Die aktuelle Kolumne
Globale Energiewende
Grüner Wasserstoff – ein Beitrag zur Just Transition?
Altenburg, Tilman / Andreas Stamm / Rita StrohmaierDie aktuelle Kolumne (2023)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), (Die aktuelle Kolumne vom 13.03.2023)
Bonn, 13. März 2023. Deutschland bekennt sich in seiner internationalen Energiekooperation zur „Just Transition“. Das heißt: Gerade in Ländern mit niedrigen Einkommen und Energiedefiziten darf der Umbau der Energiesysteme nicht zu Lasten einkommensschwacher Gruppen gehen. Derzeit werden massive Investitionen in grünen Wasserstoff aus dem globalen Süden vorbereitet. Sind diese mit dem Anspruch einer Just Transition vereinbar?
Grüner Wasserstoff ist unverzichtbar für die Energiewende. Energieintensive Prozesse, die nicht elektrifiziert werden können, brauchen diesen Energieträger; zum Beispiel der Flug- und Schiffsverkehr sowie die Erzeugung von Stahl, Düngemitteln und vielen Chemieprodukten. Grüner Wasserstoff entsteht auf Basis erneuerbarer Energie, und hier haben viele Länder des globalen Südens besonders gute Bedingungen, vor allem für Solar- und Windenergie. Daher wurden Dutzende Energiepartnerschaften zwischen energiehungrigen Industrieländern und potenziellen Wasserstoffexportländern in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten und in Lateinamerika geschlossen. Deutschland subventioniert den Markthochlauf über die H2Global Stiftung, die Wasserstoff über einen Auktionsmechanismus (via Tochterfirma) einkauft und dann europaweit versteigert. Um finanzielle Risiken beim An- und Weiterverkauf abzusichern, stellt die Bundesregierung zunächst 900 Millionen (demnächst sogar 3,5 Mrd.) € bereit.
Investitionen in die Wasserstoffwirtschaft bergen große Chancen für die Exportregionen, von denen viele unter massiven Problemen des Strukturwandels leiden: kaum international leistungsfähige Industrien, Handelsbilanzdefizite, Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung. Grüner Wasserstoff kann der lokalen Industrialisierung neue Impulse geben und Arbeitsplätze schaffen: durch Betrieb und teilweise Produktion der Anlagen für Solar- und Windparks, Elektrolyseure, Pipelines, Meerwasserentsalzung und für die Konversion von Wasserstoff in transportfähige Derivate wie Ammoniak und Methanol. Zudem können energieintensive Produktionsprozesse ins Land geholt werden, von Aluminiumschmelzen und Stahlwerken bis hin zur Düngemittelproduktion und der Herstellung von Autoteilen. Nationale Industrien und Transportsysteme können dekarbonisiert und damit fit für die CO2-freie Weltwirtschaft der Zukunft werden.
Gleichzeitig sind aber die erforderlichen Infrastrukturen durchweg kapital- und technologieintensiv und beschäftigen, außer in der Bauphase, kaum Personal. Meist handelt es sich um Großanlagen, die schlüsselfertig von multinationalen Unternehmen geliefert werden. Die Chance, lokale Zulieferindustrien aufzubauen, ist gering. Die Investitionsvolumina sind sehr groß, was – wie bei Mineralöl- und Bergbauinvestitionen – Anreize für intransparente Verträge schafft. Wasserstoff-Großprojekte können daher, wenn nicht gegengesteuert wird, dem „Ressourcenfluch“ unterliegen, wie wir ihn aus erdölexportierenden Ländern kennen. Und: Vorhaben sind oft in steuerbefreiten Industriezonen angesiedelt und können Konflikte auslösen; zum Beispiel, wenn es Engpässe in der lokalen Strom- und Wasserversorgung gibt, während die exportorientierten Industrieprojekte über eigene Versorgungseinrichtungen zuverlässig beliefert werden.
Problematisch ist auch die internationale Dimension: Die Europäische Union plant eine Importsteuer für emissionsreiche Produkte aus Ländern, in denen Emissionen weniger besteuert werden. Wenn grüner Wasserstoff aus dem Globalen Süden importiert wird, um die Dekarbonisierung im globalen Norden zu beschleunigen und gleichzeitig Importe von Industriegütern aus dem globalen Süden besteuert werden, weil dieser mit der Dekarbonisierung langsamer vorankommt, dann reißt das eine zusätzliche Gerechtigkeitslücke auf.
Dass Deutschland den Einstieg in eine internationale Wasserstoffwirtschaft subventioniert, ist aus Gründen der Energiewende sinnvoll. Aber: Besonders wenn Investitionen im Globalen Süden aus dem Etat für Entwicklungszusammenarbeit subventioniert werden, müssen hohe Gerechtigkeitsstandards angelegt werden. Akzeptanz für die Energiewende wird es nur als sozialverträgliche, als Just, Transition geben. Das ist möglich, erfordert aber Weichenstellungen:
- Eine einseitige Exportförderung ist zu vermeiden. Erneuerbare Energien sollten in den Partnerländern vorrangig ausgebaut werden, um die lokale Energieversorgung zu gewährleisten und die nationale Wirtschaft zu dekarbonisieren. Wasserstoff-Exportprojekte müssen nachweislich ihren Energie- und Süßwasserbedarf durch eigene Anlagen erzeugen, im Idealfall sogar Überschüsse produzieren und in lokale Netze einspeisen.
- Die lokale Wertschöpfung darf nicht auf temporäre Impulse für die Bauwirtschaft beschränkt bleiben. Es gilt, lokale Verflechtungen zu entwickeln. Entsprechende Auflagen sind in Ausschreibungen zu verankern.
- Je weniger es gelingt, wirtschaftliche Verknüpfungen und dauerhafte neue Arbeitsplätze zu schaffen, desto mehr müssen fiskalische Effekte in den Blick genommen werden. Exportprojekte müssen deutlich mehr Steuern erwirtschaften, als in öffentliche Vorleistungen investiert wird. Zusätzliche Einkünfte sollten zur Verteilungsgerechtigkeit beitragen – etwa über ein Bürgergeld oder einen Sonderfonds für strukturschwache Regionen.
- Bei Ausschreibungen und Zuschlägen sind hohe Due Diligence-Standards anzulegen, vor allem bei Vertragsgestaltung und Investitionsrisiken.
Diese Auflagen sollten nicht allein den privaten Investoren aufgebürdet werden – das könnte den Markthochlauf verlangsamen; aber wenn Großinvestitionen gefördert werden, gehören Investitionen in flankierende Struktur- und Sozialpolitik dazu. Nur eine glaubwürdige Just Transition schafft Akzeptanz für die globale Energiewende.