Die aktuelle Kolumne
G20 vor dem Internationalen Tag der Demokratie
Kein Ausverkauf der Demokratie
Leininger, JuliaDie aktuelle Kolumne (2023)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 12.09.2023
Bonn, 12. September 2023. Der G20 Gipfel führte vor, wie Demokratien und Autokratien kooperieren. „Für Demokratie einstehen und mit Autokraten kooperieren - geht das?“ fragt die Autorin der heutigen Aktuellen Kolumne.
In der G20 Gipfelerklärung vom Wochenende kommt das Wort Demokratie nicht einmal vor. In der aktuellen Situation ist das gut so. Zweckbündnisse sind zwar notwendig, um globale Herausforderungen zu bewältigen. Wertegeleitete Politik muss aber trotzdem für Demokratie einstehen. Gerade in der aktuellen Weltlage ist das notwendig. Als die Vereinten Nationen den Internationalen Tag der Demokratie (15.9.) vor 16 Jahren einführten, war es um die Demokratie noch besser bestellt. Es gab zwar erste Anzeichen für das, was heute als „dritte globale Autokratisierungswelle“ bezeichnet wird, doch die Hälfte der Menschen lebte weltweit noch in Demokratien. Das ist jetzt anders. Im Jahr 2022 lebten 72% der Weltbevölkerung in Regimen mit autokratischen Merkmalen. Beispielsweise beschneidet Indien, der aktuelle G20-Vorsitz und einst größte Demokratie der Welt, Grundfreiheiten einzelner Gruppen. Auch die jüngsten Militärputsche in Niger und Gabun stehen für ein neues Erstarken autokratischer Herrschaft.
Doch ist es nicht nur um die Verfasstheit einzelner Demokratien schlecht bestellt. Demokratie ist auch wieder zum wenig hilfreichen Kampfbegriff in der globalen Politik geworden. Die EU, Deutschland und die USA sprechen von „systemischer Rivalität“ zwischen Autokratien und Demokratien. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung bekennt sich zu einer wertegeleiteten Politik. 76 Treffer bringt die Suche nach dem Demokratiebegriff in dem Dokument, so häufig wie in keiner anderen Sicherheitsstrategie westlicher Mächte. Da hat sich Deutschland eine sehr hohe Messlatte gelegt. Doch was heißt es wirklich, für Demokratie einzustehen in einer multipolaren Welt voller Herausforderungen?
Demokratiepolitik und gemeinwohlorientierte Kooperation mit Autokraten sind deutsches Interesse
Demokratiepolitik nach Außen – wie nach Innen – ist im Interesse Deutschlands. Für eine Volkswirtschaft, deren Wohlstand sich vornehmlich aus Exporten finanziert, sind stabile Beziehungen mit anderen Staaten zentral. Demokratien bieten nicht nur nachhaltigere Entwicklung, sondern auch höhere Erwartungssicherheit und auf Dauer stabilere Kooperationen. Dennoch kommt Deutschland nicht umhin, seine Interessen durch die Kooperation mit Autokratien zu verfolgen. Das kann auch ohne einen Ausverkauf der Demokratie gelingen, wenn gemeinwohlorientierte Zweckbündnisse geschmiedet werden. Beispielsweise braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung von Demokratien und Autokratien, um den Klimawandel einzudämmen. Eine Reform des Welthandelssystems funktioniert nicht, wenn sich nur der Club der Demokratien zusammentut. Und auch das Eintreten gegen Putschisten in Westafrika wäre gemeinsam mit strategisch relevanten Autokratien wie China sicherlich effektiver. Doch wird da nicht die wertegeleitete Außen- und Entwicklungspolitik verraten? Nicht, wenn der Kooperationszweck gemeinwohlorientiert ist und der Demokratiebegriff außen vor bleibt. Schaden für die Demokratie entstünde, wenn Autokratien vorgeben würden, sich für Demokratie einzusetzen. So würden noch mehr demokratische Fassaden aufgebaut und demokratische Prinzipien weiter ausgehöhlt. Würden Demokratien das durch gemeinsame Stellungnahmen wie beim G20 Gipfel unterstützen, gewännen autokratische Regime weiter an Legitimität.
Deutsche Beiträge zum schleichenden Tod der Demokratie?: „Do no democratic harm“
Nicht nur bei Zweckbündnissen entstehen Gefahren für die Demokratie. Die meisten Demokratien sterben schleichend. Gewählte Amtsinhaber wie Orban in Ungarn, Bolsonaro in Brasilien oder Talon in Benin höhlen demokratische Institutionen aus. Als zweitgrößter Geber von internationalen Entwicklungsgeldern hat Deutschland eine besondere Verantwortung, solche Autokratisierungsprozesse zumindest nicht zu verstärken. Der Autokratisierung mit aktiver Politik von außen entgegenzuwirken ist nur erfolgreich, wenn sie pro-demokratische Kräfte vor Ort verstärken kann. Alleine kann kein Staat interne Dynamiken eines Landes umkehren. Das gilt umgekehrt auch für Autokratisierung. Für entwicklungspolitische Kooperationen wurde mehrfach nachgewiesen, dass sie Autokratien indirekt stabilisieren und Autokratisierungstrends verstärken können, wenn sie nicht umsichtig gestaltet werden. Beispielsweise können die unbedachte Unterstützung von Verwaltungsreformen oder Investitionen im öffentlichen Sektor den politischen Spielraum für Autokraten erweitern. Zwar fördert Deutschland durch Projekte und politische Stiftungen pro-aktiv Demokratie, doch ist unwahrscheinlich, dass diese relativ geringen Mittel die nicht intendierten Wirkungen von Entwicklungspolitik in autokratischen Kontexten aufwiegen können. Erste Schritte, um Demokratie weltweit zu schützen – auch bei der Umsetzung der Nationalen Sicherheitsstrategie – wäre ein „Do no harm to democracy“-Prinzip zu entwickeln. Das bedeutet Kooperationen daraufhin zu prüfen, was für potenzielle Wirkungen sie auf die politische Verfasstheit eines Staates haben, aber auch, ob die Zahlung von Entwicklungsgeldern in strategisch weniger relevanten Ländern (z.B. Ruanda) nicht besser eingestellt werden sollte.