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Nahost und Nordafrika: Auf langfristige Wirkungen achten!

Loewe, Markus
Die aktuelle Kolumne (2025)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 17.02.2025

Bonn, 17. Februar 2025. Der Nahe Osten und Nordafrika sind Europas unmittelbare Nachbarn. Was immer dort geschieht, wirkt sich früher oder später auch auf Europa aus. Deutschland und Europa haben daher ein Interesse daran, eine positive Entwicklung in diesem Teil der Welt zu fördern. Die nächste Bundesregierung sollte dabei aber auf dauerhafte Wirkungen abzielen anstatt auf schnelle Vorteile beim Handel, bei der Stabilisierung autoritärer Regime oder beim Migrationsmanagement, da diese langfristig oft gravierende negative Nebenwirkungen haben.

In jeder Hinsicht ist die Entwicklung in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens nicht nachhaltig: Seit fünfzehn Jahren ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum nahezu null und schafft kaum Arbeitsplätze. Die Exporte bestehen überwiegend aus Energieträgern, Rohstoffen, einfachen Dienstleistungen und Produkten, für die ebenfalls wenig Know-how erforderlich ist. Ungleichheiten bei Einkommen, Gesundheit und Bildung nehmen in und zwischen den Ländern der Region zu. Sie ist zudem die einzige weltweit, in der die Energie-Intensität von Konsum und Produktion nicht sinkt.

Zugleich nehmen die Verschmutzung und Übernutzung von Böden, Wasser und anderen Ressourcen zu. Die Region leidet aber auch ganz besonders unter globalen Umweltveränderungen: Einige Gebiete wie der Nordirak oder Ostsyrien könnten schon bald unbewohnbar sein, weil dort immer öfter über viele Wochen Temperaturen von mehr als 50°C herrschen. Im Südirak bedroht der Anstieg des Meeresspiegels große Areale, im Nildelta führt er zur Versalzung großer Agrarflächen. Vor allem aber gibt es in kaum einer anderen Weltregion so viele Länder, die ähnlich große Mängel bei politischer Partizipation, Transparenz und Rechtssicherheit aufweisen. Andere leiden unter gewaltsamen Konflikten: der Sudan, Libyen, Palästina, der Irak, der Libanon und Syrien.

Mehr als vor dem sogenannten arabischen Frühling 2011 steht die Region an einem Kipppunkt. Die Unzufriedenheit vieler Menschen dort wächst. Dies führt zu einem Mangel an Vertrauen, sinkendem Konsum und Handel, Instabilität, Flucht und Migration. Deutschland und Europa haben hingegen Interesse am Absatz europäischer Produkte, einem Rückgang der Migration nach Europa, langfristiger, politischer Stabilität und Rechtssicherheit für Investoren und Bürger*innen.

Zwischen diesen Zielen können allerdings Konflikte entstehen, wenn schnelle Erfolge angestrebt werden: Wenn Europa zum Beispiel die Regierungen in Tunesien, Libyen oder Ägypten finanziell dafür belohnt, dass sie Flüchtlinge nach Europa aufhalten, so unterstützt es autoritäre Herrscher, die ihre Armeen und Sicherheitsdienste ausbauen, leistungsfähiger in bewaffneten Auseinandersetzungen werden und ihre Bürger leichter unterdrücken können. Wenn Europa politische Stabilität dadurch schafft, dass es bestehende politische Strukturen unterstützt, so verringert es die Wahrscheinlichkeit, dass Aktivist*innen oder Nichtregierungsorganisationen politische Veränderungen erstreiten können.

Wenn Europa weiterhin seine Landwirtschaft durch nichttarifäre Handelshemmnisse vor Importen aus Nordafrika und dem Nahen Osten schützt, erschwert es den Menschen dort, ihre Einkommen langsam zu verbessern. Wenn Europa zulässt, dass die Menschenrechte in vielen Ländern missachtet werden, werden Fluchtbewegungen nach Europa weiter zunehmen. Und ohne Unterstützung beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel werden ebenfalls Menschen aus der Region migrieren müssen.

Daher sollte die nächste Bundesregierung ihre Kooperation mit dem Nahen Osten und Nordafrika zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen und teilweise neu ausrichten. Dabei geht es nicht darum, dass Deutschland und Europa nicht auch eigene Interessen verfolgen. Vielmehr muss stärker auf dauerhafte Wirkungen abgezielt werden. Und auf lange Sicht ist auch Deutschland und Europa am meisten mit nachhaltigem, sozial gerechtem Wachstum, sozialer Kohäsion und Rechtsstaatlichkeit in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens gedient. Dieser Ansatz führt zu Wohlstand, Absatzmärkten für deutsche Produkte, lang- statt kurzfristiger politischer Stabilität und einer Perspektive für ein humanes Leben in der Region, so dass es keinen Grund mehr gibt, nach Europa zu fliehen.

Zugleich sollte die nächste Bundesregierung mehr Verantwortung in der gemeinsamen Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union (EU) gegenüber dem Nahen Osten und Nordafrika übernehmen. Alleine kann Deutschland nicht genug erreichen. Bisher arbeiten die EU-Mitgliedstaaten in ihrer Nahost- und Nordafrikapolitik aber kaum miteinander, zum Teil sogar gegeneinander. Als größtes Mitglied sollte Deutschland versuchen, Allianzen für die gemeinsamen Interessen zu formen.

Dabei sollte es sich dafür einsetzen, dass Europa seine Märkte stärker für Güter aus dem Nahen Osten und Nordafrika öffnet und den dortigen Regierungen Unterstützung für Verbesserungen bei der Rechtssicherheit für Investoren und Bürger, fairem wirtschaftlichen Wettbewerb auf den Märkten, Menschenrechten, Umweltschutz, Anpassung an den Klimawandel, sozialer Gerechtigkeit, Bildung, Gesundheit und politischer Partizipation anbietet. Finanzhilfen sollten in Zukunft für Erfolge in diesen Bereichen und nicht mehr für Unterstützung beim Migrationsmanagement oder dem Abstimmungsverhalten in internationalen Organisationen geleistet werden. Von essenzieller Bedeutung ist natürlich auch der Wiederaufbau in Gaza, in Syrien, im Libanon und in Libyen, damit von diesen Ländern keine neuen Spannungen in der Region ausgehen.

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