müssen engere Partnerschaften mit den aufstrebenden Volkswirtschaften gebildet werden, um voneinander und miteinander über unsere Digitalisierungsprozesse zu lernen und moderne Technologie als Transformationswerkzeug für nachhaltige Entwicklung zu nutzen.