Die aktuelle Kolumne

Kapitalflüsse in Schwellenländer: Vorspiel zur nächsten Krise?

Volz, Ulrich
Die aktuelle Kolumne (2011)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 02.05.2011)

Bonn, 02.05.2011. Das Geld fließt wieder. Nachdem Banken und andere Finanzinvestoren nach der Lehman-Pleite im September 2008 massiv Investitionen aus Schwellenländern abgezogen haben, wird seit Mitte 2009 wieder kräftig investiert. Private Nettokapitalflüsse in Schwellenländer werden vom Institute of International Finance (IIF) in Washington für 2010 auf 908 Mrd. US-Dollar geschätzt, 50 % höher als 2009. Für 2011 erwartet das IIF einen weiteren Anstieg privater Kapitalbewegungen in Richtung der Schwellenländer auf 960 Mrd. US-Dollar und auf 1.009 Mrd. US-Dollar für 2012.

Während die meisten Industrieländer nach wie vor mit den Folgen der globalen Finanzkrise kämpfen, wachsen die Volkswirtschaften vieler Entwicklungs- und Schwellenländer schon wieder kräftig. In dem vor kurzem veröffentlichten World Economic Outlook schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF) das Wachstum in den Industrieländern auf 2,4 % in 2011 und 2,6 % in 2012. Für Entwicklungs- und Schwellenländer hingegen erwartet der IWF Wachstumsraten von 6,5 % in beiden Jahren. Für die asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländer werden für 2011 und 2012 sogar Wachstumsraten von über 8 % erwartet. Diese deutlich besseren Wachstumsaussichten ziehen Investoren an, genauso wie die starken Fundamentaldaten der meisten Schwellenländer, positive Zinsdifferenziale und Aufwertungserwartungen ihrer Währungen. Die nach wie vor expansiven Geldpolitiken der meisten Industrieländer führen zudem zu hoher globaler Liquidität, die auf der Suche nach Rendite nicht nur in die internationalen Öl-, Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkte fließt, sondern eben auch in die Schwellenländer.

Diese Kapitalzuflüsse stellen für die Schwellenländer eine große Herausforderung dar und bergen gewaltige Risiken – bis hin zur Gefahr von Finanzkrisen. Zunächst einmal besteht die Gefahr eines abrupten Endes der Kapitalströme oder gar eines schnellen Abzugs von Portfolioinvestitionen. Das jüngste Beispiel ist der Kapitalabzug aus den Schwellenländern trotz guter Fundamentaldaten in Folge des Liquiditätsengpasses internationaler Banken und Investoren während der letzten Weltfinanzkrise. Die Nettokapitalflüsse in Schwellenländer gingen 2008 um 52 % auf 622 Mrd. US-Dollar zurück. Untersuchungen des IWF zeigen, dass die Volatilität von Kapitalflüssen über die letzten Jahrzehnte zugenommen hat – für Schwellenländer noch mehr als für Industrieländer. Die gegenwärtigen Finanzflüsse in Schwellenländer werden von Portfolioinvestitionen in Anleihemärkte dominiert, die historisch betrachtet besonders volatil sind. Direktinvestitionen, die eher langfristiger Natur sind und denen im Allgemeinen die größten Entwicklungseffekte zugeschrieben werden, sind dagegen weiter rückläufig.

Ein zweites Problem ist ein möglicher Beitrag internationaler Kapitalflüsse zur Bildung von Blasen. In vielen Schwellenländern hat eine von niedrigen Realzinsen befeuerte Kreditvergabe bereits zu einem Boom auf den Kapitalmärkten und im Immobiliensektor geführt. Weitere externe Kapitalzuflüsse können die Blasenbildung weiter vorantreiben. Die jüngsten Erfahrungen von Krisenländern wie den USA, Irland und Spanien, deren Investitionsbooms vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls von externen Investitionen angefeuert wurden, sollten Anlass zur Sorge geben.

Und drittens erhöhen die Kapitalströme den Inflationsdruck in den Schwellenländern, insbesondere wenn sie sich gegen eine Aufwertung der eigenen Währung stemmen, so wie dies gegenwärtig der Fall ist. Interventionen im Devisenmarkt zur Vermeidung oder Abschwächung von Währungsaufwertungen erhöhen die Geldmenge und verkomplizieren die Geldpolitik der Zentralbank. Eine Sterilisierung ist zwar möglich, aber nicht kostenfrei und auch nicht immer wirksam. Darüber hinaus kann eine zu laxe Geldpolitik zur Vermeidung weiterer Kapitalzuflüsse und damit einhergehender Währungsaufwertung das Inflationsrisiko weiter erhöhen. Der <link record:tx_ttnews:tt_news:4502 internal-link>Preisanstieg auf den internationalen Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkten hat den Inflationsdruck in Schwellenländern ohnehin schon deutlich ansteigen lassen. Viele Schwellenländer, darunter auch China und Indien, kämpfen bereits seit einer Weile mit steigenden Inflationsraten, insbesondere einer Verteuerung von Nahrungsmitteln.

Schwellenländer haben mehrere Politikoptionen, um dem Inflationsdruck und einer Blasenbildung auf den Finanz- und Immobilienmärkten entgegenzuwirken. So können sie eine striktere Geld- und Fiskalpolitik betreiben oder die Regulierung des Finanzsektors verschärfen. Die Problematik einer restriktiveren Geldpolitik aber liegt darin, dass höhere Zinsen weiteres Kapital anziehen würden, was auch weiteren Aufwertungsdruck für die Währung bedeuten würde. Zwar würde eine Währungsaufwertung den heimischen Inflationsdruck dämpfen, da die internationale Kaufkraft gestärkt wird und Importe – auch von Öl, Rohstoffen und Lebensmitteln – verbilligt werden. Die meisten Schwellenländer fürchten aber einen mit der Aufwertung einhergehenden Wettbewerbsverlust ihrer Exportindustrien, insbesondere da China seine Währung weiterhin eng an den Dollar gekoppelt hält.

Eine Vielzahl von Schwellenländern, wie z.B. Brasilien, Indonesien, Südkorea, Thailand und die Türkei, hat daher in den letzten Monaten versucht, durch verschiedene Arten von Kapitalverkehrskontrollen den Zufluss ausländischen Kapitals zu begrenzen. Selbst der IWF – lange Zeit ein scharfer Kritiker von Kapitalverkehrskontrollen – hat in einem kürzlich veröffentlichten Report zum Umgang mit Kapitalzuflüssen die Nutzung von Kapitalverkehrskontrollen (zumindest unter gewissen Bedingungen) befürwortet. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, denn Kapitalverkehrskontrollen sollten für Entwicklungs- und Schwellenländer selbstverständlich zum makroökonomischen Instrumentarium gehören – so wie dies übrigens bis zum Ende der 1980er Jahre auch in Europa der Fall war.

Statt aber alleine auf Kapitalverkehrskontrollen zu setzen, sollten Schwellenländer auch von einer restriktiveren Geld- und Fiskalpolitik und einer schärferen Regulierung des Finanzsektors Gebrauch machen. Nicht zuletzt sollten sie sich zudem nicht gegen eine geordnete Aufwertung ihrer Währungen sträuben. Um die relative Wettbewerbsfähigkeit untereinander zu bewahren, könnten wichtige Schwellenländer wie Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS) eine koordinierte Aufwertung vereinbaren, die auch anderen Entwicklungs- und Schwellenländer mehr Luft für eine Aufwertung geben würde. Die Wechselkurspolitik wurde beim jüngsten BRICS-Gipfel am 14. April 2011 in Sanya auf Wunsch der chinesischen Gastgeber ausgeklammert. Doch im gemeinsamen Interesse sollte das Thema möglichst bald oben auf der Tagesordnung der BRICS stehen, und das nicht erst beim nächsten Gipfel in Indien 2012. Alle Teilnehmer an der Weltwirtschaft sind auf kooperatives Verhalten der großen Wirtschaftsnationen angewiesen – zu denen jetzt auch die Schwellenländer gehören. Man sieht, dass es in dieser neuen „multipolaren“ Weltwirtschaft noch komplizierter wird, kooperative Lösungen jenseits des kurzfristigen nationalen Interesses zu finden.

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