Die aktuelle Kolumne

Sind Demokratien im „Globalen Norden“ lernfähig?

‚Mutual learning’, um Demokratieförderung neu zu denken

Nowack, Daniel
Die aktuelle Kolumne (2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 11.11.2024

Bonn, 11. November 2024. Die US-Präsidentschaftswahl am 5. November war der Schlussakt des „Superwahljahrs 2024“. Zwar stehen weitere Wahlen aus, allerdings wird keine Wahl dieselbe Brisanz haben wie diese. Donald Trumps Wahlsieg wirft einen dunklen Schatten auf ein Superwahljahr, das viele Beobachter*innen bis hierhin als positiver für den globalen Zustand der Demokratie werteten als noch Anfang des Jahres befürchtet. In vielen vorherigen Wahlen weltweit war die Wahlbeteiligung vergleichsweise hoch, fruchteten Manipulationen nicht und zogen Bürger*innen ihre Regierungen zur Rechenschaft.

Doch nun haben die Bürger*innen der bisher global führenden Demokratie einen populistischen Anti-Demokraten zum zweiten Mal ins Präsidentenamt gewählt. Dass dies geschehen konnte, obwohl Donald Trump im Vorfeld keinen Hehl aus seinen diktatorischen Vorstellungen machte, zeigt, wie tief die Krise der liberalen Demokratie in Ländern des „Globalen Nordens“ inzwischen reicht.  Unüberbrückbare gesellschaftliche Polarisierung und Ungleichheit, Desinformation, geringe politische Bildung und Politikverdrossenheit führen zu einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Fortbestehen demokratischer Institutionen; oder gar zu einer Faszination für das Autoritäre und der Lust an der mutwilligen Zerstörung der Demokratie. Die USA sind dabei kein Ausnahmefall, sondern stehen beispielhaft für ähnliche Entwicklungen in anderen Demokratien des „Globalen Nordens“.

Eine doppelte Herausforderung für Demokratieförderung

Die Demokratie-Krise im „Globalen Norden“ beschädigt dabei nicht nur die westliche Idee liberaler Demokratie an sich. Sie vertieft auch eine strukturelle doppelte Herausforderung für internationale Demokratieförderung. Erstens untergräbt sie die Legitimität des „Globalen Nordens“, liberale Demokratie als politisches Modell in die Welt zu tragen. Diese ist ohnehin äußerst fragil. Umfragedaten zeigen, dass Bürger*innen afrikanischer Staaten geteilter Meinung zu demokratischer Konditionalität in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sind. Die Forschung deutet des Weiteren darauf hin, dass Bürger*innen Demokratieförderungsprojekte weniger bevorzugen als EZ-Projekte anderer Sektoren. Zweitens verdeutlicht die Krise liberaler Demokratie, dass Demokratien des „Globalen Nordens“ ihrerseits Demokratieförderung benötigen – der Arzt ist quasi zum Patienten geworden.

Ein Ausweg: Demokratieförderung neu denken

Ein Weg, dieser doppelten Herausforderung zu begegnen, besteht darin, internationale Demokratieförderung durch Formen des mutual learning mit mehr gemeinsamer Planung und gegenseitigem Austausch zu gestalten. Demokratieförderung muss über die Grenzen von „inländisch vs. ausländisch“ und „Globalen Süden vs. Globalen Norden“ hinweg neugedacht werden. Das Konzept des mutual learning ist nicht neu in der EZ. Es entspringt der Süd-Süd-Kooperation, schließt in Diskurs und Praxis aber zunehmend Süd-Nord-learning mit ein. Praxis-Beispiele finden sich aber häufig nur außerhalb traditioneller EZ-Strukturen, meist auf kommunaler Ebene, etwa bei Städtepartnerschaften.

In der Demokratieförderung ließe sich mutual democratic learningumsetzen, in dem eine Intervention wie etwa eine deliberative Bürger*innenversammlung sowohl im „Globalen Norden“ als auch im Partnerland des „Globalen Südens“ gemeinsam entwickelt, aufgesetzt und durchgeführt wird. Dies gäbe dem „Globalen Süden“ eine größere Mitsprache in der Umsetzung und Gestaltung von Demokratieförderung. Es würde zudem den „Markt der Ideen“, wie Demokratie gestaltet werden kann, durch nicht-westliche Konzepte beleben und die Legitimität von Demokratieförderung stärken. Ländern des „Globalen Nordens“ würde es ermöglichen, innovative demokratische Prozesse und Demokratie-Varianten kennenzulernen und auszuprobieren – denn Demokratie ist eine sich ständig weiterentwickelnde Idee. Auch wenn mutual learning  neuer Strukturen und reformierter Mandate bedarf, liegt das Potential auf der Hand. Gemeinsam könnten „Globaler Süden“ und „Norden“ Demokratie als politische Ordnung innovativ weiterentwickeln.

Historische Beispiele für Süd-Nord-learning auf der partizipativen Dimension von Demokratie zeigen zudem, dass der „Globale Norden“ vom „Globalen Süden“ lernen kann. Die ersten partizipativen Bürger*innenhaushalte etwa entstanden Ende der 1980er Jahren in Brasilien. Seitdem hat sich diese Form politischer Partizipation weltweit verbreitet: bis einschließlich 2020 gab es circa 14.000 Bürger*innenhaushalte, viele davon im „Globalen Norden“. Auch andere demokratische Innovationen, die derzeit Verbreitung erfahren, haben ähnliche Vorgängerformen im Globalen Süden.

Demokratisches Zusammenleben rund um den Globus wird durch ein Erstarken des Illiberalen und Autoritären herausgefordert. Ansätze des mutual learning aufzugreifen und umzusetzen, kann für internationale Demokratieförderung eine Möglichkeit sein, Demokratie einerseits im „Globalen Süden“ als auch im „Globalen Norden“ zu schützen und zu stärken – indem sie helfen Zukunftsvarianten von Demokratie zu erkunden, die der Gleichgültigkeit für Demokratie und der Faszination fürs Autoritäre entgegenwirken.

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