Die aktuelle Kolumne

Was muss Kolumbien für den Frieden tun?

von Schiller, Armin / Alejandro Guarín
Die aktuelle Kolumne (2013)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 12.08.2013)

Bonn, 12.08.2013. Zum ersten Mal seit mehr als 60 Jahren scheint das Ende des Bürgerkriegs in Kolumbien in greifbare Nähe zu rücken. Der weltweit älteste andauernde Bürgerkrieg hat rund 220.000 Menschen – in der Mehrzahl Zivilisten – das Leben gekostet und Millionen zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht. Ein Ende von Blutvergießen und Vertreibungen – das sind gute Nachrichten. Jetzt stellt sich nicht die Frage, ob ein Friedensvertrag unterzeichnet wird, sondern wie es dem Land gelingt, langjährige soziale Missstände zu beseitigen und dauerhaft Frieden zu schaffen. Denn auch nachdem der Vertrag unterzeichnet ist, bleibt Kolumbien ein durch tiefe soziale und wirtschaftliche Gegensätze gespaltenes Land.

Der Stand der Dinge: Im vergangenen Jahr einigten sich die Regierung und die FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), die größte Guerillagruppe des Landes, auf einen Sechs-Punkte-Plan, mit dem der Konflikt beigelegt und die FARC in eine politische Kraft transformiert werden sollte. Seit letztem Oktober finden in Havanna hinter verschlossenen Türen Verhandlungen statt – offiziell und unter internationaler Vermittlung von Venezuela, Chile und Norwegen.

Das ist nicht das erste Mal, dass die FARC und die Regierung versuchen, aufeinander zuzugehen. Was ist jetzt anders als sonst, und woher rührt der Optimismus? Erstens ist die FARC militärisch stark geschwächt. Die Regierung von Präsident Uribe (2002–2010) bekämpfte die Guerillas mit eiserner Härte: Viele Kommandanten wurden getötet, die Zahl der FARC-Mitglieder fiel von etwa 30.000 auf 8.000, und die meisten Rebellen mussten sich in entlegene Winkel des Landes zurückziehen. Dies könnte ihre letzte Chance sein, den Schauplatz lebend zu verlassen. Zweitens stößt der Prozess in der wirtschaftlichen und politischen Oberschicht Kolumbiens auf breite, wenn auch vorsichtige, Zustimmung. Zu den Unterhändlern der Regierung zählen Industrielle, erfahrene Politiker sowie Armee- und Polizeichefs im Ruhestand. Zu guter Letzt: Die Gespräche sind nicht von einem Waffenstillstand flankiert, sodass es nicht aussieht, als hätte die Regierung die Oberhand verloren.

Bis jetzt sind die Ergebnisse ermutigend. Die Parteien gaben bekannt, man habe in Bezug auf die Grundbesitzverhältnisse und die ländliche Entwicklung – ein zentraler Streitpunkt in dem Konflikt – eine Einigung erzielt und wende sich jetzt anderen Themen der Agenda zu. Und doch: Noch ist der Erfolg nicht sicher. Viele schwierige Fragen sind noch offen, etwa die Umstände einer politischen Partizipation der FARC, eine mögliche Amnestie und die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen, die im Laufe der Jahre auf beiden Seiten begangen wurden. Überdies ist der Protest gegen den Prozess zwar eher unbedeutend, dafür aber laut- und finanzstark (ein prominenter Gegner ist Uribe selbst). Hier und da werden Bedenken laut, Frieden mit der FARC bedeute nicht das Ende der Gewalt. Zudem versuchen noch andere bewaffnete Gruppen, den lukrativen Drogenhandel und illegalen Bergbau zu kontrollieren. Und manche Guerilla-Splittergruppe wird vielleicht nur widerwillig aufgeben, eine Gefahr, die sich bei der jüngsten Demobilisierung von Paramilitärs zeigte, welche vielfach unter anderem Namen weiterkämpfen. Schließlich ist das politische Klima aufgrund der allgemeinen Wahlen im Mai 2014 angespannt.

Den Gesprächen in Havanna wird im In- und Ausland die meiste Beachtung geschenkt. Die größere Herausforderung für Kolumbien besteht jedoch darin, den Erwartungen und Verpflichtungen des Friedens gerecht zu werden. Ein drängendes und vernachlässigtes Problem ist die Frage, wie der jüngste wirtschaftliche Erfolg des Landes verteilt werden soll. Trotz des bestehenden Krieges, aber dank der verbesserten Sicherheitslage, ist die Wirtschaftsleistung Kolumbiens in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Wachstumsmotor ist der boomende Export von wertvollen Mineralien, Kohle und Öl. Von diesen Erfolgen haben nicht alle Kolumbianer gleichermaßen profitiert. Kolumbien ist immer noch eine der weltweit ungleichmäßigsten Gesellschaften. Vielen Besuchern der boomenden Städte wird nicht bewusst, dass fast die Hälfte des Landes noch immer isoliert, von staatlichen Institutionen vergessen, und sehr arm ist.

Diese Probleme hat Kolumbien nicht erst seit heute. Der Krieg ist ihre Folge und Ursache zugleich. Ein Friedensvertrag könnte die Feindseligkeiten beenden. Für einen wirklichen Wandel müssen jedoch das Entwicklungsmodell und der Gesellschaftsvertrag des Landes vollkommen neu bewertet werden. Optimismus ist gut, ja sogar notwendig. Aber der Frieden wird den kolumbianischen Staat vor neue Probleme stellen, denn die Politiker hatten sich durchaus an den Krieg als eine ihrer Lieblingsausreden für die zahllosen Probleme des Landes gewöhnt. Vom Staat wird erwartet, dass er stärker in ländliche Gebiete investiert, Sozialprogramme ausweitet und Einkommen gleichmäßiger verteilt, gerade in den Regionen, in denen er derzeit praktisch nicht präsent ist. Von jeher war der kolumbianische Staat einer kleinen, einflussreichen Elite zu Diensten. Ohne einen durchsetzungsstarken und leistungsfähigen Staat, der zur Entwicklungsförderung die Initiative ergreift, könnte Frieden einfach nur die derzeitige Tendenz zu nicht inklusivem Wachstum verstärken und wesentliche soziale Erwartungen und Forderungen unerfüllt lassen.

Die Kosten werden enorm sein – aus welchen Quellen soll dies finanziert werden? Kolumbien ist bemüht, ein Gleichgewicht zwischen sozialen Errungenschaften und einer soliden Finanzpolitik herzustellen, doch die Bilanz ist gemischt. 1991 wurden den Bürgern mit einer neuen Verfassung erheblich mehr Rechte zugestanden. Die steigenden Ausgaben waren jedoch nicht mit entsprechenden Einnahmen unterfüttert. Die daraus erwachsenden Defizite sind ein Problem, das das Land – lange als Beispiel für ein solides öffentliches Finanzmanagement gehandelt – noch nicht gelöst hat. Befindet sich Kolumbien womöglich auf dem Weg in ein ähnliches Szenario wie nach 1991? Einige Möglichkeiten rechtfertigen einen maßvollen Optimismus. Durch eine Senkung der Militärausgaben – derzeit vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts – könnten wertvolle Ressourcen für höhere Sozialausgaben freiwerden. Zudem bergen der Bergbau- und der Öl-Sektor, die in den nächsten Jahren noch stärker als bisher wachsen sollen, ein enormes Potenzial für zusätzliche Einnahmen. Allerdings ist eine Besteuerung der wohlhabenden Teile der Gesellschaft aus praktischen und symbolischen Gründen äußerst wichtig, um die fiskalischen Anforderungen des Friedens zu erfüllen und die Legitimität eines neuen Gesellschaftsvertrags zu erhöhen. Mit Erfolg appellierte Uribe an die Wohlhabenden, den Kampf gegen die Guerillas über eine „Kriegssteuer“ zu finanzieren. Doch die Aussicht auf ein gerechteres und inklusiveres Kolumbien könnte künftig von der Fähigkeit der ersten Friedensregierung Kolumbiens abhängen, die Wohlhabenden zur Zahlung einer „Friedenssteuer“ zu bewegen.

Schon möglich, dass die haushaltsrechtlichen Implikationen einer Friedenskonsolidierung weniger Schlagzeilen machen als die Gespräche in Kuba – deshalb sind sie aber nicht weniger wichtig. Leere Versprechungen und enttäuschte Erwartungen werden die Rechtmäßigkeit eines Friedensvertrags unterhöhlen – oder noch schlimmer – die Gewalt wieder aufflammen lassen. Ohne Frage sind die Parteien einem umfassenden Abkommen seit Jahren nicht so nahe gewesen. Die Chance ist zu groß, um sie zu verpassen. Nichts darf zudem unversucht bleiben, eine Einigung zu erzielen, doch nur, wenn der Staat seine Versprechen halten kann. Wichtig ist eine offene Debatte über die Art von Gesellschaft, die sich die Kolumbianer wünschen, über ihre Finanzierung und die Verteilung der Kosten. Und diese Debatte darf nicht hinausgezögert werden.

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