Die aktuelle Kolumne
Think Tanks fordern einen Neuanfang in der europäischen Entwicklungspolitik
Grimm, Sven / Simon MaxwellDie aktuelle Kolumne (2010)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 22.02.2010)
Bonn, 22.02.2010. Die Europäische Union (EU) hat neue Köpfe in der Europäischen Kommission, ein durch den Lissabonner Vertrag gestärktes Europäisches Parlament und das Versprechen der Mitgliedstaaten, dass sie die europäische Außenpolitik in ihren verschiedenen Facetten besser koordinieren werden. Während sich in Brüssel die neue EU-Kommission konstituierte, präsentiert die European Think-Tanks Group – bestehend aus dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), dem Overseas Development Institute (ODI), der Fundación para las Relaciones Internacionales y el Diálogo Exterior (FRIDE) und dem European Centre for Development Policy Management (ECDPM) – das EU-Memorandum <link https: www.die-gdi.de cms-homepage openwebcms3.nsf>Neue Herausforderungen, neue Ansätze – Die nächsten Schritte in der Europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Das Memorandum analysiert sowohl die gegenwärtige europäische Politik als auch die anstehenden Herausforderungen – Klimawandel, Migration, Handelspolitik, entwicklungspolitische Kohärenz und Arbeitsteilung. Darauf aufbauend formuliert die Gruppe der Europäischen Think Tanks Empfehlungen für nationale und europäische Entscheidungsträger. Noch gelingt es Europa nicht, in der Welt der „Großen Zwei“ – den USA und China – mitspielen zu können. Dies zeigte sich nicht zuletzt Ende 2009 bei den gescheiterten Klimaverhandlungen in Kopenhagen, als in den entscheidenden Verhandlungsrunden die USA und China unter sich blieben.
Betrachtete man die Außenbeziehungen der Europäischen Union als einen Chor, sähe man eine Gruppe eingefleischter Solisten, die ohne Dirigenten ein neues Stück erarbeiten. Mit dem Lissabonner Vertrag hat diese Gruppe – die EU – mühsam eine Seite Notenblatt erarbeitet. Dies ist lobenswert. Es kommt aber, um im Bild zu bleiben, zu einem Zeitpunkt, an dem die Baufälligkeit des globalen Konzertsaals offensichtlich wird: die Inhalte und Gewichte der globalen Politik verschieben sich gegenwärtig Richtung Pazifik.
Europa ist eine global vernetzte Region, doch stark „Atlantisch“ geprägt. Frieden und Wohlstand in Europa hängen davon ab, dass in internationalen Gremien Entscheidungen getroffen werden, die langfristig wirken. In der Konsequenz nimmt damit die Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik (oder auch Europa- und Weltpolitik) immer deutlicher ab. Es gibt keine „Insel der Seligen“ in einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, weder in Europa noch in Afrika oder anderswo. Das globale Klima verändert sich und unsere Lebensweise wird sich verändern (müssen). Dies betrifft nicht nur die USA oder den globalen „Neuverschmutzer“ China, sondern auch und gerade Europa – sowie Afrika, das den Klimawandel kaum verursacht. Kurz: Wir haben ein aufgeklärtes Eigeninteresse an globaler Entwicklung.
Um als globaler Akteur aus eigener Kraft ernst genommen zu werden, so der Tenor der Autoren des EU-Memorandums, müssen die europäischen und nationalen Führungskräfte fünf zentrale Punkte bearbeiten:
Erstens muss Entwicklungspolitik als Teil globaler Problemlösungen gesehen – und damit zu einem zentralen Bereich europäischer Außenpolitik werden. Hier muss Europa globale Führung bieten: in diesem Jahr werden die Welthandelsgespräche in Genf fortgesetzt. Und die Vereinten Nationen veranstalten im September einen Gipfel zu den bisherigen Ergebnissen der Entwicklungspolitik, gemessen an den im Jahr 2000 formulierten UN-Millenniumsentwicklungszielen (Millennium Development Goals – MDGs). Im Juni treffen sich in Kanada die G 8 bzw. die G 20, um die Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen. Darüber hinaus kommen die Klimaverhandlungen im Juni in Bonn wieder auf die Arbeitsebene zurück, in der Hoffnung, dass es bis zum nächsten Klimagipfel im Dezember in Mexiko zu einer Einigung kommt. Wie weit wird Europas Stimme in diesen Konzerten tragen?
Der zweite Punkt sind die Zusagen zum Umfang und zur Wirksamkeit globaler Entwicklungshilfe. Es geht um Europas Glaubwürdigkeit. Nicht genug, dass die Geber in Afrika oftmals kaum koordiniert übereinander stolpern, bieten die EU-Staaten bisher 20 Milliarden Euro weniger an Hilfe auf als ursprünglich zugesagt. Und es gibt Befürchtungen, dass Zusagen im Bereich der Klimaschutzfinanzierung zu Lasten anderer Bereiche gehen werden und Europa so eine Nullsummen-Politik verfolgt, getreu dem Motto „aus der linken Tasche – in die rechte Tasche“.
Drittens, Entwicklungshilfe darf keine Reparatur dessen sein, was europäische Politik an anderer Stelle nimmt. Handel, Klimaschutz und Einwanderungspolitik sind Beispielbereiche, die mit entwicklungspolitischen Zielen koordiniert werden müssen. Dies ist eine andauernde Aufgabe, für die es keine Patentlösungen geben wird.
Viertens muss in globale Entwicklungspartnerschaften investiert werden. Dies sind Investitionen in eine gemeinsame Zukunft. Partner müssen auf gleicher Augenhöhe agieren können – und es müssen dann auch gleichberechtigt Problemlösungen gefunden werden. Die internationalen Entscheidungen in naher Zukunft stellen Europa auf die Probe, denn Reformen in den Bretton-Woods-Institutionen stehen unmittelbar an. Bereits jetzt sind internationale Machtverschiebungen offensichtlich. Europa ist, gemessen an seiner relativ zu Asien abnehmenden Wirtschaftskraft, in IWF und Weltbank überrepräsentiert. Dabei verwechselt Europa in internationalen Gremien oftmals Masse mit Klasse: viele Vertreter in den G 20 oder im Währungsfonds bedeuten nicht mehr Einfluss, wenn die Abstimmung im Vorfeld nicht erfolgreich war. Nur als Chor wird Europa hörbar.
Und schließlich verweisen die Autoren des EU-Memorandums auf die Möglichkeiten des neuen Europäischen Außendiensts. Die Mischung von Personal aus den Mitgliedstaaten und aus EU-Institutionen ist eine Chance. Hier gibt es gegenwärtig jedoch noch mehr Fragen als Antworten. Verträge – auch der reform-orientierte Lissabonner EU-Vertrag – werden geduldiges Papier bleiben, wenn Europas Institutionen und Personen nicht besser zusammenarbeiten. Muss Europa jetzt also stärker zentralisieren? Dies ist keine realistische Option, wie das lange Ringen um die EU-Reformen in den letzten neun Jahren gezeigt hat.
Der Lissabonner Vertrag ist kein Urknall für Europas globale Macht. Aber er bietet den Rahmen für eine bessere Abstimmung. Eine verbesserte Arbeitsteilung im Rahmen der EU muss Realität werden, um Europas Vielfalt zu einem guten Chor zu orchestrieren. Andernfalls wird Europa zum weltpolitischen Hintergrundgeräusch. Die globale Akustik wird bei einer Welt der „Großen Zwei“ für die europäischen Staaten auf jeden Fall schlechter.