Die aktuelle Kolumne
40 Jahre „Das Prinzip Verantwortung“
Ist eine radikale Technologieskepsis noch zeitgemäß?
Stamm, AndreasDie aktuelle Kolumne (2019)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), (Die aktuelle Kolumne vom 01.04.2019)
Bonn, 01.04.2019. Vor vierzig Jahren wurde das Buch „Das Prinzip Verantwortung“ des jüdischen Philosophen Hans Jonas erstmals veröffentlicht. Auch wenn der Autor heutzutage nicht mehr jedem geläufig ist, so hat Jonas die umwelt-, energie- und technologiepolitische Debatte in Deutschland und darüber hinaus doch wesentlich geprägt. Zentrale These seines Werkes ist der von ihm erstmals explizit formulierte „ökologische Imperativ“. In Anlehnung an Immanuel Kant lautet dieser: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Seit den siebziger Jahren wurde die wachsende Bedrohung der menschlichen Existenz – zum Beispiel durch globale Umweltveränderungen – zunehmend deutlich. Hans Jonas großer Verdienst ist es, die damit einhergehenden Sorgen in einen verantwortungsethischen Rahmen gestellt zu haben.
Angesichts erodierender planetarer Grenzen ist jedoch fraglich, ob seine Aussagen zu einer verantwortungsvollen Technologiewahl heute noch unbeschränkte Gültigkeit haben. Hans Jonas sieht technologischen Fortschritt – vor allem wenn er grundsätzliche Neuerungen hervorbringt – vorrangig als Gefahr und plädiert bei der Entscheidung für den Einsatz einer Technologie dafür, immer von dem schlimmsten annehmbaren Szenario auszugehen.
Vierzig Jahre später müssen wir jedoch nüchtern feststellen, dass die Grenzen der Belastbarkeit von Ökosystemen nicht in erster Linie durch singuläre Ereignisse bei neuen Technologien überschritten werden. Seit dem Erscheinen von „Das Prinzip Verantwortung“ ist die Weltbevölkerung um mehr als 3 Milliarden Menschen angewachsen. Der Anteil der in absoluter Armut lebenden Menschen ist weltweit von 40 auf zehn Prozent gesunken. Es werden also die materiellen Bedürfnisse der Menschen zunehmend befriedigt – was wünschenswert ist. Dies führt aber gerade bei traditionellen Techniken, wie beispielsweise dem Brandrodungsfeldbau, zur Expansion der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf Kosten von Wäldern und der Biodiversität. Auch den Klimawandel kann man nur dann als Folge eines technologischen Wandels interpretieren, wenn wir die weit über hundert Jahre alte Verbrennung von fossilen Energieträgern im industriellen Maßstab als neue Technologie verstehen.
Zu fragen ist daher, ob der ökologische Imperativ nicht auch mit dem Einsatz eher unbeliebter Technologien einhergehen kann – zumindest wenn diese eine wissenschaftlich und ethisch begründete Technikfolgenabschätzung durchlaufen haben. Dies zum Beispiel dann, wenn durch eine produktivere Landwirtschaft Ernährungssicherung trotz Klimawandels auf gleichbleibender Fläche gewährleistet werden kann oder wenn es Brückentechnologien ermöglichen, breit einsetzbare nachhaltige Lösungen zu entwickeln, wie bei der Energieversorgung.
Zwei Beispiele verdeutlichen, wie schwierig es ist, bei der Technologiewahl sowohl die wissenschaftliche Evidenz zu ihren positiven und negativen Wirkungen zu berücksichtigen als auch diese Wirkungen angemessen ethisch zu reflektieren. So ist Deutschland vor wenigen Jahren aus der experimentellen Erprobung von Kohlenstoffabscheidung und -lagerung (Carbon Capture and Storage, CCS) ausgestiegen, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Der Hauptgrund war keine fundierte Kosten-Nutzen-Risiko-Abwägung, sondern eine diffuse Angst vor dieser Großtechnologie. Befürchtet wird beispielsweise, dass eingelagertes CO2 unkontrolliert wieder an die Oberfläche gelangt. Dies ist aber bei experimentellen CCS-Anlagen noch nie passiert.
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist unbestritten das Gebot der Stunde. Jedoch: selbst wenn es möglich wäre, die gesamte Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umzustellen, können Emissionen aus industriellen Prozessen nur durch CCS vermieden werden. Wichtiger noch: Ohne eine signifikante CCS-Forschung fällt Deutschland als Partner für Entwicklungsländer aus, die in hohem Maße auf fossile Energieträger bauen müssen und bei denen ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energien aus ökonomischen und sozialen Gründen kaum zu erwarten ist. Dies betrifft Länder wie Südafrika und Indien, deren Klimagasemissionen einen zunehmenden globalen Anteil haben. Südafrika verfolgt seit Jahren eine eigene CCS-Strategie. Dabei wäre das Land an einer Zusammenarbeit mit dem traditionell forschungsstarken Deutschland sicher interessiert.
Neue gentechnische Methoden (Gene Editing, CRISPR-CAS9) werden in Deutschland ähnlich abgelehnt wie klassische Gentechnik. Einige Biotechnologieexperten meinen jedoch, dass Gene Editing risikoarm ist und vor allem traditionelle Pflanzenzüchtung beschleunigen kann, dabei zielgerichteter und ressourcensparender ist. Zudem habe die Technologie das Potenzial, die CO2-Absorption durch Bäume ebenso zu erhöhen wie die Resistenz von Nutzpflanzen gegen die Folgen des Klimawandels: Beides ist aus klima- und entwicklungspolitischen Gründen wünschenswert.
Der ökologische Imperativ ist aus heutiger Sicht durchaus auch mit einer offenen Haltung gegenüber neuen Technologien zu verbinden. Zumindest sollten weitreichende gesetzliche und regulatorische Entscheidungen, die ihre Nutzung unterbinden, mehr als bisher auf einer wissenschaftlich und ethisch begründeten Bewertung von Nutzen und Risiken beruhen. Da Technologien zunehmend auf globale Herausforderungen reagieren, sollte Technikfolgenabschätzung auch auf multilateraler Ebene erfolgen. Solche Ansätze zu entwickeln ist ein Gebot der Stunde.
Das DIE veranstaltet zu diesem Thema eine Vortragsreihe: <link record:tx_events:tx_veranstaltung_domain_model_veranstaltung:1194 internal-link>Forty years after the „Imperative of Responsibility“ – Ethics of technology in times of eroding planetary boundaries