Die aktuelle Kolumne
Grüner Wasserstoff als Treibstoff für die globale Energiewende
Warum die deutsche Wasserstoffstrategie eine multilaterale Ergänzung braucht
Stamm, Andreas / Rita Strohmaier / Tilman Altenburg / Huri Ece Oyan / Katharina ThomsDie aktuelle Kolumne (2021)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 22.09.2021
Im Juni 2020 hat das Kabinett die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) verabschiedet. Die künftige Bundesregierung sollte diese weiterentwickeln und implementieren. Denn mit ihr sind ambitionierte Ziele im Rahmen der Energiewende verbunden. Wasserstoff (H2) kann als Energieträger dort eingesetzt werden, wo die elektrische Energieversorgung aus techno-ökonomischen Gründen nicht möglich ist, etwa im Schwerlastverkehr oder in der Seefahrt. Gleichzeitig ist H2 ein flexibel einsetzbarer Rohstoff für industrielle Prozesse, vor allem in der chemischen Industrie und bei der Stahlherstellung. Bereits heute werden 55 Terrawattstunden (TWh) H2 in industrielle Prozesse in Deutschland eingespeist, das ist mehr als das Vierfache des Stromverbrauchs von Berlin (12,8 TWh in 2020). H2 ist weder als Energieträger noch als industrieller Rohstoff neu. Allerdings wird bislang fast ausschließlich „grauer H2“ eingesetzt, der durch die Umwandlung fossiler Energieträger (v.a. Erdgas) gewonnen wird, wobei erhebliche Mengen an CO2 freigesetzt werden. Um den nationalen Klimazielen näherzukommen, setzt die NWS ganz auf „grünen“ H2. Dieser basiert auf Strom aus erneuerbaren Energiequellen (v.a. Solar-Photovoltaik und Wind).
Die NWS verbindet Klima- und Industriepolitik. Erklärtes Ziel ist es, Deutschland zum Vorreiter und Weltmarktführer bei Wasserstofftechnologien zu machen. Die Vision eines raschen Markthochlaufs für grünen H2 zur Dekarbonisierung von Industrie und Verkehr ist mit quantitativen Herausforderungen verbunden. Die Bundesregierung erwartet bereits 2030 einen Bedarf für grünen H2 von 90-110 TWh. Bis dahin sollen in Deutschland Erzeugungskapazitäten von 5 Gigawatt (GW) auf Basis von erneuerbaren Energien aufgebaut werden. Zum Vergleich: Im Juli 2021 wurde in Wesseling bei Köln einer der nach Angaben der Betreiberfirma Shell weltgrößten Elektrolyseure zur Erzeugung von H2 mit einer Kapazität von 10 Megawatt (MW) in Betrieb genommen. 500 derartige Anlagen wären rechnerisch notwendig, um die Kapazitätsziele für 2030 zu erreichen. Dies ist eine techno-ökonomische Herausforderung, weil Elektrolyseure nach wie vor nicht standardisiert sind und bislang nicht kostengünstig in Serie gefertigt werden.
Die NWS rechnet mit 14 TWh an grünem H2, der mit den bis 2030 voraussichtlich zur Verfügung stehenden Kapazitäten gewonnen werden kann; dies entspricht jedoch nur etwa 13% bis 16 % des erwarteten Bedarfs. Auch nach der Abkehr von fossilen Energiequellen wird Deutschland daher Nettoimporteur von Energie bleiben, vor allem wenn es um die Gewinnung von Antriebsstoffen und industrieller Prozesswärme geht. Bei der Frage, woher die angepeilten hohen Mengen an grünem H2 importiert werden sollen, bleibt die NWS recht vage. Angeführt wird eine Zusammenarbeit mit Nordeuropa (Offshore Wind) und mit Südeuropa (Photovoltaik und Wind). Die Kooperation mit Ländern des Globalen Südens wird in der NWS ebenfalls erwähnt, ohne jedoch auf die möglichen Interessenlagen, Chancen und Risiken einzugehen. In den letzten Jahren hat Deutschland Energiepartnerschaften mit einer Reihe von Entwicklungs- und Schwellenländern begonnen, unter anderen mit Algerien, Marokko, Chile und jüngst Namibia. Weitgehend offen ist die Frage, unter welchen Bedingungen diese Länder bereit sein werden, ihre Potenziale an erneuerbaren Energien zu nutzen, um auf großer Skala grünen H2 für den deutschen und europäischen Markt bereitzustellen.
Die NWS muss daher um eine europäische und eine multilaterale Agenda ergänzt werden, die grünen H2 als Chance zur Bewältigung globaler Herausforderungen begreift und auf vielseitigen Nutzen setzt. Beispielsweise sind die Länder Nordafrikas zwingend darauf angewiesen, Beschäftigungschancen gerade für junge Menschen zu schaffen. Internationale Projekte, wie das von Deutschland unterstützte Ouarzazate-Solarprojekt in Marokko, zeigen aber, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten oft bescheiden sind, sobald Großanlagen die Bauphase abgeschlossen haben und in den Regelbetrieb gehen. Deutschland und Europa sollten in einem partnerschaftlichen Ansatz auf mögliche Exportländer zugehen und ausloten, welche Co-Benefits erzielt werden können, um den politischen Willen und die lokale Akzeptanz zur Einbindung in eine internationale Wasserstoffökonomie zu erhöhen. Wissenstransfer und Wissenschaftskooperation sind essentiell, um auch Entwicklungsländer zu befähigen, H2-basierte Lösungen zu entwickeln. Beispiele hierfür sind die Umstellung der Düngemittelproduktion von fossilen Rohstoffen auf H2 oder die Dekarbonisierung der (petro-) chemischen Industrie. Technologisch weiter fortgeschrittene Länder wie Südafrika oder Brasilien könnten Kernkomponenten für Elektrolyseure liefern. In den am wenigsten entwickelten Ländern kann H2 als Energiespeicher in Stromnetzen genutzt werden, die von intermittierenden erneuerbaren Energiequellen gespeist werden.
Vieles spricht dafür, in einem ersten Schritt systematischer als bislang geschehen die NWS und die europäische H2-Strategie zu verschränken. Dies würde die Kraft der europäischen Stimme im internationalen Konzert stärken. Denn für viele Entwicklungsländer steht mit China ein weiterer durchaus interessanter Partner für eine internationale Wasserstoffkooperation bereit.
Dieser Text ist im Rahmen der Reihe „Impulse zur Bundestagswahl“ erschienen.