Die aktuelle Kolumne
Mind the (Energieeffizienz) Gap!
Figueroa, AureliaDie aktuelle Kolumne (2014)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne, 15.12.2014)
Bonn, 15.12.2014. Der Klimawandel wartet nicht bis Regierungen den Willen aufbringen, seine Auswirkungen durch verstärkte finanzielle und technologische Anstrengungen einzudämmen. Solange sie nicht selbst Schwung in die festgefahrenen globalen Klimaverhandlungen bringen, muss jemand von außerhalb das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Ein ehrgeiziges UN-Klimaschutzabkommen wäre zweifellos ein wichtiger Beitrag. Für die Umsetzung ist aber jeder Einzelne gefordert, seinen Beitrag zu leisten. Das macht Verhaltensänderungen zu einer Conditio sine qua non für eine Dekarbonisierung unserer Wirtschaftsweise und die notwendige Transformation der Energiesysteme.
Für Fortschritte auf der Mikroebene müssen also verhaltenstheoretische Erkenntnisse in die Politik- und Programmgestaltung einfließen. ‚Verhalten‘, Thema des kürzlich erschienenen Weltentwicklungsberichts 2015 <link http: www.worldbank.org en news feature world-development-report-2015-explores-mind-society-and-behavior external-link-new-window externen link in neuem>Mind, Society, and Behavior, gewinnt als Instrument auch in der Entwicklungspolitik an Bedeutung. Dem Bericht der Weltbank liegen drei Prämissen zugrunde: Der Mensch denkt automatisch und sozial und nutzt mentale Modelle. Alle drei können zu ökonomisch unvernünftigen Verhaltensweisen führen, die von aktuellen Wirtschaftsmodellen und Politikrahmen außer Acht gelassen werden.
Beispiel Energieeffizienz: Manche Menschen kaufen aus Gewohnheit Glühbirnen (automatisiertes Denken); andere lassen sich überreden, leistungsstärkere Geräte anzuschaffen, um die Umwelt zu schützen (soziales Denken). Bei der Analyse des Schnittpunkts von Verhalten und Energieverbrauch wurden hauptsächlich OECD-Mitgliedstaaten betrachtet. <link record:tx_projects:tx_projekt_domain_model_projekt:474 internal-link>Neuere Forschungen des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) unterstreichen indes die Bedeutung von Verhaltensänderungen in Entwicklungs- und Schwellenländern für Energieeffizienzgewinne und, ebenso wichtig, für eine wettbewerbsfähigere Wirtschaft und mehr soziales Wohlergehen.
Im häuslichen und beruflichen Umfeld werden täglich zahllose Entscheidungen getroffen und Routinearbeiten erledigt, die Klimaschutzpolitik stärken oder schwächen können. Vielfach mag es banal erscheinen, klassische Glühbirnen nicht durch hocheffiziente LEDs zu ersetzen, im Büro nachts die Stromversorgung von Computern und Druckern anzulassen oder Maschinen unwirtschaftlich zu betreiben. In Summe aber haben diese energieverschwendenden Verhaltensweisen einen erhöhten Energieverbrauch und entsprechende Treibhausgasemissionen zur Folge.
In der Industrie, auf deren Konto ca. ein Drittel des weltweiten Endenergieverbrauchs geht, können Verhaltensänderungen ein kostenloser oder -günstiger Weg sein, Energieeffizienz und Gesamtarbeitsproduktivität zu steigern und dabei Effizienzgewinne zu realisieren. Allerdings könnte etwa die Anschaffung leistungsfähigerer Turbinen als gewagte Investition erscheinen, solange ein globales Klimaschutzabkommen in der Warteschleife hängt. Dennoch sind Maßnahmen, die kostenlose oder -günstige Verhaltensänderungen bewirken, berechtigt und sollten Teil von Förder- und Trainingsprogrammen für Energieeffizienz sein.
Im häuslichen Bereich, vor allem in armen Haushalten, muss oft ein großer Teil des Haushaltsbudgets für Energie aufgewendet werden. Der kleinste gemeinsame Nenner vieler Haushalte mit Stromanschluss ist die Glühbirne. Ihre Allgegenwart hat unübersehbare Folgen für den weltweiten Energieverbrauch. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass die Beleuchtung für 19 % des jährlich weltweit verbrauchten Stromverbrauchs verantwortlich ist. Das entspricht der Stromerzeugung aller Gaskraftwerke und den Treibhausgasemissionen von 70 % der Autos weltweit.
Auch inoffizieller Stromverbrauch, etwa in informellen Siedlungen oder durch nicht-technische Verluste, kann ein Anreiz sein, in leistungsfähige Beleuchtungssysteme zu investieren. So stellte das DIE kürzlich fest, dass Überspannungen im Stromnetz der informellen Siedlung Kibera in Nairobi Glühbirnen zerplatzen lassen. Dies geschieht ca. viermal im Monat, was die Amortisationszeit für Kompaktleuchtstofflampen auf etwas mehr als einen Monat verkürzt – selbst bei einer Stromflatrate oder Nichtzahlung. Daher wurde ein modernes, haltbarkeits- und verhaltensorientiertes Energieeffizienzkonzept entwickelt, das den Energiebedarf reduziert, das Wohlergehen der Haushalte steigert und damit soziale und Umweltbelange ausbalanciert.
Im Jahr 2015, das die Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Lichts ausgerufen haben, wird die Bedeutung einer allgegenwärtigen Beleuchtung mehr Aufmerksamkeit erfahren. Um energieeffiziente Beleuchtungstechnik voranzubringen, muss die Frage geklärt werden, welche Verhaltensmechanismen ihrer Verbreitung im Wege stehen. Dies kann nicht nur die Verbreitung selbst, sondern auch das Bewusstsein für mögliche Fußangeln fördern – etwa den Rebound-Effekt, der den Vorteil neuer Techniken durch verändertes Verhalten (z. B. erhöhten Energieverbrauch) wieder zunichtemacht.
In Paris werden 2015 wichtige Beschlüsse für die Zukunft des Klimas gefasst. Auch jeder Einzelne von uns trifft täglich zahllose Entscheidungen, die in Summe weitreichende Folgen haben. 2015, im Internationalen Jahr des Lichts, sollten wir versuchen, Licht in verborgene Winkel des menschlichen Gehirns zu bringen und die Transformation entsprechend zu gestalten.