Die aktuelle Kolumne
Mehr als nur Flucht und Vertreibung: Umweltwandel und Migration
Schraven, Benjamin / Tamer AfifiDie aktuelle Kolumne (2011)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) ( Die aktuelle Kolumne vom 20.06.2011)
Bonn, 20.06.2011. Bei den letzte Woche in Bonn abgeschlossenen Verhandlungen zur Vorbereitung des UN-Klimagipfels, der Ende des Jahres in Durban stattfinden wird, war beim Problem der klima- bzw. umweltbedingten Migration keinerlei Fortschritt zu erkennen. Es fehlt an Engagement, konkrete Lösungen für ein komplexes Problem zu erarbeiten. Dabei hat insbesondere das Thema der umweltbedingten Zwangsmigranten – der Begriff „Flüchtling“ sollte in diesem Zusammenhang besser nicht verwandt werden – sowohl im wissenschaftlichen als auch im politischen Diskurs an Bedeutung gewonnen. So sind es vor allem Schätzungen und Prognosen über das Ausmaß (zukünftiger) umweltbedingter Zwangsmigration, die für Kontroversen sorgen. In einem Beitrag für den britischen Guardian verwies kürzlich Achim Steiner, Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und Alumnus des <link internal-link internal link in current>Postgraduierten-Programms des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), auf Schätzungen des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC). Danach sahen sich 2008 mindestens 36 Millionen Menschen durch Umweltkatastrophen, wie z. B. Überschwemmungen, zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen. Steiner macht aber auch deutlich, dass derlei Schätzungen den Kontext von klima- bzw. umweltinduzierter Zwangsmigration stark vereinfacht wiedergeben. Es ist in der Tat unmöglich, Umweltfaktoren isoliert von anderen Rahmenbedingungen zu betrachten: ob jemand „nur“ aus diesem und nicht auch aus einem anderen Grund migriert, ist schwer auszumachen.
Umweltbedingte Migration jenseits von Flucht und Vertreibung
Mit anderen Worten: Es gibt kaum Fälle, in denen Menschen einzig und allein aus Umweltgründen (Dürren, Überschwemmungen, Erdbeben) emigrieren, zumal manche Faktoren zusammen wirken und Prozesse schleichend verlaufen. Ähnlich unmöglich ist es, eine scharfe Trennlinie zwischen freiwilliger Migration und Vertreibung zu ziehen. In der öffentlichen Diskussion geht es bisher in erster Linie um die Frage, wie Zwangsmigranten geschützt werden können, also die Menschen, die z. B. durch plötzlich einsetzende Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen müssen. Es gibt eine lebhafte, wenn auch zunächst noch vorwiegend akademische Diskussion darüber, ob für diese Menschen ein spezielles internationales Regime etabliert werden müsse, ob die Genfer Flüchtlingskonvention erweitert werden sollte oder ob bereits bestehende internationale Regelwerke (etwa aus dem Bereich Menschenrechte) verstärkt, angepasst und miteinander verwoben werden müssten. Diese Debatte ist sicherlich gerechtfertigt und wichtig.
Sie klammert aber freiwillige Migrationsformen als mögliche Reaktionen auf schleichende Umweltprozesse aus: so z. B. wenn unregelmäßige Niederschläge zu Ernteausfällen führen. Dabei weisen eine Reihe von Studien (u. a. das EACH-FOR-Projekt) darauf hin, dass diese freiwilligen umweltbedingten Migrationsformen nach wie vor weitaus häufiger vorkommen als umweltbedingte Zwangsmigration. Zu den umweltbedingten Migrationsformen gehört auch die weit verbreitete saisonale Migration, bei der ein oder gar mehrere Mitglieder eines Haushaltes für einen bestimmten Zeitraum außerhalb der Anbausaison oder während Dürreperioden ihren Heimatort verlassen, um anderswo zu arbeiten.
Der ländlichen Entwicklung kommt eine Schlüsselrolle zu
Da zu erwarten ist, dass die Auswirkungen des Klimawandels die Zahl der Zwangsmigranten und die der freiwillig Migrierenden erhöhen, muss man sich mit den Folgen dieser umweltbedingten Migration befassen, und zwar nicht nur auf der regionalen und nationalen Ebene, sondern auch international. Auch wenn niemand das Ausmaß abzuschätzen vermag, kann man davon ausgehen, dass eine verstärkte umweltbedingte Migration vorhandene Probleme in den Zuzugsregionen innerhalb von betroffenen Ländern und Weltregionen verschärft: die Slum-Viertel in den Städten werden weiter wachsen; die erwerbstätige Bevölkerung in ländlichen Gebieten wird abnehmen, Arbeitsausbeutung, Menschenhandel und Konflikte – vielleicht auch die zwischen Staaten – werden zunehmen.
Kann der Migrationsdruck gemindert werden? Wie können die negativen Begleiterscheinungen abgefedert werden? Ob es gelingt, ein wirkungsvolles internationales Steuerungsorgan für (Umwelt-)Migration zu etablieren, ist derzeit unklar. Soviel kann aber schon heute gesagt werden: der Entwicklung des ländlichen Raums und der Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft kommt eine Schlüsselstellung zu, denn Kleinbauern stellen den überwiegenden Teil an umweltbedingten Migranten.
Positive Beispiele in Afrika
Das zeigt der Kleinbewässerungsfeldbau in Nord-Ghana, der unter extremen ökologischen Bedingungen praktiziert wird. Seit mehr als zehn Jahren bauen dort Tausende von Kleinbauern mit oberflächennahem Grundwasser, das sie in Eigeninitiative erschlossen haben, auch in der Trockenzeit Tomaten an. Die Absatzmöglichkeiten sind prinzipiell gut, da die Gegend durch den Straßenbau in den 1990er Jahren stärker an Märkte angeschlossen wurde. Die Einnahmen erhöhen nicht nur die Ernährungssicherung der Familien, sondern führten auch zu einem deutlichen Rückgang der Migration, welche vorher vor allem saisonal von hoher Bedeutung für die kleinbäuerlichen Haushalte war.
Die ländliche Entwicklung muss durch die internationale Entwicklungsgemeinschaft besser und energischer gefördert werden. In den letzten Jahren gab es zwar durchaus auch positive Anzeichen; so hat nach der Weltnahrungsmittelkrise von 2008/2009 z. B. die Bundesregierung 2,1 Milliarden Euro für den Zeitraum 2010-2012 für ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Ernährungssicherung zugesagt. Dennoch ist die jahrzehntelange Vernachlässigung insbesondere der (kleinbäuerlichen) Landwirtschaft nicht überwunden. So rechnet das World Watch Institute vor, dass der landwirtschaftliche Anteil an der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit seit 1980 bis heute um drei Viertel zurückgegangen ist. Zwar zeigt das nordghanaische Beispiel auch, dass Kleinbauern eigenständig und ohne Hilfe von außen Gelegenheiten ergreifen. Allerdings können nicht alle klimabedingten Risiken wie Wasserknappheit mit lokalen Mitteln bekämpft werden. Die Kleinbauern müssen bei Anpassungsmaßnahmen unterstützt werden, z. B. durch angemessene landwirtschaftliche Beratung und durch eine Förderung von Technologien zur Wasserspeicherung. Die internationale Gemeinschaft und insbesondere auch die Nationalstaaten können sich eine weitere Vernachlässigung nicht leisten, ohne die kleinbäuerliche Ernährungssicherheit dauerhaft zu gefährden. Denn dies kann nicht nur für die Bauern schlimme Folgen haben.