Die aktuelle Kolumne
50 Jahre nach erstem Club-of-Rome-Bericht
Welche Bedeutung haben die „Grenzen des Wachstums“ heute?
Stamm, Andreas / Jakob Rhyner / Hartmut IhneDie aktuelle Kolumne (2022)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 30.05.2022
Bonn, 30.05.2022. Vor fünfzig Jahren schreckte ein 200 Seiten starkes Werk die Weltöffentlichkeit auf: „Limits to Growth – Grenzen des Wachstums“ rückte ins Bewusstsein, dass stetige Wachstumsprozesse auf einem endlichen Planeten an Grenzen stoßen können oder sogar müssen. Den Bericht hatte der Club of Rome in Auftrag gegeben. Dieser wurde 1968 ins Leben gerufen und ist ein informeller Zusammenschluss von hochrangigen Personen aus Politik, Diplomatie, Wissenschaft und Wirtschaft. Die Mission des Club of Rome ist es, drängende Menschheitsfragen nicht länger in disziplinären Silos, sondern als komplexe interdependente Themen zu betrachten. Diese sollen in umfassenden und langfristig angelegten Forschungen bearbeitet und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Die Geschichte von „Limits to Growth“ hat gezeigt, dass so gestaltete Forschungen tatsächlich weltweite politische Debatten anstoßen und dauerhaft verankern können.
Lohnt sich die Lektüre von „Grenzen des Wachstums“ auch nach fünfzig Jahren noch und welche Lehren können gezogen werden?
Der Bericht wirft einen Blick in die Zukunft, basierend auf fünf Megatrends der ausgehenden sechziger und beginnenden siebziger Jahre: Bevölkerungswachstum, Industrialisierung, Unterernährung, Verbrauch nicht-erneuerbarer Rohstoffe und Umweltverschmutzung. Erstmals in der Geschichte der Erdsystemforschung wurden Computer eingesetzt, um die Entwicklung komplexer Systeme im Zeitverlauf zu modellieren. Unter verschiedenen Annahmen wird untersucht, wie sich die genannten Megatrends jeweils für sich und im Zusammenspiel untereinander entwickeln werden. Eine zentrale Botschaft ist, dass einige der Beobachtungsgrößen, konkret die Bevölkerung und die industrielle Produktion nicht linear, sondern exponentiell wachsen. Wenn andere Systemelemente, beispielsweise die Nahrungsmittelproduktion, nur linear gesteigert werden können, müssen massive Probleme zwingend auftreten. Die Autor*innen äußern die Befürchtung, dass Fortschritte z.B. bei der Reduktion der Umweltverschmutzung je Produktionseinheit durch einen exponentiellen Anstieg der Produktion überkompensiert werden. Ohne den Übergang von einem Wachstums- zu einem Gleichgewichtsmodell, so die Schlussfolgerung, ist ein schneller Systemzusammenbruch in naher Zukunft zwingend.
Der Bericht wurde über die Jahrzehnte hinweg intensiv und vielfältig rezipiert. Die Berechnungen und die ihnen zugrundeliegenden Annahmen werden rückwirkend teilweise als übermäßig vereinfachend und zu pessimistisch beurteilt. So konnte die Belastung städtischer Luft mit Schwefeldioxid nach 1972 deutlich schneller verringert werden als im Bericht als bestmögliches Szenario beschrieben. Die Lebensmittelerzeugung wurde dynamischer ausgeweitet als angenommen. Die Industrialisierung als dominante oder gar einzige Form des Wirtschaftswachstums zu interpretieren, ist in der Nachbetrachtung unzureichend: Seit 1970 hat der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung deutlich zugunsten von Dienstleistungen abgenommen.
Andere Studien zeigen aber, dass einzelne der Megatrends und ihr Zusammenspiel sich im Zeitverlauf durchaus bestätigt haben. Andere Bedrohungen kamen hinzu, die 1972 noch kaum beachtet wurden. Der Klimawandel beispielsweise findet in „Grenzen des Wachstums“ lediglich kursorische Erwähnung im Mittelteil des Berichts; ähnlich verhält es sich mit dem Verlust an Biodiversität und dem Artensterben.
Für die Nachhaltigkeitsdebatte gerade in Deutschland ist folgende Betrachtung „50 Jahre danach“ von großer Bedeutung. Technologischer Fortschritt kann, stärker als 1972 prognostiziert, Wachstumsprozesse auf der einen von Umweltzerstörung und der Erschöpfung natürlicher Ressourcen und Senken auf der anderen Seite abkoppeln. Oft bedeutet dies keine absolute Entkoppelung, d.h. Ressourcen werden weiter verknappt und Senken belastet, nur geschieht dies deutlich langsamer als 1972 vermutet. Dies verschafft der Menschheit Zeit, um neue Modelle für die nachhaltige Entwicklung zu entwickeln und umzusetzen.
Leider wird in Deutschland der Technologiediskurs oft mehr von der Furcht vor Risiken als von Optimismus bezüglich neuer Chancen geprägt. Dies betrifft weite Teile von Politik und Zivilgesellschaft. Aber auch die wissenschaftliche Technikfolgenabschätzung steht in der Tradition, vor allem mögliche nicht-intendierte negative Folgen von neuen Technologien in den Blick zu nehmen. Diese von dem Philosophen Hans Jonas als „Heuristik der Furcht“ gekennzeichnete Haltung kann Innovationen ausbremsen, was sich am Beispiel von Carbon Capture and Storage (CCS) ebenso zeigen lässt wie bei neuen Pflanzenzuchtmethoden wie CRISPR-CAS. Wir plädieren nicht für Blindheit gegenüber möglichen Risiken neuer Technologien. Angesichts rasch erodierender planetarer Grenzen sollte eine angemessene Bewertung von Innovationen aber in eine ergebnisoffene Einschätzung von Chancen und Risiken eingebettet werden. Nur so können Politik und Gesellschaft wichtige Leitplanken für die technologische Entwicklung setzen, ohne sie unnötig und ethisch nicht vertretbar zu verlangsamen.
Andreas Stamm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik.
Jakob Rhyner ist Wissenschaftlicher Direktor der Bonner Allianz für Nachhaltigkeitsforschung / Innovations-Campus Bonn (ICB).
Hartmut Ihne ist Präsident der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.