Die aktuelle Kolumne
Initiative Costa Ricas
Für einen gerechten Zugang zu Impfstoffen und Therapien gegen COVID-19
Stamm, Andreas / Jeffrey OrozcoDie aktuelle Kolumne (2020)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 04.05.2020
Die Welt wartet ungeduldig auf einen Impfstoff und Therapien, die die Folgen der COVID-19-Pandemie eindämmen können. Doch wie lässt sich ein bezahlbarer Zugang zu medizinischen Innovationen sicherstellen, wenn erst einmal wirksame und sichere Lösungen gefunden sind? Und wie können wir verhindern, dass sich starke Regierungen Impfstoffe und Medikamente für ihre Bürgerinnen und Bürger sichern, während ärmere Länder leer ausgehen? Die costa-ricanische Regierung hat der WHO vorgeschlagen, eine globale Initiative zu starten, um die Urheberrechte an den Technologien zu bündeln, die für die Erkennung, Prävention, Kontrolle und Behandlung von COVID-19 geeignet sind. Costa Rica selbst forscht an Therapieansätzen, basierend auf der Nutzung von Blutplasma.
Das Recht auf Gesundheit - Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - gibt dem Einzelnen das Recht, die Leistungen vom Staat zu erhalten, die zur Sicherung eines menschenwürdigen Standards bei der medizinischen Versorgung erforderlich sind. Dies gilt aktuell für den Zugang zu Impfstoffen, Medikamenten, Hilfsmitteln (Schutzmasken) und Ausrüstungen (Beatmungsgeräte) zur Bekämpfung von COVID-19. Jedoch sind die jährlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf der Bevölkerung von Land zu Land sehr unterschiedlich. Im Jahr 2017 betrugen sie in Deutschland mehr als 5.000 US-Dollar, aber nur 69 US-Dollar in Indien, 31 US-Dollar in Mali und 25 US-Dollar in Äthiopien. Es ist also offensichtlich, dass viele Staaten finanziell nicht in der Lage sind, das Recht auf Gesundheit zu gewährleisten, sondern dafür internationale Unterstützung benötigen.
Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Menschenrecht auf Gesundheit und der Logik medizinischer Innovation, insbesondere, wenn diese auf bedeutenden Investitionen in Forschung und Entwicklung basieren. Im Prinzip könnte jedes kleine öffentlich finanzierte Labor irgendwo auf der Welt eine Entdeckung machen, die zu einer entscheidenden Innovation führt. Die Erfinder würden dann vor allem durch akademische Reputation belohnt, und ihre Innovation könnte global öffentlich zugänglich werden. Pharmaunternehmen auf der ganzen Welt könnten dann Impfstoffe und Medikamente in erforderlichen Mengen herstellen. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass Erfindungen in privaten Labors im Globalen Norden gemacht werden, da es im Bereich der Gesundheitsforschung und -entwicklung immer noch ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle gibt. Im Jahr 2009 (jüngste verfügbare Daten) investierten öffentliche und private Akteure weltweit 240 Milliarden US-Dollar in die Gesundheitsforschung; 89 Prozent davon in Ländern mit hohem Einkommen. Drei Viertel aller klinischen Studien zu Arzneimitteln finden in OECD-Ländern statt. Auf den privaten Sektor entfallen 60 Prozent der weltweiten Gesundheitsforschung und -entwicklung. Wir mögen über die ethische Dimension von Profitstreben im Gesundheitssektor diskutieren, aber die Forschung zeigt, dass Gewinnaussichten Innovationen beschleunigen. Wettbewerb zwischen Unternehmen kann Kosten senken, solange Monopole vermieden werden. Die Entwicklung von Arzneimitteln ist – unter normalen Bedingungen – ein langfristiges (10-15 Jahre) und risikoreiches Geschäft: Je nach Art des Medikaments und des Zulassungsverfahrens erhalten nur zwischen 7 Prozent und 45 Prozent aller Medikamente, die in die klinische Erprobungsphase eintreten, eine Marktzulassung. Die Herausforderung besteht also darin, Anreize für private medizinische Forschung und Entwicklung beizubehalten und zugleich niemanden auszuschließen, wenn wirksame und sichere Lösungen gefunden worden sind.
Gesundheitsjuristen und Forscher aus der ganzen Welt haben die Initiative Costa Ricas begrüßt. Sie könnte Generikahersteller in die Lage versetzen, ihre Produkte zu wesentlich niedrigeren Preisen herzustellen und zu verkaufen, als in der gegenwärtigen globalen Gesundheitskrise verlangt werden könnten. Der 2010 von UNITAID gegründete Medicines Patent Pool (MPP) kann als Vorbild für den Vorschlag dienen. Öffentliche und private Patentinhaber haben 18 Lizenzen für hochwirksame Medikamente an den MPP vergeben. Dieser hat 24 Herstellern (z.B. in Indien und Südafrika) Unterlizenzen für die Produktion und den Vertrieb von kostengünstigen Generika in 136 Ländern erteilt.
Ein ähnliches Modell kann für COVID-19-Impfstoffe und Medikamente funktionieren. Angesichts des menschlichen Leids und der wirtschaftlichen Verluste durch die Pandemie könnten Unternehmen bereit sein, ihre Patente dem MPP oder UNITAID unentgeltlich zu überlassen. Die israelische Firma Medtronic hat kürzlich die vollständigen Konstruktionsspezifikationen und Software-Codes ihres tragbaren Beatmungsgeräts für jedermann zugänglich gemacht. Sollten andere Unternehmen zögern, diesem Beispiel zu folgen, riskierten sie ihre internationale Reputation. Selbst, wenn für die Lizenzierung von entsprechenden Innovationen bezahlt werden müsste, könnte dies zu einem vernünftigen Preis geschehen, wenn auf multilateraler Ebene verhandelt wird.
Andreas Stamm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsprogramms "Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme" am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE ).
Jeffrey Orozco ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centro Internacional de Política Económica para el Desarrollo Sostenible (CINPE).
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Dieser Text ist Teil einer Sonderreihe unseres Formats Die aktuelle Kolumne, die die Folgen der Corona-Krise entwicklungspolitisch und sozioökonomisch einordnet. Sie finden die weiteren Texte hier auf unserer Überblicksseite.
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