Die aktuelle Kolumne
Fragmentierte Entwicklungszusammenarbeit im Zeitalter der 2030 Agenda
Klingebiel, Stephan / Timo Mahn / Mario NegreDie aktuelle Kolumne (2016)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 11.07.2016)
Wie steht es um die Umsetzung der 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung? Dieser Frage stellen sich ab heute die Staatenvertreter bei der Tagung des hochrangigen Politischen Forums (<link https: sustainabledevelopment.un.org hlpf>High-level Political Forum, HLPF) für Nachhaltige Entwicklung in New York. Für die Zukunft der Agenda enorm relevant, aber auf der Tagesordnung weitgehend unberücksichtigt, ist ein als ‚Fragmentierung‘ bezeichnetes Phänomen. Es beschreibt eine zunehmende Vervielfältigung der Entwicklungsakteure bei gleichzeitiger Atomisierung von Zielen, Modalitäten, Instrumenten und Projekten. Verbunden damit sind enorme finanzielle Einbußen durch hohe Transaktionskosten, etwa weil Ähnliches von vielen Akteuren parallel anstatt gemeinsam angegangen wird oder verringerte Wirkungen eintreten, wenn die Effekte von Projekten sich gegenseitig aufheben. Teilweise kann Fragmentierung aber auch mehr Angebotsvielfalt erzielen, wie etwa durch innovative Süd-Süd-Kooperationsansätze. Diese Debatten beleuchten wir in einem aktuellen Sammelband zum Thema „<link record:tx_ttnews:tt_news:6749 internal-link>The Fragmentation of Aid“.
Transnationale Zusammenarbeit unter den Bedingungen von Fragmentierung
In einer ständig wachsenden Zahl von Politikfeldern ist transnationale Zusammenarbeit unter den Bedingungen von „Fragmentierung“ heute weitgehend Realität. Ein Mantra der 2030 Agenda war daher von Beginn an die Integration verschiedener Politikfelder in einem umfassenden Ansatz. Der Begriff „Fragmentierung“ verweist auf die erheblichen negativen Aspekte der Komplexität in der Entwicklungszusammenarbeit, aber auch anderen Politikfeldern, die grenzüberschreitend tätig sind. Die zunehmende Notwendigkeit, Globalisierungsprozesse zu bewältigen und zu regulieren, hat historisch betrachtet zur Gründung einer Reihe von internationalen Institutionen geführt. In der Entwicklungszusammenarbeit ist die Anzahl bilateraler Geber weltweit von rund einem Dutzend in 1960 zu derzeit über 60 angestiegen; zudem gibt es deutlich über 250 multilaterale Geber. Einer der letzten Neuzugänge war die asiatische Infrastrukturinvestmentbank. Entwicklungszusammenarbeit und Partnerländer können allerdings auch von einem Ansatz profitieren, der mehr Wettbewerb aufgrund größerer Vielfalt umfasst. Das Potenzial für gegenseitiges Lernen, Innovation und wettbewerbsfähige Auswahl unter den verschiedenen Bereitstellern von Entwicklungszusammenarbeit kann sich erhöhen.
Fragmentierte 2030 Agenda?
Für die Umsetzung der <link internal-link internen link im aktuellen>2030 Agenda sind zwei Aspekte bedeutsam: Die Verhandlungen über die Nachhaltigkeitsziele waren erstens von der Zielvorgabe getragen, soziale, wirtschaftliche und Umweltaspekte zu intergieren. Gleichwohl dürfen bei 17 Zielen, 169 Zielvorgaben und 230 Indikatoren die inhärenten Zielkonflikte nicht im Sinne eines falsch verstandenen Integrationskonzeptes schöngefärbt werden. Wie das Beispiel des Anbaus von Palmöl auf Landwirtschaftsflächen zur Kraftstoffsubstitution zeigt, besteht zwischen einzelnen Indikatoren durchaus ein Spannungsverhältnis. Für die Ziele der 2030 Agenda kennzeichnend ist, dass sie mehrheitlich hochkomplexe, Sektor übergreifende und langfristige Probleme angehen. Unter diesen Vorzeichen wird es zukünftig von zentraler Bedeutung sein, zwischen bestehenden Institutionen <link record:tx_ttnews:tt_news:5967 internal-link>Multi-Akteursnetzwerke zu knüpfen, um bestehende Fragmentierungen zu überwinden; im Sinne transnationaler Zusammenarbeit sollten diese auch zivilgesellschaftliche und andere Akteure mit einbinden.
Zweitens sind Entwicklungspartner und Partnerregierungen gefordert, neue Ansätze zu entwickeln und technische Instrumente anwenden, um der zunehmenden Fragmentierung zu begegnen. In der Europäischen Union zählt hierzu beispielsweise der „Verhaltenskodex für Komplementarität und Arbeitsteilung in der Entwicklungspolitik“; bei den Vereinten Nationen gibt es das „Joint Programming“ oder den „Delivering as One“–Ansatz. Gleichwohl ist die Gegenüberstellung von spezialisierten Entwicklungsorganisationen, etwa den „Ein-Themen-Fonds“ wie dem Globalen Fond zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria einerseits, und den Gemischtwarenläden des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen andererseits, künstlich. Statt „Entweder-Oder“ geht es um „Sowohl-als-Auch“.
Hier liegen demnach die Grenzen, Herausforderungen der Fragmentierung, die in politischen, wirtschaftlichen, und anderen Interessen begründet sind, mit überwiegend technischen Ansätzen effektiv zu begegnen. Mit schwindender Unterstützung auf politischer Ebene steigt gleichzeitig (erneut) der Druck, die eigene „Daseinsberechtigung“ in der Entwicklungszusammenarbeit in den Vordergrund zu stellen. Die separate Kennzeichnung nationaler Geberbeiträge konterkariert Konsolidierungs- und Harmonisierungsbemühungen und befördert Fragmentierung potentiell weiter. Der Brexit dürfte den Bemühungen, Entwicklungszusammenarbeit besser zu koordinieren, zusätzlich zuwider laufen.
Fragmentierung aktiv anzugehen liegt daher vielfach nicht im Interesse entwicklungspolitischer Akteure. Bei geschätzten Kosten von drei bis fünf Billionen USD pro Jahr für die Umsetzung der 2030 Agenda könnten durch einen effizienteren und effektiveren Einsatz der Mittel enorme Summen eingespart werden. Sich im Zeitalter der 2030 Agenda vom ersten Jahr an intensiv mit der Fragmentierungsproblematik auseinanderzusetzen, ist daher ein drängendes Gebot der Stunde.