Die aktuelle Kolumne

Überarbeitung des Cotonou-Abkommens: nichts Neues unter der Sonne?

Grimm, Sven / Davina Makhan
Die aktuelle Kolumne (2010)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 05.07.2010)

Bonn, 05.07.2010. In der vorletzten Woche waren viele Augen auf die G8 und G-20-Gipfel gerichtet, die vom 25. bis 27. Juni in Kanada stattgefunden haben. Nur wenige Tage zuvor waren Vertreter aus mehr als der Hälfte aller Staaten der Erde in Ouagadougou (Burkina Faso) zusammengekommen. Doch trotz dieser beachtlichen Teilnehmerzahl verlief dieses Treffen – um es vorsichtig auszudrücken – außerhalb von Fachkreisen eher unbemerkt. 79 Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP-Staaten), die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und die Europäische Kommission unterzeichneten das überarbeitete Cotonou-Partnerschaftsabkommen und mit ihm Inhalt und Regeln ihrer Beziehungen. Das AKP-EU-Abkommen stammt aus der Anfangszeit der EU und könnte insofern „Schnee von gestern“ sein. Die zweite Überarbeitung des Cotonou-Abkommens verdient indes mehr Aufmerksamkeit, als sie bislang erfahren hat.

Das in Cotonou (Benin) unterzeichnete Abkommen ist ein Eckpfeiler der auswärtigen Beziehungen der Europäischen Union. Sein Gegenstand sind Handelsbeziehungen, Entwicklungszusammenarbeit und der politische Dialog zwischen der EU und den AKP-Staaten. Abgeschlossen im Jahr 2000, gilt es bis 2020. Während dieser Zeit soll die Partnerschaft durch regelmäßige Überprüfungen „auf dem neuesten Stand“ gehalten werden. Dabei ist zunächst zu klären, was von der Überprüfung erwartet werden kann. Als Beobachter kann eine Überarbeitung am besten bewerten, wer einen Schritt zurücktritt und abseits gewohnter Bahnen denkt. Das macht es leichter, Ziele und Visionen zu erkennen. Die Partnerschaft mit den AKP-Staaten sagt etwas über die Stellung der Europäischen Union in der Welt aus. Und sie belegt, dass die EU im Lauf der Jahrzehnte Aufgaben auf internationalem Parkett übernommen hat. Das Abkommen ist keine reine Erfolgsgeschichte und hat bestenfalls gemischte Ergebnisse erzielt, etwa im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung, die es fördern wollte. Die Relevanz der AKP-Staaten als Gruppe, deren Wurzeln in der kolonialen Vergangenheit der EU liegen, wird grundsätzlich infrage gestellt – immer wieder und mit den Jahren in verstärktem Maße. Aber sie wird auch energisch verteidigt. Dennoch fragt sich, wie sie mit jüngeren Organisationen vereinbar ist, zum Beispiel mit der Afrikanischen Union (AU), die heute Partner der AKP-EU-Partnerschaft ist und deren Mitgliederzusammensetzung sich mit der der AKP-Gruppe überschneidet.

Der Schritt zurück kann aber auch zu weit gehen. Kaum jemand fängt jedoch bei null an, und es war nicht Aufgabe der Halbzeit-Überprüfung, eine Grundsatzdiskussion zu führen. Zudem hat das Cotonou-Abkommen erstaunlicherweise noch immer eine Vorreiterrolle inne: Seit der Unterzeichnung der Erklärung von Paris 2005 in Frankreich sprechen wir im Rahmen einer Reformagenda für Entwicklungszusammenarbeit von gegenseitiger Rechenschaftspflicht – das Cotonou-Abkommen sieht eine langjährige Paritätische Parlamentarische Versammlung vor. Und wir sprechen von einem verstärkten politischen Dialog mit Entwicklungsländern – für diesen Dialog bietet Cotonou ein durchdachtes Verfahren an. In der Welt der Realpolitik könnte es in der Tat klüger sein, zunächst in gewohnten Bahnen zu denken, um Beweggründe und logische Grundlagen zu verstehen und ihnen gemäß zu urteilen. Das mag nicht aufregend sein, aber es ist politisch relevant.

Viele Änderungen an dem Abkommen sollen es auf neue und künftige globale Herausforderungen ausrichten: Klimawandel, Frieden und Sicherheit, kohärentere Politiken für eine nachhaltige Entwicklung (zum Beispiel in der Fischerei), die Einbeziehung von Ernährungssicherheit, die Gestaltung von „Aid for Trade“ (Handelshilfe) – all dies zählt zu den Themengebieten, die im überarbeiteten Text stärker betont oder in ihn integriert wurden. Jenseits dieser Änderungen jedoch kann die Überarbeitung des Cotonou-Abkommens durchaus einer grundlegend neuen Form der Interaktion zwischen der EU und den AKP-Staaten den Weg bereiten. Zwei zentrale Prozesse sind jetzt effizienter organisiert: die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit und die regionale Integration innerhalb der AKP-Staaten.

Zunächst zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit: Das heutige internationale Normenwerk, wie es die Erklärung von Paris festschreibt, existierte noch nicht, als das Cotonou-Abkommen 2000 geschlossen wurde. Die Einbindung der Prinzipien der „Aid Effectiveness“-Agenda in dieses Abkommen ist damit ein Klassiker und wenig aufregend, wohl aber eine Aktualisierung, die Anerkennung verdient. Letztlich bedeutet sie, dass die EU ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit als verlässlicher Entwicklungspartner wiederherstellen muss. Doch machen wir uns nichts vor: Das bedarf einiger Anstrengungen. Die Fähigkeiten und Potenziale in Partnerländern, mögliche strategische Inkohärenzen aufzuzeigen, sind begrenzt, und die EU muss flexibel sein, um Einzelfällen Rechnung tragen zu können. In diesem Kontext ist es sinnvoll, die Parlamente von Partnerländern zu stärken, auch wenn viele nur bedingt leistungsfähig sind. Die Einbindung von Nichtregierungsvertretern ermöglicht es den demokratischen Gesellschaften, Transparenz und Rechenschaftslegung zu verbessern. Leider wurde jedoch beispielsweise die Paritätische Parlamentarische Versammlung noch nicht am Überarbeitungsprozess beteiligt.

Die verstärkte Betonung regionaler Integration entspricht den erklärten Schwerpunkten vieler AKP-Staaten, in denen Integration als wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung gilt. So haben die AU und Regionalorganisationen in West- und Ostafrika in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte erzielt, auf denen man aufbauen kann und die unterstützt werden sollten. Aber in einer immer stärker im Wettbewerb stehenden Welt von Partnerschaften (um nicht „Geberschaft“ zu sagen) kann die Förderung regionaler Integration auch zum zentralen Unterscheidungsmerkmal der EU werden. Selbst wer in gewohnten Bahnen denkt, wird Erschütterungen von außerhalb wahrnehmen. China ist nur das offensichtlichste Beispiel für Länder, die die EU in ihrer „Komfortzone“, nicht zuletzt in Afrika, herausfordern. Als Ergebnis vertiefter Integration besitzt die EU einen klaren komparativen Vorteil bei ihrem Einsatz für Regionen. Und sie verfügt über langjährige, wenn auch nicht durchweg positive Erfahrungen auf diesem Gebiet. Nötig ist hier ein wirksamerer Ansatz, der Initiativen von AKP-Staaten nicht vorgreift, sondern wesentliche und wirkliche Integration unterstützt – in Afrika und andernorts. Europa kann Integration nur fördern, nicht initiieren.

Aufgabe dieser Überarbeitung war es nicht, über die Zukunft der AKP-EU-Partnerschaft nachzudenken. Gleichwohl wird sich die Situation 2020, wenn das Cotonou-Abkommen ausläuft, wahrscheinlich ganz und gar anders darstellen als heute. Die Verhandlungsführer der AKP-Staaten und der EU dürfen mit ihren langfristigen Überlegungen nicht zu lange warten: Nach der Überprüfung ist vor der Überprüfung. Bei der nächsten Überarbeitung des Cotonou-Abkommens 2015 (und idealerweise schon vorher) muss der Fahrplan für das ab 2020 gültige Regelwerk vorliegen. Nur so ist ein reibungsloser Übergang in die nächste Phase der AKP-EU-Partnerschaft möglich. Und das heißt, sich entsprechend vorzubereiten: entweder auf ein Begräbnis mit Trauerzeit oder auf eine Feier der Wiedergeburt.

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