Die aktuelle Kolumne
Digitaler Aufstand
Soziale Medien und Demokratie: Reflexionen zur Amtsenthebung in Südkorea
Yi, HyunAh / Dennis SchüpfDie aktuelle Kolumne (2025)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 14.04.2025
Bonn, 14. April 2025. In weniger als einem Jahrzehnt wurden in Südkorea zwei Präsidenten durch Massenproteste ihres Amtes enthoben. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes sind hin- und hergerissen zwischen tiefer Scham, dass solche Führer ihr Land repräsentierten, und großem Stolz, sie auf demokratischem Weg abgesetzt zu haben. Die jüngste Amtsenthebung von Ex-Präsident Yoon Suk-yeol, der am 3. Dezember 2024 das Kriegsrecht verhängte, um an der Macht zu bleiben, endete mit seiner Absetzung durch das Verfassungsgericht am 4. April 2025. 122 Tage lang füllten unzählige Menschen trotz klirrender Winterkälte die Straßen, forderten Rechenschaft und verteidigten, was sie als ernsthafte Bedrohung der Demokratie ansahen.
Einzigartig an dieser Protestwelle war die sichtbare und starke Präsenz der Jugend, insbesondere der jungen Frauen. Frustriert über die antifeministische Rhetorik und Politik des ehemaligen Präsidenten übernahmen sie die Führung der Bewegung. Indem sie die K-Pop-Kultur mit digitalen Plattformen verbanden, verwandelten sie traditionelle Protestformen in lebendige, trendige und inklusive Ausdrucksformen zivilgesellschaftlichen Engagements. K-Pop-Leuchtstäbe ersetzten Kerzen als Protestsymbol, Plakate zeigten stilisierte Slogans in Hangul (koreanisches Alphabet) mit globalen Hashtags. Demonstrierende sangen und tanzten gemeinsam - nicht nur gegen einen Präsidenten, sondern auch für eine Vision der Gesellschaft, in der sie leben wollen.
Soziale Medien standen im Mittelpunkt dieses Wandels. Vor den wöchentlichen Demonstrationen wurden online Playlists geteilt - so entstanden Räume, in denen ältere Generationen K-Pop-Hymnen sangen, während jüngere Teilnehmende traditionelle Protestlieder lernten. Dieser Austausch stärkte die Solidarität zwischen den Generationen. Menschen, die nicht persönlich teilnehmen konnten, bezahlten im Voraus für Getränke oder Essen in Cafés in der Nähe der Protestorte - kleine Gesten der Solidarität, die über digitale Plattformen koordiniert und verstärkt wurden. Die Botschaft war klar: „Wir sind nicht allein - wir sind eins“.
Die sozialen Medien haben aber auch die Spaltung verstärkt. Rechtsextreme Influencer nutzten Plattformen wie YouTube und Messenger-Apps, um Verschwörungstheorien zu verbreiten und zu Gewalt aufzurufen. Sie stilisierten die Amtsenthebung als linken Putsch und erklärten die demokratischen Institutionen für illegitim. Einige rechtfertigten sogar das Kriegsrecht als notwendige Reaktion auf ein angebliches „nationales Chaos“. Am deutlichsten wurde dies bei der gewaltsamen Erstürmung des Bezirksgerichts im Westen Seouls, die an den Sturm auf das US-Kapitol im Jahr 2021 erinnerte.
Diese doppelte Natur digitaler Plattformen – als Mittel der Ermächtigung und zugleich der Destabilisierung – ist kein südkoreanisches Phänomen. Von den Aufständen des Arabischen Frühlings bis zur Black Lives Matter-Bewegung sehen wir, wie soziale Medien Veränderung mobilisieren können, zugleich aber auch Nährboden für Desinformation und Polarisierung bieten. Auch die jüngsten Wahlen in Deutschland zeigen die Risiken scheinbar harmloser Inhalte, die über Algorithmen rechte Narrative subtil auf TikTok verbreiten – mit spürbarem Einfluss auf junge Wählerinnen und Wähler. Solche Strategien trugen wesentlich zum Erfolg der rechtsextremen AfD bei, die bei den Europawahlen im Juni 2024 ihren Stimmenanteil unter 18- bis 24-Jährigen verdreifachen konnte. Influencer und Blogs spielen eine zentrale Rolle in Netzwerken, die provokative Inhalte über Fakten stellen – eine wachsende Bedrohung für demokratische Strukturen.
Die südkoreanischen Proteste stehen somit exemplarisch für ein globales Phänomen: Demokratie im digitalen Zeitalter wird zunehmend von Algorithmen, Viralität und Online-Kultur geprägt. Trotz der Flut von Falschinformationen und digitaler Hetze brach die Demokratie in Südkorea nicht zusammen - das Verfassungsgericht fungierte als unabhängige und professionelle Institution zur friedlichen Lösung einer politischen Krise. Doch erst die breiten öffentlichen Proteste veranlassten die Nationalversammlung zum Handeln und verliehen der Entscheidung des Gerichts demokratische Legitimität. Diese Erfahrung bestätigt eine wichtige Wahrheit: Demokratische Institutionen funktionieren am besten in Verbindung mit einer aktiven, partizipativen Zivilgesellschaft.
Die jüngste Protestbewegung in Südkorea zeigt eindrucksvoll das Potenzial einer vernetzten Bürgerschaft. Sie verdeutlicht, dass Demokratie heute nicht nur in Parlamenten und Gerichtssälen gelebt wird, sondern auch im digitalen Raum - wo Hashtags Schlagzeilen ersetzen und Solidarität durch geteilte Playlists und virale Beiträge entsteht. Südkorea steht mit seinen politischen Krisen nicht allein da: Viele Länder sind derzeit von Krieg oder autoritären Regimen betroffen, die die Sicherheit und Würde ihrer Bürgerinnen und Bürger bedrohen. Als digitale Bürgerinnen und Bürger einer vernetzten Welt müssen wir Desinformation aktiv entgegentreten, Medienkompetenz durch kritisches Bewusstsein - insbesondere bei jungen Menschen - fördern und starke Gegennarrative entwickeln, um demokratische Werte zu stärken.