Die aktuelle Kolumne
Arktische Einzigartigkeit?
Gemeinsame Herausforderungen von Städten in und jenseits der Arktis
Götze, Jacqueline, Dorothea Wehrmann, Michał Łuszczuk, Katarzyna Radzik-MaruszakDie aktuelle Kolumne (2021)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 02.11.2021
Wie können sich Städte in der Arktis und anderswo an den Klimawandel anpassen? Der diesjährige Welttag der Städte am 31. Oktober stand im Zeichen dieser globalen Herausforderung. Er bildet den Höhepunkt des Urban October und fällt mit dem Beginn der Konferenz der Vertragsparteien (COP 26) des UN-Rahmenübereinkommens über Klimaänderungen (UNFCCC) zusammen. Im Fokus all dieser Projekte steht, wie eng Urbanisierung und Klimakrise verzahnt sind. Zum einen ist es für die derzeitigen städtischen Infrastrukturen sehr herausfordernd mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. Zum anderen verursachen Städte 75 Prozent der weltweiten Emissionen und wachsen weiter: Bis 2050 werden voraussichtlich zwei Drittel der Menschheit in Städten leben. Die Arktis ist hier keine Ausnahme.
Ungeachtet unterschiedlicher geografischer Faktoren und Governance-Rahmen tun sich Länder schwer mit dem Aufbau resilienter Städte. Taifune in Südostasien, Wirbelstürme in den USA und Überschwemmungen in Deutschland sind Beispiele für die anfällige Infrastruktur und die dringend nötigen Veränderungen. Zugleich sind manche Städte stärker vom Klimawandel betroffen als andere. Hafenstädten, in denen mindestens 130 Millionen Menschen leben, drohen Überschwemmungen und der Verlust von Landfläche. Die Städte in der Arktis erwärmen sich mindestens doppelt so schnell wie andere Regionen und sind daher besonders gefährdet. Sie veranschaulichen, dass die beiden Fragen, wie sich Städte an den Klimawandel anpassen können und wie sich die Stadtentwicklung in der Arktis und darüber hinaus auf die globale Zukunft auswirkt, nicht voneinander losgelöst beantwortet werden sollten, denn beide erfordern eine kohärente Lösung, die sich an lokalen Kontexten orientiert.
Auf den ersten Blick folgt auch die Arktis dem üblichen Urbanisierungstrend, das heißt, die urbane/rurale Bevölkerungsstruktur ändert sich, da immer mehr Menschen in die Städte ziehen. In der Arktis jedoch destabilisiert die Permafrostdegradation die Infrastruktur: „Es gibt keine einzige Siedlung in der russischen Arktis, in der nicht ein zerstörtes oder verformtes Gebäude zu finden wäre“. Da die Arktis sehr abgelegen ist, sind ihre mehr als vier Millionen Einwohner*innen stark auf die Infrastruktur angewiesen. Ähnlich wie bei den von Überschwemmungen betroffenen Küstenstädten bleibt den arktischen Städten angesichts der Permafrostdegradation nur die Umsiedlung. Doch stehen solche Umsiedlungen oft im Konflikt mit Landbesitzrechten. Wie viele Städte in der Arktis befindet sich Kiruna/Giron (Nordschweden) auf traditionell indigenem Land. Doch schränkt die wachsende Stadt die traditionelle Landnutzung der Sámi ein. Die Verstädterung wirkt hier wie ein fortwährender Grundpfeiler der Kolonialisierung und ihrer Folgen: Verschiedene Arten der Landnutzung konkurrieren miteinander, und indigene Gemeinschaften werden oft einfach unter dem Label ländliche Bevölkerung subsummiert. An Kiruna lässt sich zudem ablesen, wie die Ressourcenförderung Landflucht verstärkt ebenso wie den Bau neuer Infrastrukturen. Beides beschleunigt letztlich auch den Klimawandel.
Wirtschaftliche Gründe werden auch in Zukunft ein wichtiger Faktor für die Abwanderung in die Städte sein, und immer wird es dabei um die kontroverse Frage gehen, ob der Fokus auf der Wirtschaft oder der Umwelt liegen sollte. Die Interessen kollidieren oft nicht nur zwischen verschiedenen Interessengruppen, sondern auch zwischen verschiedenen Regierungsebenen. Vielversprechend sind jedoch Anpassungsstrategien in der Arktis, die auf Zusammenarbeit, partizipative Ansätze und lokale Governance setzen. Seit jeher werden verschiedene Interessengruppen in die Politikgestaltung einbezogen. Das sogenannte nordische Modell der lokalen Governance (angewandt in Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden und Island) sieht die Bildung eines Netzwerkes aus Interessenvertreter*innen verschiedener Sektoren und Gruppen vor, deren Zusammenarbeit den Wissensaustausch entscheidend vorantreiben kann. Die Städte in der europäischen Arktis kooperieren darüber hinaus auch grenzüberschreitend im Rahmen von Städtenetzwerken wie dem Arctic Mayors Forum. Das Forum soll lokales Wissen bündeln, um den Einfluss auf höhere Regierungsebenen zu verstärken. So unterstützt es die lokale Einbettung globaler Vereinbarungen und den Austausch lokaler Erfahrungen und Kenntnisse, die letztlich zu kohärenteren politischen Ansätzen für die Anpassung vor Ort führen.
Trotz der besonderen Herausforderungen, denen arktische Städte angesichts des Klimawandels gegenüberstehen, können die Governance-Modelle, die zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen könnten, Städten in anderen Regionen als Vorbild dienen. Die Stärkung der lokalen Ebene und der kooperative Ansatz in der Region sind auch Strategien, die vom Welttag der Städte 2021 gefördert werden, der die Zusammenarbeit zwischen Städten als Schlüssel zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele und des Pariser Abkommens bezeichnet. UN-Generalsekretär António Guterres fordert ebenfalls die Einbindung städtischer Gemeinschaften in die politische Entscheidungsfindung und die Bereitstellung finanzieller Ressourcen, um „inklusivere und dauerhaftere“ Ergebnisse zu erzielen. Dafür müssen die politischen Rahmenbedingungen gestärkt werden, die eine stärkere Zusammenarbeit über verschiedene Regierungsebenen hinweg ermöglichen – nicht nur in der Arktis, sondern auch darüber hinaus. Indem wir Städtenetzwerke als verantwortungsvolle und kompetente Akteure betrachten, können wir ihr Potenzial nutzen, um zu regionalen Lösungen für die Bewältigung grenzüberschreitender Herausforderungen beizutragen.
Dieser Text entstand im Rahmen des Forschungsprojekts „Nachhaltige städtische Entwicklung in der Europäischen Arktis (SUDEA): Verbesserung von transnationaler Kooperation in abgeschiedenen Regionen“ (Projektnummer 426674468), das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem polnischen Wissenschaftszentrum (NCN) (UMO-Vereinbarung - 2018/31/G/HS5/02448) gefördert wird.
Michał Łuszczuk, PhD, ist assoziierter Professor im Fachbereich Soziale und Ökonomische Geographie am Institut für sozialökonomische Geographie und Raumplanung an der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin, Polen. Er ist Ko-Leiter des SUDEA Projektes.
Katarzyna Radzik-Maruszak, PhD, ist assoziierte Professorin im Fachbereich Öffentliche Verwaltung an der Fakultät für Politikwissenschaft und Journalismus an der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin, Polen. Sie ist Wissenschaftlerin im SUDEA Projekt.