Die aktuelle Kolumne
Kraftanstrengung für Klimaschutz und sozialen Ausgleich: Auf der UN-Klimakonferenz müssen zentrale Weichen gestellt werden!
Messner, DirkDie aktuelle Kolumne (2017)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 30.10.2017)
Bonn, 30.10.2017. Im Klimaschutz spielen Zeit und Geschwindigkeit eine zentrale Rolle: Um die globale Erwärmung unterhalb von 2 Grad zu halten, müssen die Treibhausgasemissionen weltweit bis Mitte des 21. Jahrhunderts auf Null zurückgeführt werden. Damit das gelingen kann, müssen die Emissionen in den kommenden Dekaden jeweils halbiert werden. Noch ist dieses Jahrhundertprojekt keineswegs in trockenen Tüchern.
Beim Pariser Klimagipfel wurde 2015 beschlossen, auf der Weltklimakonferenz 2018 Bilanz zu ziehen und zu überprüfen, ob die Staaten ihre Versprechen zum Klimaschutz auch tatsächlich umsetzen. Doch nun wird bereits die <link https: cop23.unfccc.int>diesjährige Klimakonferenz (COP23) in Bonn zu einem wichtigen Lackmustest der globalen Klimapolitik. Nach dem großen Durchbruch in Paris läuft es nicht mehr rund. Präsident Trump hat den Rückzug der USA aus dem Klimaabkommen angekündigt. Zwar stand der Präsident mit dieser Haltung beim G20-Gipfel in Hamburg alleine da, doch viele, eher unentschlossene Regierungen werden sich fragen, warum sie klimapolitische Anstrengungen unternehmen sollen, wenn nicht einmal das Schwergewicht USA zum Umsteuern bereit ist. Die Sorge ist, dass die Unterstützungsallianzen für ambitionierten Klimaschutz bröckeln.
Auf der COP23 in Bonn geht es deshalb darum, im Verhandlungsprozess und im Rahmenprogramm des Klimagipfels deutlich zu machen, dass die Gruppe der Klimapioniere nicht „wackelt“ und dass Städte, Unternehmen, Forschungsinstitute und Bürger den Klimaprozess vorantreiben. Unterstützung kommt hier auch aus den USA. In Bonn wird die<link https: www.wearestillin.com us-action-climate-change-irreversible> „We are still in“ – Initiative vertreten sein, in der neun US-Bundesstaaten, 252 amerikanische Städte sowie 339 Universitäten und 1.780 Unternehmen in den Vereinigten Staaten ihre Unterstützung für ambitionierten Klimaschutz unterstreichen. Es geht um die Deutungshoheit über die Zukunft und konkrete Schritte zur Umsetzung der klimapolitischen Verpflichtungen. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und das International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) veranstalten deshalb am 4. und 5. November eine hochrangige Konferenz (<link http: www.crossroadsbonn.org>www.crossroadsbonn.org), in der Akteure aus unterschiedlichen Bereichen unserer Gesellschaften und aus allen Regionen des Planeten zusammenkommen, um zu beraten, wie Klimaschutz, die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie sozialer Ausgleich zusammengeführt werden können. Zu demonstrieren, wie Klimaschutz gelingen kann, der den Planeten stabilisiert und unsere Gesellschaften resilienter und fairer macht, kann Kräfte zur Umsetzung des Pariser Abkommens freisetzen.
Während der COP23 steht auch Deutschland im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die noch amtierende Bundesregierung und die „Jamaika-Verhandler“, die derzeit die Grundlagen der nächsten Bundesregierung erarbeiten, müssen der Weltöffentlichkeit deutlich machen, wie Deutschland seine Klimaziele für 2020, also eine Reduzierung der Emissionen um 40 % gegenüber 1990, doch noch schaffen kann, nachdem das Umweltministerium deutlich gemacht hat, dass die derzeitigen Anstrengungen dazu nicht ausreichen. Deutschland ist wichtig für den globalen Klimaprozess. Es versteht sich seit COP1, die 1995 in Berlin stattfand, als klimapolitischer Vorreiter. Wie sollen Länder wie Indien, Südafrika, Indonesien, Vietnam, Argentinien oder auch Polen überzeugt werden, den Aufbau einer klimaverträglichen Wirtschaft zu beschleunigen, wenn selbst dem vielbestaunten Wirtschaftswunderland Deutschland, das die globale Finanzmarktkrise besser überstanden hat als die meisten anderen Ökonomien, die Kraft dazu fehlt? Dass die Klimaverhandlungen 2017 in Deutschland stattfinden, ist daher Chance und Verpflichtung zugleich.
Die Sorge vor Rechtspopulismus, neuem Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit beschäftigt viele Menschen – nicht zuletzt in den westlichen Ländern. Wutbürgertum resultiert oft aus fehlender Zuversicht und Zukunftsangst. Das Pariser Klimaabkommen und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung können hier wichtige Wegweiser sein, um Zukunft zu gestalten. Klimaschutz wird nicht als „Verzichtsprogramm“ erfolgreich sein – weder in reichen, noch in armen Ländern. Klimaschutz wird nur gelingen, wenn er Hand in Hand geht mit Investitionen in soziale Kohäsion und in den Abbau von Ungleichheiten.
Klimaschutz und Gerechtigkeitspolitik sind Zwillinge. Der Klimagipfel in Bonn kann und sollte Lust machen auf Zukunft, auf den Aufbau attraktiver Städte, auf die Schaffung einer leistungsfähigen und zugleich planeten- und menschentauglichen Landwirtschaft, auf die Bewahrung der Umwelt, mit all ihren unglaublichen Schönheiten, auf die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Städten, Künstlern, Wissenschaftlern, Jugendlichen über Ländergrenzen hinweg. Kreativität, Aufbruchsstimmung und Begeisterung für Zukunftsgestaltung könnten an die Stelle von Verzagtheit, Zynismus, Abgrenzung und Zukunftsblindheit treten. Hört sich naiv an? Die Schaffung Europas auf den Trümmern und dem Hass nach den beiden Weltkriegen war auch so eine naive, aber zugleich bahnbrechende Vision. Am Ende könnte das globale Klimaproblem den Anstoß für das größte und erste weltumspannende Modernisierungsprogramm der Menschheit gegeben haben.