Die aktuelle Kolumne

Mehr Hilfe ist nicht gleich mehr Wirksamkeit: Entwicklungspolitik als ordnungspolitische Gestaltungsaufgabe

Faust, Jörg
Die aktuelle Kolumne (2010)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 25.10.2010)

Bonn, 25.10.2010. Vor wenigen Wochen endete das Gipfeltreffen der Vereinten Nationen (VN) zu den Millenniumsentwicklungszielen. Neben vielen anderen, äußerte sich auch die Bundeskanzlerin dahingehend, dass es neben den finanziellen Ressourcen der Entwicklungszusammenarbeit vor allem auf die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel ankommt. Denn die Höhe der Zahlungen bestimmt nicht deren Wirksamkeit mit Blick auf zentrale Zielsetzungen wie Armutsreduktion, Friedenssicherung oder die Förderung rechtsstaatlicher Demokratie.

So können zumindest bis Mitte der letzten Dekade im internationalen Ländervergleich keine statistisch robusten Effekte nachgewiesen werden, die von der Höhe der geleisteten Transfers auf positive Effekte bei wirtschaftlichen Entwicklung oder „guter“ Regierungsführung schließen lassen. Ob Entwicklungspolitik wirksam ist, hängt demnach nicht (nur) von der Höhe der geleisteten Zahlungen ab, sondern vor allem von der Qualität der Gesamtheit an entwicklungspolitischen Interventionen in einem Land. Und um diese Qualität zu fördern sind nicht unerhebliche ordnungspolitische Reformen – also institutionelle Anreizsysteme für mehr Wirksamkeit – vonnöten.

Höhere Entwicklungsausgaben ist nicht gleich höhere Wirksamkeit
Die Adressaten von Entwicklungszusammenarbeit sind vielfach Länder mit begrenzten Verwaltungskapazitäten, beschränkter Rechtsstaatlichkeit und Defiziten bei der demokratischen Partizipation. Es ist daher kaum davon auszugehen, dass eine Erhöhung der Mittel automatisch in höhere Wirksamkeit mündet. Entwicklungspolitik ist mithin immer auch eine riskante Investition von öffentlichen Ressourcen. Zur Minimierung dieses Risiko sind nicht nur erhöhte Anstrengungen und Reformbereitschaft auf der Partnerseite einzufordern. Auch der Geberseite kommt eine zentrale Rolle zu. Denn genau wie auf der Partnerseite ist auch bei den Akteuren auf der Geberseite nicht automatisch davon auszugehen, dass alle Beteiligten immer die kollektiven Ziele des Politikfeldes in den Mittelgrund rücken.

Denn die grenzübergreifende staatliche Entwicklungspolitik ist – ganz ähnlich wie beträchtliche Teile der nationalen Gesundheits- oder Bildungspolitik – eine Maßnahme staatlicher Umverteilung, die mit besonderen ordnungspolitischen Problemen konfrontiert ist. Wenige würden prinzipiell die Angemessenheit sozialpolitischer Umverteilung in der Innenpolitik bestreiten. Doch die Interessengruppen in diesen Politikfeldern handeln nicht ausschließlich im Sinne des Gemeinwohls. Dies gilt für Lehrergewerkschaften und Schulbuchverlage genau wie für Pharmaindustrie und Krankenversicherungen bis zu Ärztevereinigungen. Organisierte gesellschaftliche Gruppen werden sich primär an den eigenen speziellen Interessen orientieren und erst in zweite Linie die kollektiven Ziele des jeweiligen Politikfeldes verfolgen. Um die hieraus resultierenden Gefahren für gemeinwohlorientierte Wirksamkeit und effiziente Verwendung öffentlicher Mittel einzudämmen, ist der regulierende Eingriff des Staates vonnöten.

Ordnungspolitische Reformen für mehr Effizienz
Ganz ähnlich ist es in der Entwicklungspolitik. Die meisten Nichtregierungsorganisationen, staatliche Durchführungsorganisationen aber auch multilaterale Organisationen wie Weltbank oder UNDP werden sich vor allem darin einig sein, dass man die Ressourcen der internationalen Entwicklungspolitik erhöhen muss, denn hiervon profitieren sie alle. Doch dies sagt wenig über den Effektivitäts- und Effizienzbeitrag der strategischen und organisatorischen Aufstellung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit aus. Dass hier ein hoher Reformbedarf herrscht, zeigt jedoch die zunehmende Kritik und auch das – zumindest deklaratorische – Eintreten der Geberregierungen für Reformen in den letzten Jahren.

Denn die ordnungspolitischen Probleme im Politikfeld sind zahlreich: Der in den letzten Jahrzehnten entstandene Wildwuchs an entwicklungspolitischen Instrumenten und Organisationen. Die ausufernden Lobbyaktivitäten entwicklungspolitischer Akteure um knappe staatliche Ressourcen. Die unzureichende Thematisierung von Zielkonflikten in einem stetig wachsenden Zielkatalog – von Armutsbekämpfung über Demokratieförderung, Friedensschaffung, ökologischer Nachhaltigkeit und Förderung eigener Wirtschaftsinteressen. Die sich duplizierenden Verantwortlichkeiten zwischen multilateralen und bilateralen Akteuren. All dies sind ordnungspolitische Herausforderungen, die differenzierte Lösungen erfordern.

Wie ist etwa mit wirtschaftlich erfolgreichen Autokratien wie Äthiopien oder Vietnam umzugehen, deren Unterstützung möglicherweise Armutsreduktion begünstigt gleichzeitig jedoch autoritäre Strukturen stabilisieren kann? Wie ist eine effektive Arbeitsteilung zwischen Gebern zu organisieren, damit eine Entlastung der staatlichen Strukturen von Empfängerregierungen eintritt, die gerade in den ärmsten Ländern durch den bürokratischen Wildwuchs der Geber eher geschwächt als gestärkt werden? Wie können legitime bilaterale Interessen einzelner Geber in einen internationalen Ordnungsrahmen eingebettet werden, der durch ein schwaches und fragmentiertes VN-System getragen wird? Wie sollen die den Entwicklungsländern angekündigten Milliarden für die notwendige klimapolitische Wende von Staaten absorbiert werden, deren Handlungsfähigkeit meist zwischen defizitär und prekär einzustufen ist?

Herausforderung für Geberländer
Für schlüssige Antworten auf diese Fragen braucht es in den Geberländern handlungsfähige Parlamente, die den Interessenausgleich organisieren und Regierungen, die ihrer ordnungspolitischen Gestaltungsaufgabe gerecht werden. Dies gilt für den nationalen Rahmen, aber es gilt vor allem auch mit Blick auf die internationale Ebene. Denn im entgrenzten Politikfeld ist entwicklungspolitische Effektivität nur noch sehr begrenzt durch rein bilaterale Strategien zu beeinflussen. Und es braucht mehr Mut, diese Probleme offen anzusprechen anstatt weiterhin den Diskurs zu pflegen, dass die Wirksamkeit der Entwicklungspolitik im Wesentlichen von der Höhe der verausgabten Gelder abhängig sei. Für den Steuerzahler wie für die Empfänger ist das gegenwärtige System der internationalen Hilfe kaum mehr zu durchschauen. Doch ohne Transparenz über die eigenen ordnungspolitischen Anstrengungen und ohne unabhängige Evaluierung der daraus abgeleiteten Entwicklungsprogramme droht die Legitimationsbasis des Politikfeldes gegenüber den Steuerzahlern und den Adressaten der Entwicklungspolitik zu erodieren.

Keine Frage, all dies sind keine einfach zu bewältigenden Probleme und – erneut wie in der nationalen Bildungs-, Gesundheits- oder Umweltpolitik – es wird heftigen Streit geben weil ordnungspolitische Reformen bei knappen Ressourcen Gewinner und Verlierer produzieren. Doch die regulative Bewältigung im Sinne der kollektiven Zielsetzungen der Entwicklungspolitik ist die vornehmste Aufgabe der demokratisch legitimierten Institutionen; sie muss im Zentrum der Auseinandersetzung stehen. Ob dann am Ende fünf oder zehn Prozent mehr oder weniger an Ressourcen mobilisiert werden ist angesichts der ordnungspolitischen Gestaltungsaufgaben eine zunächst eher nachrangige Fragestellung – obwohl das eine Vielzahl der von entwicklungspolitischen Ressourcen profitierenden Organisationen natürlich vehement bestreiten werden.

Eine weitergehende Analyse bietet der jüngst erschienene Sammelband „<link record:tx_ttnews:tt_news:3384 internal-link>Wirksamere Entwicklungspolitik: Befunde, Reformen, Instrumente“, der die wichtigsten Befunde der Wirksamkeitsdebatte dargestellt, die aktuellen Reformen analysiert und deren Konsequenzen für Ziele, Strategien und Instrumente der Entwicklungspolitik und ihrer Evaluierung untersucht. Erschienen im Rahmen der Nomos-Reihe „Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik“.

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