Die aktuelle Kolumne

Geopolitik für Nachhaltigkeit

Warum der European Green Deal Mut für die 2020er Jahre macht

Scholz, Imme / Adolf Kloke-Lesch
Die aktuelle Kolumne (2020)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 13.01.2020

Die Bilder von den verheerenden Waldbränden in Australien haben den Jahreswechsel nach 2020 beherrscht. Feuersbrünste, die sich schnell ausbreiten und Barrieren überspringen; Menschen, die sich an die Strände flüchten und dort dicht gedrängt mit ihren Tieren unter einem orangefarbenen Himmel auf Hilfe warten: Apokalyptische Bilder, wie wir sie sonst eher von Katastrophen in ärmeren Ländern kennen. Auf den Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen, extremer Dürre und wachsendem Risiko von Waldbränden hat auch in Australien die Forschung seit 30 Jahren immer wieder hingewiesen. In den australischen Medien spielt das aber kaum eine Rolle, ebenso wenig gelangte die australische Regierung bislang zu dieser Einsicht. Dies hat in Australien Tradition. Zuletzt blockierte das Land zusammen mit Russland und Saudi-Arabien die Klimaverhandlungen im Dezember in Madrid, um den Export seiner Kohlevorräte und deren heimische Verstromung nicht zu gefährden.

Die Bilder aus Australien führen uns vor Augen, welche Folgen bereits etwas mehr als 1°C globale Erwärmung in einem ohnehin heißen und trockenen Kontinent haben: Australiens Ökosysteme können Feuern in den trockenen Sommern standhalten, nicht aber Bränden in diesem Ausmaß. In Europa erreichen uns diese Bilder als Mahnung. Die Folgen und Ursachen des Klimawandels werden in den Medien breit behandelt und von Politik und Gesellschaft diskutiert.

Hier liegt der wesentliche Unterschied zu Australien: Europa weiß, dass es den Klimawandel gibt und will sich ihm (entgegen)stellen. Mit dem European Green Deal verfügt die Europäische Union nun über ein Programm, um Treibhausgasemissionen europaweit koordiniert zu senken und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Die dabei entstehenden Lasten sollen geteilt werden, um insbesondere auch osteuropäische Mitgliedstaaten mitzunehmen. Dieser Ansatz der von Ursula von der Leyen geführten Kommission kann den Menschen Mut machen, die für „climate action now!“ 2019 auf die Straßen gegangen sind – wenn er ernsthaft umgesetzt wird und dabei auch die Schwächen in der Klima- und Energiepolitik der Mitgliedstaaten benannt und von diesen korrigiert werden. So muss zum Beispiel Deutschland die rechtlichen und wirtschaftlichen Blockaden für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien schnell auflösen und mit dem Umbau des Verkehrssystems ernst machen.

Der European Green Deal geht aber auch weit über Klimapolitik hinaus und will Transformationen in Schlüsselbereichen nachhaltiger Entwicklung vorantreiben. Er zielt unter anderem auf die Verringerung des Ressourcenverbrauchs durch eine saubere Kreislaufwirtschaft, ein gesundes, umweltfreundliches Landwirtschafts- und Ernährungssystem, und eine Mobilitätswende. Alle europäischen Politiken und Programme werden verpflichtet, sich am Green Deal auszurichten. So soll auch die wirtschaftspolitische Koordinierung in der EU Nachhaltigkeit und menschliche Wohlfahrt ins Zentrum der Wirtschaftspolitik rücken und die Ziele der globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zum Hauptthema der Politikgestaltung und des politischen Handelns in der EU machen.

Dies ist nach fünf Jahren des Zögerns und Reflektierens das erste Mal, dass die Europäische Union Nachhaltigkeit und Klima ins Zentrum ihres Handelns stellt. Nachhaltigkeit als Markenkern des europäischen Regierungsprogramms setzt auch neue Maßstäbe für Relevanz und Struktur der in 2020 weiterzuentwickelnden Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.

Die Kommission will mit dem Green Deal Chancen für ein besseres Leben in Europa nutzen, Vorteile im wirtschaftlichen Wettbewerb erschließen sowie globale Verantwortung und internationale Glaubwürdigkeit wieder stärken. Dafür muss die EU nicht nur intern überzeugend und kraftvoll handeln, sondern auch ihre Außenbeziehungen sowohl zu anderen Industrieländern als auch zu den Schwellen- und Entwicklungsländern kohärent umgestalten. Wenn von der Leyens Konzept einer „geopolitischen Kommission“ für nachhaltige Politik beherzt mit Leben erfüllt wird, könnte dies internationale Politik grundlegend verändern.

Die Entwicklungspolitik müsste Nachhaltigkeit und Klimawandel zur übergreifenden Priorität  erklären und ihr Handeln in allen Bereichen konsequent darauf ausrichten. So könnte auch der weitere Ausbau von Kohlekraftwerken verhindert werden, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent. Die Neukonzipierung der europäischen Strategie zu Afrika bietet dafür eine Chance, zu der die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in diesem Jahr entscheidend beitragen kann.

Insgesamt muss die EU durch Nutzung ihres gesamten außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Instrumentariums dazu beitragen, dass ihre Partner weltweit wirtschaftliche Entwicklung an den Chancen des 21. Jahrhunderts orientieren, statt am fossilen Zeitalter festzuhalten. So würden Nachhaltigkeits- und Klimapolitik zu zentralen Bestandteilen auch der europäisch-australischen Kooperationsbeziehungen.

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