Die aktuelle Kolumne

Von Wandel, Macht und Verantwortung: aufstrebende Führungsmächte als neue Partner globaler Strukturpolitik

Lätt, Jeanne / Asiye Öztürk
Die aktuelle Kolumne (2009)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 09.02.2009)

Bonn, 09.02.2009. „Lieber am Tisch als auf der Speisekarte“ sieht sich Mexiko künftig bei internationalen Verhandlungen, wenn man einem Botschafter aus diesem Land glauben soll. Überliefert wurde diese Aussage im Rahmen einer Tagung von rund sechzig Nachwuchsführungskräften aus Deutschland und den sieben aufstrebenden Führungsmächten China, Indien, Indonesien, Ägypten, Südafrika, Brasilien und Mexiko, die im Dezember 2008 am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) stattfand. Die Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft diskutierten, wie vor dem Hintergrund „tektonischer Verschiebungen“ im globalen Machtgefüge eine Aufgabenteilung in einer neuen Weltordnung aussehen könnte.

Vermehrt fordern die aufstrebenden Führungsmächte in internationalen Organisationen eine Rolle, die ihrem aktuellen politischen und wirtschaftlichen Status entspricht. Drei Eigenschaften verbinden diese Länder: (1) Ihr beeindruckendes wirtschaftliches Wachstum; (2) ihr steigender politischer Einfluss in ihren Nachbarregionen; (3) ihr zunehmendes Selbstbewusstsein auf globaler Ebene.

Die Struktur und Stimmenverteilung in den UN-Institutionen folgen einer Nachkriegszeitlogik, die längst passé ist. Auch im Bereich des internationalen Handels werden traditionelle Arrangements in Frage gestellt: So hat die von Indien und Brasilien angeführte Gruppe der G20 in der laufenden WTO-Handelsrunde zum ersten Mal ihre Verhandlungsmacht genutzt, um einen erleichterten Zugang für Agrarprodukte auf den westlichen Märkten zu fordern. Und schließlich hat die aktuelle Finanzkrise gezeigt, dass ein Land wie China, das über die größten Devisenreserven weltweit verfügt, vom Tisch der Großen nicht mehr wegzudenken ist.

Dieser Wandel ist an den westlichen Industriestaaten nicht unbemerkt vorübergegangen. Aufstrebende Führungsmächte sollen ihrem Willen nach stärker in die Pflicht genommen werden. Angesichts des Klimawandels geraten die aufstrebenden Volkswirtschaften, von denen einige zu den größten CO2-Emittenten gehören, zunehmend unter internationalen Druck. Zwar werden diese Länder dafür kritisiert, dass sie internationale Kooperationsbemühungen blockieren – sei es im Bereich des Klimaschutzes, der internationalen Handelsgespräche oder der Menschenrechte. Dennoch: Die seit dem Heiligendamm-Gipfel im Juni 2007 vorgenommene Anbindung der G5-Staaten (Brasilien, Mexiko, Südafrika, Indien und China) an die G8 muss als Einsicht der Industriestaaten gewertet werden, dass eine Neuordnung der globalen Finanz- und Wirtschaftsstrukturen ohne diese Länder nicht mehr möglich ist.

Es ist voreilig, daraus auf eine klar definierte neue Rolle für aufstrebende Führungsmächte zu schließen. Dazu ist die Interessenlage dieser Ländergruppe zu divers. Auf wirtschaftlicher Ebene verdrängen China und Indien andere Produzenten – darunter auch aufstrebende Führungsmächte wie Mexiko – vom Weltmarkt. In politischer Hinsicht steht China der ständigen Mitgliedschaft Indiens im UN-Sicherheitsrat immer noch skeptisch gegenüber. Ferner variiert ihr Einflusspotenzial zur Umsetzung globaler Problemslösungsansätze: China ist den anderen aufsteigenden Führungsmächten in Bereichen wie Finanzen oder Handel weit voraus, während Brasilien zwar nicht die imposanten Wachstumszahlen von China und Indien aufweist, im Bereich Ressourcenschutz aber aufgrund seiner Biosphäre ein wichtiger globaler Partner ist.

Ebenso wichtig ist, dass diese Länder in den unterschiedlichen multilateralen Foren zuweilen Ziele verfolgen, die nicht zwangsläufig denen der traditionellen Industrienationen entsprechen. Während des letzten G8-Gipfels haben sie eine Deklaration formuliert, die zu den Themen Finanzkrise und internationale Zusammenarbeit bedeutende Unterschiede zu den Sichtweisen der G8 offenlegt. Im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes weigern sich Länder wie China und Indien bisher, regulatorische Auflagen zur Reduktion von CO2-Emissionen anzunehmen, die ihr Recht auf Entwicklung einschränken und ihrem im Vergleich zu Industriestaaten niedrigen per capita Emissionsverbrauch nicht gerecht würden.

Schließlich ist eine Partnerschaft mit den aufstrebenden Führungsmächten zur Bewältigung globaler Probleme ohne ein gemeinsames Grundverständnis dieser Probleme nicht denkbar. Hier hapert es aber oft, da zuweilen ein unterschiedliches Verständnis von Begriffen wie Menschenrechte, Demokratie oder nationaler Souveränität vorherrscht. Länder wie China, Indien oder Mexiko befürchten nicht selten, „westliche“ Konzepte, Perspektiven und Prioritätensetzungen aufgezwängt zu bekommen oder ihre nationale Souveränität einzubüßen.

Eines steht fest: Eine globale Partnerschaft zwischen den traditionellen Industriestaaten und aufstrebenden Führungsmächten wird von allen Seiten viel politischen Willen und Engagement abverlangen. So wird die EU beweisen müssen, dass sie in der Lage ist, nationale Interessen und Handlungsstrategien zu koordinieren und ein entsprechendes außenpolitisches Instrumentarium zu entwickeln. Außerdem muss die westliche Staatengemeinschaft bereit sein, von ihrer bislang privilegierten Stellung in internationalen Institutionen zugunsten einer breiteren Repräsentanz der aufsteigenden Akteure zurückzuweichen. Die aufstrebenden Führungsmächte werden nur dann Verantwortung übernehmen, wenn ihnen auch eine Rolle zugestanden wird, die über eine Alibi-Präsenz hinausgeht. Denn Akteure, die nur als Statisten an der Gestaltung des internationalen Systems teilnehmen können, werden auch wenig Interesse an dessen konstruktiver Weiterentwicklung zeigen.

Die größte Herausforderung für die aufstrebenden Führungsmächte liegt darin, angesichts der internen sozialen Ungleichheiten und der verheerenden Armut im eigenen Land genügend Kapazitäten für ihr internationales Engagement zu mobilisieren. Dies erreichen sie nur, wenn sie ihren wirtschaftlichen Aufstieg nachhaltig und sozial verträglich gestalten. Auch werden diese Länder das Kunststück vollbringen müssen, globales leadership zu entwickeln, ohne dabei den Anschein zu erwecken, lediglich ein Sprachrohr des Westens zu sein. Denn dies könnte die Legitimität dieser Länder im „globalen Süden“, als dessen Fürsprecher sie sich sehen, stark in Frage stellen.

Schon jetzt ist absehbar, dass kein Weg an einer pluralistischen Weltordnung vorbeiführt. Nötig dafür ist ein ernst gemeinter und tief greifender Reformprozess hin zu einer globalen Partnerschaft für eine globale Strukturpolitik – Ein Reformprozess also, der weiter geht als der vom Adeligen Tancredi im Roman Der Leopard formulierte Aphorismus: „Es muss sich alles ändern, damit es so bleibt wie es ist“.

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