Die aktuelle Kolumne
Warum Schwellenländer bei der Gestaltung der Post-2015-Agenda eine entscheidende Rolle spielen
Hackenesch, Christine / ZHANG HaibingDie aktuelle Kolumne (2013)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 28.01.2013)
Bonn, 28.01.2013. Global Governance erfordert die aktive Beteiligung von Schwellenländern wie Indien, Brasilien, China oder Indonesien. Verhandlungen über internationale Entwicklungsziele, die die Millennium Development Goals (MDGs) nach 2015 ersetzen sollen, sind da keine Ausnahme. Die Bereitschaft der Schwellenländer, sich in die Verhandlungen einzubringen und das neue Abkommen innenpolitisch oder für ihre Zusammenarbeit mit anderen Entwicklungsländern zu nutzen, wird die neue Vereinbarung maßgeblich beeinflussen.
Worum geht es?
Verhandlungen über eine Post-2015-Entwicklungsagenda stehen vor einer dreifachen Herausforderung: Erstens müssen sie traditionelle Geber motivieren, auch in Zukunft Armutsbekämpfung in den am wenigsten entwickelten Ländern und fragilen Staaten zu unterstützen. Zweitens müssen sie eine neue Agenda gestalten, die globale öffentliche Güter wie etwa ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigt und Maßnahmen für Frieden und Sicherheit sowie gegen wachsende Ungleichheit vorsieht. Dies ist Voraussetzung, um den Prozess mit der Entwicklung von Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) zu verbinden, die 2012 auf dem Rio+20-Gipfel vorgeschlagen wurden. Zur Erreichung der Ziele müssen die Verhandlungen drittens eine globale Partnerschaft fördern, die über traditionelle Entwicklungszusammenarbeit hinausgeht und andere Politikbereiche und Formen der Entwicklungsfinanzierung wie ausländische Direktinvestitionen oder Handelsflüsse einbezieht.
Die MDGs sind Ausdruck eines Konsenses, zu dem OECD- und Entwicklungsländer Ende der 1990er-Jahre gelangten. Indem sie menschliche Entwicklung in den Mittelpunkt internationaler Entwicklung stellten, halfen die MDGs traditionellen Gebern die Legitimität von Entwicklungszusammenarbeit zu stärken und Unterstützung für zusätzliche Hilfszusagen im eigenen Land zu mobilisieren. Mit dem Näherrücken der 2015-Deadline geht das „Jahrzehnt der Großzügigkeit“ zu Ende. Angesichts der Wirtschaftskrise und ihrer Folgen erscheinen in OECD-Ländern erneute Forderungen nach einer <link http: www.guardian.co.uk global-development apr value-oecd-aid-drops-15-years _blank>Erhöhung von Entwicklungshilfegeldern unwahrscheinlich. Gleichzeitig reduzieren schnell wachsende Handelsvolumen, Direktinvestitionen und günstige Kredite von Schwellenländern an andere Entwicklungsländer die relative Bedeutung von Entwicklungszusammenarbeit durch traditionelle Geber.
Schwellenländer und die MDGs
Vor diesem Hintergrund spielen Schwellenländer bei den Verhandlungen über ein internationales Abkommen für die Zeit nach 2015 eine Schlüsselrolle. Ihre Positionierung wird erheblichen Einfluss darauf haben, ob zukünftige globale Ziele eine Sache von Entwicklungszusammenarbeit und eine Agenda für die am wenigsten entwickelten und fragilen Staaten bleiben oder ob die Verhandlungen Anlass bieten, eine weitreichende Diskussion über universelle Ziele auf globaler Ebene zu führen.
Ähnlich wie in den OECD-Ländern sehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger in Schwellenländern die Post-2015-Verhandlungen derzeit als eine Agenda, die hauptsächlich von traditionellen Gebern und Nord-Süd-Beziehungen bestimmt wird. Das zeigte sich unlängst auf einer <link _blank internal-link internal link in current>Konferenz in Shanghai<link _blank internal-link internal link in current>, die vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und dem Shanghai Institutes for International Studies (<link http: www.siis.org.cn _blank>SIIS) veranstaltet wurde.
Zwar tragen Schwellenländer durch ihre Kooperation mit Entwicklungsländern zu Fortschritten bei der Verwirklichung der MDGs bei. Aber die MDGs haben bislang für Süd-Süd-Kooperation nicht explizit als Rahmen gedient. Vielmehr wird Süd-Süd-Kooperation als eine Alternative zu Nord-Süd-Beziehungen und dem traditionellen Geber-Nehmer-Verhältnis dargestellt. Es überrascht daher nicht, dass Schwellenländer einem Abkommen, das ihre Beziehungen zu anderen Entwicklungsländern tangieren würde, zurückhaltend gegenüber stehen.
Zudem hatten die MDGs für die nationale Politik von Schwellenländern bisher sehr unterschiedliche Funktionen. In manchen Ländern, wie beispielsweise Indonesien, haben sie eine wichtige Bedeutung als Zielsystem für nationale politische Entscheidungen und für die Beziehungen zu traditionellen Gebern. In Ländern wie China hingegen sind die MDGs in der breiten Öffentlichkeit oder selbst auf Regierungsebene kaum bekannt. Gleichzeitig sind globale Fortschritte bei der Armutsbekämpfung in großen Teilen auf die Erfolge der Armutsreduzierung in China zurückzuführen. Chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bezweifeln deshalb den Nutzen neuer globaler Ziele, wenn es so schwierig ist, einen kausalen Zusammenhang zwischen den MDGs und Fortschritten bei ihrer Erreichung herzustellen.
Herausforderungen und Chancen für Schwellenländer
Mehrere Faktoren erschweren es den Schwellenländern, eine neue Agenda zu gestalten. Anders als die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit steht Süd-Süd-Kooperation nicht unter dem Druck sich neu definieren zu müssen. Schwellenländer haben daher weniger Interesse daran, die Debatte aktiv mitzugestalten. Da die Institutionen, die die Zusammenarbeit von Schwellenländern befördern, noch relativ schwach sind, fällt es diesen Ländern schwer, gemeinsame Positionen zu entwickeln. Das BRICS-Forum beispielsweise ist noch relativ jung und hat Entwicklungszusammenarbeit (noch) nicht als Kernthema aufgegriffen. Außerdem wissen politische Entscheidungsträger in China, Indien oder Brasilien vergleichsweise wenig über die Zusammenarbeit anderer Schwellenländer mit Entwicklungsländern, da sich diese Länder bislang nur in begrenztem Umfang über Entwicklungsthemen austauschen und ihre Politiken oft wenig transparent sind. Das erschwert Bemühungen, in Entwicklungsfragen zu gemeinsamen Positionen zu kommen. Während die MDGs in OECD-Ländern die Trennung der Entwicklungszusammenarbeit von anderen Politikbereichen verfestigt und entwicklungspolitische Akteure gestärkt haben, sind entwicklungspolitische Akteure in Schwellenländern, die die Debatte aufgreifen könnten, (noch) relativ schwach.
Andererseits könnten die anstehenden Verhandlungen Schwellenländern die Möglichkeit bieten, ihre 'weiche Macht' (soft power) auszubauen. Dies ist für diese Länder eine zunehmend wichtige Motivation, sich in der internationalen Kooperation zu engagieren. Handelsbeziehungen und Entwicklungsprojekte sehen sich wachsenden Herausforderungen gegenüber, die denen der Nord-Süd-Beziehungen nicht unähnlich sind. Schwellenländer könnten ein künftiges Abkommen daher dazu nutzen, Bedenken der Entwicklungsländer hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Süd-Süd-Kooperation entgegenzuwirken. Zudem könnte eine Vereinbarung, die über Armutsbekämpfung hinausgeht und globale öffentliche Güter und Ungleichheit thematisiert, als Rahmen für eine Zusammenarbeit von Schwellenländern mit Europa oder den USA „jenseits von Entwicklungszusammenarbeit“ dienen, etwa bei Technologietransfers oder um Kooperation im Bereich erneuerbare Energien zu stärken. Schwellenländer wie Indonesien, das den Ko-Vorsitz des MDG High-Level-Panels und der neuen globalen Entwicklungspartnerschaft innehat, scheinen diese Gelegenheit tatsächlich beim Schopfe zu packen.
Die Debatte über internationale Ziele für die Zeit nach 2015 ist in vollem Gange. Die Welt braucht keine neue globale Agenda, in der Schwellenländer keine Rolle spielen. Europäische Staaten tragen in den Verhandlungen daher eine besondere Verantwortung, die Schwellenländer stärker einzubinden. Europäische Länder müssen flexibel sein, sie müssen sich neuen Vorstellungen und Positionen aus den Reihen der Schwellenländer öffnen und frühzeitig den Dialog suchen. Überdies sollten europäische Länder sich selbst ambitionierte Ziele setzen und damit die Attraktivität eines neuen Abkommens für aufstrebende Wirtschaftsmächte erhöhen.