Die aktuelle Kolumne
Nachhaltiges Vermächtnis: Elinor Ostrom hat die Nachhaltigkeitsforschung geprägt
Bauer, Steffen / Ines DombrowskyDie aktuelle Kolumne (2012)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 18.06.2012)
Bonn, 18.06.2012. Am 12. Juni 2012 ist die Politikwissenschaftlerin und Umweltökonomin Elinor Ostrom im Alter von 78 Jahren ihrem Krebsleiden erlegen. Als erste und bislang einzige Frau wurde sie mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet, gemeinsam mit Oliver Williamson im Jahr 2009. Ihr Tod ist ein unermesslicher Verlust für die Nachhaltigkeitsforschung.
Berühmt wurde Elinor Ostrom mit ihrem Buch Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action (1990) (Dt. Ausgabe: Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Staat und Markt. 1999). Darin erforschte sie den Umgang mit Allmendegütern, also natürlichen Ressourcen, die von unterschiedlichen Nutzern gemeinsam bewirtschaftet werden, wie etwa Bergalmen, Wälder, Fischgründe und Bewässerungssysteme. Sie widerlegte darin die Annahme, dass es bei einer gemeinsamen Ressourcennutzung notwendigerweise zu einer „Tragödie der Allmende“ kommen muss, wonach Nutzungskonkurrenz zwangsläufig zur Übernutzung von Gemeinschaftsgütern führt. Durch umfangreiche Fallstudienauswertungen konnte sie vielmehr nachweisen, dass in vielen Fällen Allmenderessourcen durch lokale Gemeinschaften langfristig nachhaltig genutzt werden. Hier haben sich die Nutzer gewöhnlich auf eine Reihe klarer und einvernehmlicher Nutzungsregeln geeinigt. Wichtig ist dabei v. a., die Grenzen der Allmende abzustecken und den Zugang festzulegen. Ferner müssen Bereitstellung und Nutzung der Ressource den lokalen natürlichen Bedingungen angepasst sein. Des Weiteren zeichnen sich die erfolgreichen Beispiele zumeist durch Mechanismen der gegenseitigen Überwachung und die Möglichkeit zur Sanktionierung bei Regelüberschreitungen sowie zur Konfliktlösung aus. Wichtig ist jeweils, dass die Nutzer selbst die Regeln und Institutionen an veränderte Bedingungen anpassen können. Ostroms empirische Forschung zeigt somit auf, unter welchen Bedingungen lokal abgegrenzte natürliche Ressourcen nachhaltig genutzt werden können.
Elinor Ostroms Allmende-Forschung ist gleichzeitig ein bahnbrechender Beitrag zur Analyse selbst organisierten kollektiven Handelns, der zeigt, dass es in vielen Fällen eine dritte und unter Umständen überlegene Steuerungsalternative jenseits von Staat und Markt gibt. In späteren Arbeiten demonstrierte sie die zentrale Bedeutung von kommunikativen Prozessen und wechselseitigem Vertrauen für die Erfolgsaussichten gesellschaftlicher Kooperation. Sie lieferte damit weitere wichtige Grundlagen zur integrierten Analyse von ökologisch-sozialen Systemen. Der durch ihre Arbeiten im Sinne einer genuin interdisziplinären Forschung erreichte Brückenschlag zwischen Sozial- und Naturwissenschaften darf als Ostroms herausragende akademische Leistung gelten. Vor diesem Hintergrund gelang es ihr auch in besonderem Maße, wichtige Impulse für Politikberatung im Bereich der Umweltpolitik und hinsichtlich des Managements natürlicher Ressourcen zu geben. Gleichzeitig hat Ostrom selbst immer wieder darauf hingewiesen, dass es keine allgemeingültigen institutionellen Rezepte gibt und dass der Anwendungsspielraum für die von ihr identifizierten Designprinzipien zur Bewirtschaftung lokaler Gemeinschaftsgüter beschränkt ist.
Ein wichtiger ergänzender Beitrag Ostroms sind daher ihre jüngeren Arbeiten über polyzentrische Ansätze zur Überwindung kollektiver Handlungsprobleme, die auf unterschiedlichen räumlichen und politischen Ebenen, d. h. lokal, regional, national oder global, wirksam werden. So argumentiert Ostrom am Beispiel des Klimawandels, dieser sei so sehr als globales Problem definiert, dass erfolgversprechende Handlungsspielräume unterhalb der globalen Ebene ungenutzt blieben. Eine internationale Klimapolitik, die allein auf globaler Ebene vorangetrieben werde, greife deshalb zu kurz. Sie plädiert stattdessen für eine komplexere, polyzentrische Mehrebenen-Politik. Die Stärke eines solchen Ansatzes liege laut Ostrom darin, auf verschiedenen Ebenen viele verschiedene Strategien und Maßnahmen synchron erproben zu können. Eine Antwort darauf, ob eine derart zu gestaltende Klimapolitik zu einer konsistenten, gerechten und v. a. rechtzeitig wirksam werdenden Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen beitragen kann, blieb gleichwohl auch Ostrom schuldig.
Elinor Ostrom war eine außergewöhnliche Forschungspersönlichkeit. Sie hat zu Paradigmenwechseln in den Sozialwissenschaften beigetragen, in dem sie unser Denken über Politik, Governance und Institutionen sowie über das Verhältnis von Sozial- und Naturwissenschaften geprägt hat. Sie hat Generationen von Studierenden und Forschenden inspiriert und dabei insbesondere auch viel Zeit und Energie darauf verwandt, junge Forscherinnen und Forscher in Entwicklungsländern zu fördern. Wir haben sie bei unterschiedlichen Gelegenheiten als sehr herzliche, aufgeschlossene und zugängliche Person erlebt, die sich mit Leidenschaft, Humor und unverbrüchlichem Optimismus dem wissenschaftlichen Fortschritt verschrieben hatte. Wissenschaftliche Berühmtheit war ihr kein Selbstzweck, sondern Resultat intellektueller Neugier und dem Bestreben, die Welt zu einem nachhaltigeren und somit gerechteren Ort zu machen.
Dies galt bis zuletzt, wie ihr bewegender Auftritt als Chief Scientific Advisor der Planet Under Pressure-Konferenz noch Ende März 2012 in London eindrucksvoll demonstrierte. Mehr als 3.000 Umweltwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler unterschiedlicher sozial- und naturwissenschaftlicher Disziplinen fanden sich hierbei ein, um ganz in Ostroms Sinne mit empirisch fundierten Empfehlungen Einfluss auf die Verhandlungen im Vorfeld der UN-Konferenz über Nachhaltige Entwicklung zu nehmen. Sollte der „Rio+20“-Gipfel diese Woche in dem Sinne erfolgreich verlaufen, dass die Staaten und Regierungen der Welt konkrete Entscheidungen treffen, um den vermeintlichen Widerspruch von Umweltschutz und sozioökonomischer Entwicklung endlich zu überwinden, so wäre dies für Lin, wie sie von Freunden und Kollegen genannt wurde, eine schönere Würdigung ihrer Lebensleistung als die unzähligen Nachrufe, zu denen auch diese „Aktuelle Kolumne“ nur einen weiteren dankvollen Beitrag zu leisten vermag.