Die aktuelle Kolumne

Gleichberechtigte Wissenschaftskooperation

Gleichberechtigung macht Wissenschaftskooperation effektiver

Flaig, Merlin / Detlef Müller-Mahn
Die aktuelle Kolumne (2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 23.09.2024

Bonn, 23. September 2024. Am 19. August 2024 hat die Deutsche UNESCO-Kommission (DUK) ihr Positionspapier zu „gleichberechtigter Wissenschaftskooperation weltweit“ (erarbeitet unter dem Vorsitz der IDOS-Direktorin Anna-Katharina Hornidge) vorgestellt. Es enthält zwölf praktische, einfach umzusetzende Impulse für Förderorganisationen, wissenschaftspolitische Entscheidungsträger*innen und akademische Einrichtungen, um die Voraussetzungen und Praxis der deutschen Wissenschaftskooperation im Sinne einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Partnern aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LICs/MICs) und Ländern mit hohem Einkommen (HICs) mitzugestalten.

In der Forschungs- und Förderpraxis ist eine gleichberechtigte Kooperation noch immer nicht Standard, weshalb sie weitreichender und systematischer umzusetzen ist. Wie Wissenschaftler*innen aus LICs, MICs und HICs betonen, sollten die Kernelemente gleichberechtigter Partnerschaften – das sind die gemeinsame Projektgestaltung, Budgetentwicklung und -verantwortung sowie die Umsetzung – auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt und Lernprozessen beruhen. Während des gesamten Forschungs- und Finanzierungszyklus sind die Erwartungen, Interessen und Bedürfnisse aller Forschungspartner zu berücksichtigen.

Zunächst gilt es anzuerkennen, dass Wissenschaftler*innen in LICs/MICs unter ganz anderen Bedingungen arbeiten als in HICs. Dieses Ungleichgewicht behindert die Forschung zu zentralen globalen Herausforderungen. Es kann nicht allein durch Wissenschaftskooperation überwunden, kurzfristig aber abgemildert und langfristig strategisch reduziert werden. Wissenschaftskooperation über diese globale Kluft hinweg bietet beiden Seiten die Gelegenheit, das Ungleichgewicht transparent anzugehen und das Potenzial gemeinsamer Forschung auszuschöpfen. Eine gleichberechtigte Zusammenarbeit liegt also im beiderseitigen Interesse. Deutsche Fördereinrichtungen und Richtlinien sind jedoch nicht ausreichend darauf ausgerichtet, wodurch der deutsche Wissenschaftsbetrieb im Vergleich zu internationalen Partnern, die mehr Mittel für LICs/MICs bereitstellen, weniger attraktiv erscheint.

Einer gleichberechtigten Kooperation stehen zwei große Hindernisse im Weg. Erstens müssen gleichberechtigte Partnerschaften zur Grundvoraussetzung für internationale Wissenschaftskooperation und die Beantragung internationaler Förderlinien werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema ist keineswegs neu, sondern geht auf die Zeit Mitte der 1970er Jahre zurück, als sich die hierarchischen, vom Norden dominierten Praktiken als untauglich erwiesen und der Ruf nach einem neuen Ansatz der Wissenschaftskooperation laut wurde. Seither ist die Kritik an HIC-dominierten Praktiken spürbar angestiegen. Das Engagement variiert jedoch je nach Land und Forschungsbereich, etwa in den Feldern Entwicklung, globale Gesundheit oder Meerespolitik. In jüngster Zeit gab es konzertierte Anstrengungen, dieses Problem systematischer anzugehen. Einige Beispiele sind Beratungsprozesse für die G7 und G20, die Africa Charter for Transformative Research Collaborations, die Arbeit der Schweizer KFPE und das UKCDR & ESSENCE Equitable Partnerships Resource Hub. Auch in Deutschland gab es Bestrebungen, etwa der offene Brief zahlreicher führender Forschungszentren und Wissenschaftler*innen an die DFG, den DAAD und das BMBF im Jahr 2022, das WBGU-Hauptgutachten 2023 „Gesundes Leben auf einem gesunden Planeten“ sowie das Positionspapier der DUK. Doch reicht dieses Engagement nicht aus – akademische und Fördereinrichtungen müssen diese Bekenntnisse auf breiterer Ebene und systematisch in die Praxis umsetzen.

Zweitens müssen rechtliche Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass die Kernelemente gleichberechtigter Partnerschaften Platz finden. In Deutschland und in vielen anderen HICs wird das normative Ziel der Gleichberechtigung in der internationalen Wissenschaftskooperation durch Förderorganisationen und wissenschaftspolitische Strategien bekräftigt. Die Umsetzung wird jedoch häufig durch komplizierte bürokratische Verfahren und rechtliche Hürden erschwert, die Vertrauen und verlässliche Partnerschaften behindern. Auch die Haftungsregelungen müssen überarbeitet werden, um einen angemessenen Rahmen für Wissenschaftskooperation zu schaffen, damit die Haftungsrisiken nicht über Gebühr auf Einzelnen lasten. Wissenschaftspolitiker*innen müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen so anpassen, dass längerfristig orientierte, gleichberechtigte Partnerschaften und faire Haftungsbestimmungen möglich sind. Sie müssen Regelungen treffen, die u. a. eine gemeinsame Budgetverantwortung und Mittelvergabe, eine Strategie zum Abbau bestehender Ungleichheiten, insbesondere für junge Forscher*innen aus LICs/MICs, und eine gleichberechtigte Behandlung aller Projektpartner ermöglichen, etwa in Bezug auf Vergütung, Versicherung, Schutz und Sicherheit.

Kurzum, im Sinne einer zukunftsfähigen deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft müssen gleichberechtigte Ansätze im Rahmen internationaler Wissenschaftskooperation breitere und systematische Anwendung finden, mit einem entsprechenden rechtlichen Rahmen, der gleichberechtigten Partnerschaften den Weg ebnet. Dies liegt in Deutschlands Eigeninteresse, denn eine gleichberechtigte Wissenschaftskooperation ist die Basis für die erfolgreiche Bewältigung weltweit anstehender Transformationsprozesse.


Merlin Flaig  ist Sozialwissenschaftler und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm „Transformation politischer (Un-)Ordnung“.

Detlef Müller-Mahn ist Professor für Humangeographie am Geographischen Institut an der Universität Bonn.

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