Die aktuelle Kolumne

Ist die Erde noch regierbar? ... und was das für die Entwicklungspolitik bedeutet

Messner, Dirk
Die aktuelle Kolumne (2010)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 11.01.2010)

Bonn, 11.01.2010. 1994 veröffentlichte der israelische Politikwissenschaftler Yehezkel Dror einen weitsichtigen Bericht an den Club of Rome unter dem Titel „Ist die Erde noch regierbar?“. Dror argumentierte in seiner Studie, dass Wohlstand und nachhaltige Entwicklung in den Nationalstaaten in Zukunft nur noch gesichert werden könnten, wenn es der Menschheit gelinge, „die Erde als Ganzes“ zu regieren. Vor 15 Jahren war dies ein kühner Gedanke.

Im Jahr 2010 ist kaum zu bestreiten, wie richtig Yehezkel Dror mit seiner Analyse lag. In der Entwicklungspolitik geht es in den kommenden 5 Jahren darum, die Millenniumsziele zu erreichen. Die Staatengemeinschaft hat sich vorgenommen, bis 2015 die weltweite Armut zu halbieren. Die Industriestaaten sollen dazu durch steigende und wirksame Investitionen in die Entwicklungszusammenarbeit beitragen und die Entwicklungsländer für gute Regierungsführung sowie Wirtschafts-, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialpolitiken sorgen, die nicht nur den Eliten, sondern der gesamten Bevölkerung zu Gute kommt. Ohne enorme Kraftanstrengungen und mutige Reformen in den Entwicklungsländern können die Millenniumsziele nicht erreicht werden. Auch die Entwicklungspolitik der Industrieländer muss sich verändern: mehr Arbeitsteilung zwischen den Gebern ist notwendig, verlässliche Finanztransfers, weniger Bürokratie, mehr Verantwortung für entwicklungsorientierte Partner vor Ort und weniger Bevormundung durch die internationalen Experten; dafür klare Zielvereinbarungen und Überprüfungen, ob die Entwicklungsinvestitionen auch wirksam eingesetzt wurden, und Druck auf reformunwillige Regierungen.

Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Die weltweite Armut sowie internationale Spannungen und Konflikte werden zunehmen, wenn es nicht zugleich gelingt, „die Erde zu regieren“. Die 2008/ 2009 entgleisten internationalen Finanzmärkte brauchen ein neues, globales Fundament, damit die ökonomische Globalisierung dauerhaft zu weltweiter Wohlfahrt beitragen kann. Eine gefährliche globale Erwärmung muss vermieden werden. Antworten auf die Konflikte in schwachen Staaten, die ganze Regionen zu destabilisieren drohen, müssen gefunden werden. Hier geht es um den Kampf um den Zugang zu Ressourcen, politisierte ethnische Konflikte, schwer kontrollierbare und grenzüberschreitende islamistische Terrornetzwerke. Die kommende Dekade wird zeigen, ob die Menschheit lernt, das gemeinsame „Raumschiff Erde“ in der Balance zu halten.

Wir leben in einer Zwischenzeit. Kaum jemand bestreitet mehr, dass ohne eine Kultur globaler Kooperation Stabilität, Wohlstand und Sicherheit in einer weltweit eng vernetzten Welt nicht mehr zu haben sind. Doch ist eine globale Kooperationskultur mehr als nur eine naive Idee? Die Weltgemeinschaft stolpert durch ein Wechselbad der Gefühle. Die Öffnung der G 8 zur G 20 ist ein großer Fortschritt, denn sie signalisiert das Ende des uneingeschränkten und letztlich unhaltbaren Führungsanspruchs der westlichen Industrieländer gegenüber dem Rest der Welt. Niemals in der Geschichte der Menschheit gab es so viele „globale Netzwerker“, die die Welt als Ganzes wahrnehmen und das enge nationalstaatliche Denken längst hinter sich gelassen haben: international orientierte Studenten, sich im Internet organisierende Weltgemeinschaften, weltweit vernetzte Wissenschaftler, Nichtregierungsorganisationen, Kulturschaffende und Unternehmer. Der weltoffene Obama hat den unilateralen US-Präsidenten Bush abgelöst. In Zeitungen rund um den Erdball wird von Sozialwissenschaftlern, Neurowissenschaftlern und Psychologen diskutiert, ob der Mensch ein kooperationsfähiges Wesen ist, das auch im globalen Maßstab lernen könnte, seinen Egoismus und seine Gewaltpotenziale zu zügeln. All dies macht vorsichtig optimistisch.

Doch die beschleunigte Globalisierung geht auch einher mit eifersüchtig streitenden Nationalstaaten, die dabei scheitern, nationale und Weltinteressen auszubalancieren: die nicht enden wollenden Welthandelsrunden oder auch die große Ernüchterung von Kopenhagen stehen für die selbstdestruktiven Trends in der Weltpolitik. In der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts stehen in drei Weltarenen Entscheidungen an, die für die Zukunft der globalen Entwicklung von herausragender Bedeutung sind: Gelingt es, nachdem die G 20 einen Kollaps des Weltfinanzsystems verhindern konnte, nun eine neue und zukunftstaugliche Weltwirtschaftsordnung zu etablieren? Kann der Schock von Kopenhagen Kräfte freisetzen, um eine Destabilisierung des Klimasystems doch noch zu vermeiden? Können die USA, China und Europa sukzessiv gemeinsame Vorstellungen zur Ordnung der Welt entwickeln oder blockiert die multipolare Kräftekonstellation Fortschritte beim globalen Regieren?

Die Spielräume und Erfolgsaussichten für die internationale Entwicklungspolitik entscheiden sich nicht zuletzt in diesem globalen Rahmen. Doch die Entwicklungspolitik kann auch selbst Beiträge dazu leisten, dass die Menschheit lernt, „die Erde zu regieren“. Die Kooperation zwischen Industrie- und Entwicklungsländern muss dafür sorgen, dass auch die schwachen Akteure faire Chancen bekommen, sich wirkungsvoll an Debatten und Initiativen zur „Neuordnung der Welt“ zu beteiligen. Gelingt dies nicht, kann keine legitime Global Governance entstehen. Die Zeiten, in denen die „großen Mächte“ über den Rest der Welt herrschen konnten, sind vorüber. Die Entwicklungspolitik kann zudem dazu beitragen, Entwicklungsstrategien hervorzubringen, zu erproben und zu verbreiten, die die Grenzen des Erd- und Klimasystems akzeptieren. Ohne die Etablierung ressourcenschonender und klimaverträglicher Wohlstandsmodelle wird nicht nur die Armutsbekämpfung scheitern, sondern auch der Reichtum der Industriegesellschaften erodieren.

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