Die aktuelle Kolumne
Eine sozial gerechte Transformation?
Warum die deutsche G7-Agenda eine stärkere soziale Dimension braucht
Böhl Gutierrez, MauricioDie aktuelle Kolumne (2022)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 31.01.2022
Vor einigen Tagen hat die deutsche Regierung die Agenda für ihren Vorsitz der Gruppe der 7 (G7) mit fünf Schwerpunktbereichen für dieses Jahr vorgestellt. 1973 gegründete, vertritt sie sieben der – gemessen am BIP – größten liberalen Demokratien der Welt und bietet eine Plattform, um unter anderem gemeinsame Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung zu identifizieren. Im Zentrum der diesjährigen Agenda steht eine „sozial gerechte Transformation“, die durch kohlenstoffneutrales und inklusives Wirtschaftswachstum in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen gefördert werden soll. Dies erfordert jedoch integrierte soziale Sicherungsprogramme, die den Lebensunterhalt von Arbeitnehmer*innen und Kommunen während der Umstellung auf grüne Energie sichern. Die Integration verschiedener sozialen Sicherungsinstrumente hilft Gesellschaften, Übergangsprobleme zu bewältigen, zum Beispiel durch verknüpfte und aktive Arbeitsmarktpolitik, öffentliche Beschäftigungsprogramme und Energiesubventionen.
Die Agenda des deutschen G7-Vorsitzes deutet zwar Maßnahmen an, die Länder dabei unterstützen sollen, die sozioökonomischen Folgen dieser Transformation zu bewältigen. Es fehlen allerdings spezifische Ansätze und Konzepte für den Umgang mit der sozialen Dimension. Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen werden beispielsweise Unterstützung benötigen, um Anstiege von Arbeitslosigkeit und Energiepreisen, Störungen der lokalen Wirtschaft und den Ausbildungsbedarf gering qualifizierter Arbeitnehmer*innen zu bewältigen. Das Ziel, bis 2050 kohlenstoffneutral zu werden, birgt komplexe Herausforderungen, die vor allem vulnerable Gruppen hart treffen werden. Um dieses ehrgeizige Vorhaben zu erreichen, sollten die G7 integrierte soziale Sicherungsprogramme als Eckpfeiler ihrer Entwicklungsstrategien in Betracht ziehen.
Die COVID-19-Pandemie hat die entscheidende Rolle sozialer Sicherungsprogramme verdeutlicht, um negative sozioökonomische Auswirkungen abzufedern. Diese bewahrten mit Geld- und Sachleistungen viele vor dem Abrutschen in die Armut und Expert*innen empfehlen, sie für grüne Wiederaufbaupläne zur Anpassung an den Klimawandel zu nutzen. Vor allem integrierte soziale Sicherungsprogramme haben ein großes Potenzial, Ländern eine sozial gerechte, grüne Transformation zu ermöglichen. In einem UNICEF Bericht heißt es: „Integrierte soziale Sicherung schafft ein Umfeld, in dem Leistungen und Dienste einander ergänzen, um die menschliche Entwicklung angemessen zu unterstützen.“ Eine DIE-Studie zeigt, wie ein umfassendes Paket von Programmen, das Geldtransfers, Finanz- und Unternehmensschulungen sowie die Mobilisierung von Gemeinschaften für die soziale Integration beinhaltet, die finanzielle Inklusion und wirtschaftliche Selbstbestimmung im Vergleich zu Einzelmaßnahmen verbessert. Solche Synergien in sozialen Sicherungsprogrammen sowie die Einbindung universeller Maßnahmen, die die negativen Folgen der Energiewende abmildern, wäre ein entscheidender Schritt beim Übergang zu grüner Energie. Universelle Maßnahmen haben den Vorteil, dass alle gefährdeten Haushalte Zugang zu Programmen wie Geldtransfers, Schulspeisung und Qualifizierungsmaßnahmen bekommen.
Um die geplante sozial gerechte Transformation zu einer kohlenstoffneutralen globalen Gesellschaft zu erreichen, müssen die G7 Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen beim Auf- und Ausbau integrierter sozialer Sicherungsprogramme unterstützen. In einem ersten Schritt sollten die G7 diesen Ländern helfen, die potenziellen sozioökonomischen Auswirkungen des Transformationsprozesses zu analysieren. Mit diesen Informationen können die Länder Strategien entwickeln, um den negativen Auswirkungen mit einer Reihe von integrierten Programmen zu begegnen. Zusätzliche Forschung sollte Umsetzungsstrategien unterstützen, wobei die Schwerpunkte auf nationaler Eigenverantwortung und innovativen Programmen liegen sollten. Die Länder benötigen eine solide Evidenzbasis, um voneinander zu lernen und kontextspezifische Lösungen zu entwickeln. Da diese Veränderungen und die damit verbundene Forschung große Investitionen erfordern, sollten die G7 den Ländern finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Der „Global Fund for Social Protection“ bietet eine hervorragende Gelegenheit, die Mittel für die Umsetzung integrierter Programme zur Verfügung zu stellen und die Initiative „Just Transition Partnership with South Africa“ wäre eine geeignete Fallstudie, um das Potenzial integrierter Programme zu demonstrieren.
Um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern, muss die Welt gemeinsam handeln. Deswegen müssten die von den G7 vorgeschlagenen Klimaschutzmaßnahmen integrierte soziale Sicherungsprogramme beinhalten, die einen gerechten Wandel ermöglichen. Insbesondere Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen werden Schwierigkeiten haben, Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen, ohne die bestehende Armut und Ungleichheit in ihren Ländern (weiter) zu verschärfen. Die aktuelle G7-Agenda geht nicht umfassend genug auf die Herausforderungen eines sozial gerechten Übergangs ein und würde von einer klaren Vision der Integration verschiedener Sozialschutz- und Klimaschutzprogramme in ein kohärentes System profitieren. Andernfalls gefährdet die G7 den Erfolg der globalen Klimaschutzbemühungen, da viele Länder Mühe haben werden, mit den Veränderungen fertig zu werden.