Die aktuelle Kolumne
EU-Handelspolitik und Geopolitik
Herausforderungen für die neue EU-Kommission
Brandi, Clara / Ferdi De Ville / Clara WeinhardtDie aktuelle Kolumne (2024)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 02.09.2024
Bonn, den 02. September 2024. Die EU hat zahlreiche neue unilaterale Handels- und Investitionsinstrumente geschaffen, um sich in einem Umfeld geoökonomischen Wettbewerbs neu zu positionieren, während sich die Klimakrise beschleunigt. Die EU sollte die Weltgemeinschaft dabei durch ihre Alleingänge im Zuge dieser „autonomen Maßnahmen“ nicht verprellen. Die EU braucht weltweit Partner, um internationale Politik gestalten zu können. Die Auswirkungen ihrer unilateralen Handelspolitik, nicht zuletzt auch auf Länder des Globalen Südens, sind hier zentral. Zukünftig sollte die EU mehr Augenmerk darauflegen, wie die geoökonomische Wende der EU-Handelspolitik ihre Rolle in der Welt beeinflusst. Denn durch die neuen unilateralen Instrumente werden Zielkonflikte zwischen Handels- und Entwicklungspolitik verschärft.
Die EU hat drei Arten von neuen geoökonomischen Instrumenten in der Handelspolitik entwickelt: Erstens, Wettbewerbsinstrumente, die darauf abzielen, Marktverzerrungen zu beseitigen und gleiche Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen zu schaffen. Zweitens, Sicherheitsinstrumente, die wirtschaftliche Maßnahmen zur Erreichung von Sicherheitszielen nutzen. Und drittens Nachhaltigkeitsinstrumente, die darauf abzielen, negative Umwelteffekte im Zusammenhang mit Handel und Investitionen zu mindern.
Die Auswirkungen dieser handelspolitischen Instrumente für Niedrig- und Mitteleinkommensländer sind unterschiedlich. Zielkonflikte zwischen geoökonomischen und entwicklungspolitischen Zielen sind bei nachhaltigkeitsbezogenen Instrumenten der EU-Handelspolitik relevanter als bei den anderen beiden.
Wettbewerbs- und Sicherheitsinstrumente haben oft nur begrenzte Auswirkungen auf Entwicklungsländer. Diese Instrumente sehen zwar selten Flexibilität oder Ausnahmen für diese Länder vor. Sie richten sich jedoch primär an Länder mit hohem oder mittlerem Einkommen wie die USA, Japan, Brasilien und China. Nichtdestotrotz können Entwicklungsländer negativ betroffen sein. Ein Beispiel ist das International Procurement Instrument (IPI), das den Zugang zu den EU-Beschaffungsmärkten für Unternehmen aus Ländern beschränkt, die die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens der EU nicht in vergleichbarem Maße mittragen. Hier wurde explizit eine Ausnahme für die am wenigsten entwickelten Länder in das Instrument integriert, um Zulieferer dieser Länder nicht zu benachteiligen. Größere Entwicklungsländer wurden jedoch nicht ausgenommen.
Nachhaltigkeitsbezogene Instrumente können dagegen häufig substantielle negative Auswirkungen auf Entwicklungsländer haben. Sie konzentrieren sich oft auf Hochrisikoprodukte oder -länder – und nehmen hier gerade Entwicklungsländer häufig ins Visier. Ab Ende 2024 müssen beispielsweise für entwaldungsfreie Lieferketten umfangreiche Sorgfaltspflichten für Rohstoffe wie Holz, Kakao, Kaffee eingehalten werden und diese Auflagen betreffen vor allem Länder des „Globalen Südens.“ Für die Wirksamkeit der EU-Nachhaltigkeitspolitik gilt es als notwendig, den Entwicklungsländern keine Flexibilität zu gewähren. Ein Ausgleich in Form von finanzieller oder technischer Unterstützung ist als Teil der Instrumente nicht vorgesehen. Entwicklungsländer kritisieren zudem, dass sie in der Entwicklung der neuen Instrumente nicht vorab konsultiert wurden.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus? Erstens scheint die Politikkohärenz („policy coherence for development“) für die EU an Bedeutung zu verlieren. Dies macht die EU als Partner für die Länder des Globalen Südens zunehmend weniger attraktiv, besonders angesichts des stetig wachsenden Wettbewerbs mit wichtigen Playern wie China. Zweitens erschwert der geoökonomische Wettbewerb die Vereinbarkeit zwischen verschiedenen Zielen der EU-Außenpolitik. Ehemals konnte die EU Handelsliberalisierung als Allheilmittel präsentierten, das globalen Wohlstand, Frieden und Nachhaltigkeit fördert. Das neue geoökonomische Paradigma erkennt an, dass die Liberalisierung von Handel und Investitionen mit erheblichen Risiken und negativen externen Effekten im Bereich Entwicklung, Umwelt und Sicherheit verbunden ist.
Für die Zukunft sollte die EU sicherstellen, dass handelspolitische Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels oder des Biodiversitätsverlusts nicht zu Lasten der Entwicklungsländer gehen. Wenn ein Ausgleich oder eine Kompensation nicht in die relevanten handelspolitischen Instrumente selbst integriert ist, sollte die EU verstärkt Unterstützung auf anderen Wegen anbieten. Wichtige Ansatzpunkte sind die EU-Afrika-Initiative für grüne Energie, das Global Gateway oder bilaterale Initiativen und Finanzierungsinstrumente. Die To-do-Liste der neuen EU-Kommission ist also lang.
Prof. Dr. Clara Brandi ist Programmleitung im Forschungsprogramm „Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme“.
Prof. Dr. Ferdi De Ville ist Associate Professor für Europäische Politische Ökonomie am Institut für Politikwissenschaft der Universität Gent.
Clara Weinhardt, PhD ist Assistant Professor für internationale Beziehungen an der Universität Maastricht.