Die aktuelle Kolumne

Wie fängt man einen Seeigel?

So wird das Versprechen von Privatinvestitionen in fragile Staaten Wirklichkeit

Ragoussis, Alexandros
Die aktuelle Kolumne (2019)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), (Die aktuelle Kolumne vom 27.05.2019)

Bonn, 27.05.2019. Im Jahr 2017 betrug das Bruttoinlandsprodukt aller 36 von der Weltbank als fragil eingestuften Länder zusammen weniger als das von Nordrhein-Westfalen. Allein in Finnland gab es in diesem Jahr mehr ausländische Direktinvestitionen als in allen fragilen Staaten zusammen. In solchen Staaten verändert sich vieles von einem Jahr zum anderen. Aber diese Zahlen sind seit Jahrzehnten unverändert. Das ist ein Problem. 

Noch vor zehn Jahren gab es anderorts viel mehr Armut, um die man sich sorgen konnte. Das sieht heute anders aus. Die Armen der Welt konzentrieren sich zunehmend in fragilen Staaten. Das einzige, das wir dieser Realität entgegensetzen können, sind Arbeitsplätze und Maßnahmen, um die Einkommen der Menschen dort aufzubessern. Milliarden Dollar Entwicklungshilfe fließt in die konfliktanfälligen Gebiete, und man ringt um ein paar Stellen mehr vor dem Komma. 

Das schlägt Wellen, die über das strenge Mandat der Entwicklungsbanken weit hinausreichen. Die Stabilität ganzer Gesellschaften steht auf dem Spiel. Die Wechselwirkungen von Armut und Stabilität sind Thema Dutzender Studien in ebenso vielen Forschungsdisziplinen. Die Wissenschaft streitet über Hühner, Eier und bruchstückhafte Beweise in einer Debatte, die in absehbarer Zeit wohl kaum zu allgemeinen Schlussfolgerungen gelangen wird. Aber in einem sind sich alle einig: Armut und Konflikte gehören zusammen.  

Die International Finance Corporation, die für die Kreditvergabe an den privaten Sektor zuständige Organisation der Weltbank, veröffentlichte im Februar dazu einen eigenen 40-seitigen Bericht, was auf diesem Gebiet ein bemerkenswerter Schritt nach vorn ist. Der dort beschriebene Ansatz umfasst sieben Grundsätze. Ganz oben steht die sogenannte „Konfliktlinse“, durch die der Investor schauen soll. Besonders wichtig sei es, jede Geschäftstätigkeit laufend auf mögliche unbeabsichtigte Folgen zu überprüfen. Aber auch die Idee, dass man mit Geld allein nicht weit kommt, die Abstraktion von Dilemmata über kurz- und langfristige Wirkungen, der Glaube an Normen, an Newcomer, an neue Lösungen und offene Grenzen. Die Märkte in den fragilen Staaten brauchen all das. 

Das Versprechen von den Privatinvestitionen ist nicht für jeden attraktiv. Skeptiker berichten von Verfehlungen ohne institutionellen Sinn und Verstand, vom Raubbau an Ressourcen. Die Vorstellung vom gierigen Geschäftsmann, der schnell noch einen Deal abschließt, während andere schon auf dem Weg ins Flüchtlingslager sind, passt nicht zur Mission der internationalen Organisationen. Die Skeptiker haben Recht. Die Beispiele, die sie anführen, beruhen auf wahren Gegebenheiten. 

Grundsätzlich falsch ist es, sich den Privatsektor als einen einzigen Akteur vorzustellen, der nur eine Reaktion auf einen bestimmten Kontext kennt. Außer den gierigen Managern gibt es nämlich auch noch den riesigen Privatsektor, dessen Geschäftsentscheidungen von Resilienz, Gemeinschaftszugehörigkeit und persönlichem Schaffensgeist gesteuert werden. Kein Akteur hat in fragilen Staaten das Monopol der Unfehlbarkeit - weder der Privatsektor noch die Regierungen, die religiösen Führer oder die internationale Gemeinschaft. Menschen, die Wege aus der Fragilität bauen können, müssen individuell und insgesamt befähigt werden, die bedürftigen Gemeinschaften in Not wieder aufzubauen, den Anschluss für sie wiederzufinden, sie zu versorgen und schließlich zu heilen. 

In den Privatsektor zu investieren, läuft auf dieses elementare Versprechen hinaus. Es geht auch darum, noch anderen Akteuren außer dem Staat zu ermöglichen, ebenfalls Lösungen für sich und ihre Gemeinschaften zu entwickeln. Es geht darum, dort präsent zu sein, wo der Staat es nicht ist. Die Entwicklungsbanken begreifen immer mehr, dass sie ihre Partner sorgfältig auswählen, ihre Lösungen akribisch anpassen und zusätzliche Mittel von außen mobilisieren müssen, wenn sie ihre Mission erfüllen wollen. 

Für alle Außenstehenden sieht eine Investition in einen fragilen Staat zunächst einmal aus wie ein Seeigel. Es ist vollkommen egal, wie frisch er ist oder wie köstlich er auch schmecken mag – beim Anblick seiner schwarzen Stacheln werden die meisten doch lieber die üblichen Shrimps bestellen.  Anleger sind schließlich auch nur Menschen, und wer geht schon gern ein Risiko ein. Wie können wir sie trotzdem dazu bewegen? 

Die meisten werden gar nicht erst einsteigen, ganz egal, wie das Angebot auch aussehen könnte. Die größten Hoffnungen kann man in die Anleger setzen, die sich zumindest ein wenig mit dem Ort verbunden fühlen, zumindest ein bisschen Verständnis für die Zusammenhänge haben und in ihrer Investition mehr sehen, als nur die finanzielle Rendite. Zweitens will sich niemand allein auf unsicherem Terrain bewegen. Wenn man nur einen größeren Player, einen globalen Akteur finden könnte, dann wären andere womöglich leichter zu mobilisieren. Dies läuft auf die von der International Finance Corporation vorgetragenen Grundsätze hinaus. Aber auch auf Integrität, Verantwortlichkeit, einen Plan und eine Vision – eben die guten alten Führungsqualitäten, die universelle Geltung haben. Die Geburt einer wirtschaftlichen Supermacht in fragilen Staaten ist auch mit dieser Investition in Zukunft wohl nicht zu erwarten. Bei manchen Fundamentaldaten ist es schlicht unwahrscheinlich, dass sie zu unseren Lebzeiten noch in nennenswerter Weise zu Buche schlagen werden. Aber darum geht es hier auch nicht.


Alexandros Ragoussis ist Assoziierter Wissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und Ökonom an der Weltbank, International Finance Corporation (IFC).

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