Die aktuelle Kolumne
Weltwassertag 2023
Warum individuelle Maßnahmen alleine nicht ausreichen
Schoderer, Mirja / Jean-Carlo Rodriguez de FranciscoDie aktuelle Kolumne (2023)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), (Die aktuelle Kolumne vom 22.03.2023)
Bonn, 22. März 2023. Kollektives Handeln und konzertierte politische Anstrengungen sind nötig, um Wasserverschmutzung zu bekämpfen und den Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen zu verbessern.
Wasser ist essentiell – für den Lebensunterhalt und die Gesundheit der Menschen, zum Erhalt von Ökosystemen, und für industrielle Prozesse. Dennoch wird es aller Voraussicht nach nicht gelingen, bis 2030 den universellen Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen sicherzustellen. Ähnlich düster sind die Prognosen auch für weitere wasserbezogene Entwicklungsziele, wie eine effizientere Wassernutzung oder eine Verbesserung der Wasserqualität. Der diesjährige Weltwassertag am 22. März steht daher unter dem Motto “accelerating change” (den Wandel beschleunigen) und eine UN-Kampagne "Be the Change" (Sei der Wandel) ermutigt Menschen, ihren individuellen Umgang mit Wasser zu überdenken. In der Tat übersteigt der Süßwasserverbrauch in vielen Regionen die Neubildungsraten und die steigende Wasserverschmutzung schädigt Menschen und Ökosysteme. Dennoch birgt die Konzentration auf individuelle Maßnahmen drei wichtige Risiken.
Erstens lenkt sie ab von der dringend erforderlichen Ausweitung des Zugangs zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen für unterversorgte Gemeinden, sowie von der massiven Investitionslücke zu deren Finanzierungen. Einer von vier Menschen hat derzeit keinen Zugang zu sauberem Wasser und 44 % aller Haushaltsabwässer werden nicht ausreichend behandelt. Lücken in der Wasserversorgung haben starke geschlechtsspezifische Auswirkungen, da Frauen und Mädchen in 8 von 10 Haushalten ohne Wasseranschluss für dessen Beschaffung zuständig sind. Der diesjährige Fokus auf individuelle Einschränkungen spiegelt also vor allem die Belange wohlhabender Länder und Regionen wider – in denen der pro-Kopf Konsum tatsächlich ein Nachhaltigkeitsproblem darstellt – und nicht die von einkommensschwachen Gebieten und marginalisierten Gruppen.
Zweitens vermittelt die Betonung des individuellen Verbrauchs einen verzerrten Eindruck von den Kernursachen zurückgehenden Wasserdargebots und -qualität. Weltweit entfallen nur 11 % aller Wasserentnahmen auf Kommunen und Haushalte, während die Landwirtschaft für 70 % und die Industrie für 17 % verantwortlich sind. Viele Länder verfügen zwar über zuverlässige Infrastrukturen zur Behandlung von Haushaltsabwässern, nicht aber gleichermaßen für Landwirtschaft und Industrie. Überschüssiges Wasser in der Landwirtschaft weist aufgrund des Einsatzes von Düngemitteln oft eine erhöhte Nitratbelastung auf, welche Algenblüten in Oberflächengewässern verursacht und Grundwasserbestände verschmutzt. Industrieabwässer können mit Schwermetallen, gefährlichen Chemikalien oder anderen Schadstoffen belastet sein, die eine intensive Behandlung erfordern. Doch nicht alle Länder verfügen über ausreichende Bestimmungen oder Strukturen, um sie umzusetzen.
Politische Anreize für den Einsatz effizienterer Bewässerungstechnologien oder für den Anbau weniger ‘durstiger’ Pflanzenkulturen stellen eine wirksames Instrument zur Senkung des Wasserverbrauchs dar. Zur Eindämmung der Wasserverschmutzung sind Vorschriften zum Gewässerschutz und ihre uneingeschränkte Durchsetzung nötig. Die angemessene Behandlung industrieller Abwässer darf nicht dem Verantwortungsgefühl einzelner CEOs überlassen bleiben, sondern sollte die Mindestanforderung an jedes Unternehmen darstellen, welches das Allgemeingut Wasser nutzen möchte. Dies kann durch Genehmigungen für Wassernutzung und Abwassereinleitung geschehen, wasjedoch eine ausreichende Datengrundlage voraussetzt. Auch die Aufforderung an Bürgerinnen und Bürger, Flussufer von Abfall zu säubern, wird das Problem der Plastikverschmutzung in Flüssen und Meeren nicht lösen, wenn nicht auch gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden um die Produktion von Einwegplastik einzuschränken und den Einsatz von Recycling sowie nachhaltiger Verpackungsalternativen zu fördern.
Drittens und letztens vernachlässigt die Ausrichtung des Weltwassertags auf individuelle Verantwortlichkeiten die politische und soziale Dimension von Wasser. Überall auf der Welt bauen, unterhalten und verwalten Menschen gemeinschaftliche Bewässerungs- und Wasserversorgungssysteme, tauschen Geschichten und Wissen über Gewässer aus und organisieren sich, um sie zu schützen. Auf diese Weise bildet Wasser Gemeinschaft, und die Art und Weise, wie sich Gemeinschaften entwickeln, wirkt sich wiederum darauf aus, wie Wasser genutzt wird. Um Wasserressourcen zu schützen, ist ein Verständnis für die soziale und materielle Natur von Wasser erforderlich. Nur dann kann die Aneignung von Wasserressourcen durch sozial und wirtschaftlich privilegierte Akteure zum Nachteil anderer problematisiert und durch kollektives Handeln angefochten werden, das per Definition über das Individuum hinausgeht.
Einzelpersonen zu einem besseren Umgang mit der Ressource Wasser aufzufordern, mag bei der Bekämpfung des übermäßigen Verbrauchs und der Verschmutzung in einigen Ländern helfen. Es verschleiert jedoch die eigentlichen Ursachen von Wasserunsicherheit und die zu ihrer Beseitigung erforderlichen systemischen Veränderungen. Anstatt den Wandel zu beschleunigen, befördert das diesjährige Motto entsprechend eher die Aufrechterhaltung des Status quo.