Die aktuelle Kolumne
Geflüchtete im bundesdeutschen Wahldiskurs
Falsches Narrativ? Wie politische Entscheidungen die Rechten stärken
Abedtalas, MusallamDie aktuelle Kolumne (2024)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 18.11.2024
Bonn, 18. November 2024. Auf die Zugewinne der rechtsextremen AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, die vor allem auf ihre migrationsfeindliche Haltung zurückgeführt werden, hat die Ampelkoalition mit einer weiteren Verschärfung ihrer Migrations- und Asylpolitik reagiert. Ich möchte nicht auf einzelne Maßnahmen eingehen, sondern vor allem auf deren Rolle zur Eindämmung des rechtsextremen Einflusses.
Als Geflüchteter und Wirtschaftswissenschaftler mit einem Fokus auf die Integration von Geflüchteten halte ich es für zentral, alternative Strategien zu entwickeln, um die enge Verschränkung zwischen der Situation der Geflüchteten und vulnerabler Gruppen auf lokaler Ebene aufzuzeigen. Das könnte den aktuellen Migrationsdiskurs in Deutschland und anderen Aufnahmeländern ändern: weg von Konkurrenz zwischen Geflüchteten und ihrer Aufnahmegesellschaft, und hin zu Zusammenarbeit.
Anstatt Lösungen zu entwickeln, die die gemeinsamen Interessen von Geflüchteten und vulnerablen Gruppen im Aufnahmeland in den Vordergrund stellen, hat die Ampelkoalition den konventionellen, reaktiven Ansatzgewählt. Sie hat die Einwanderungspolitik verschärft, und greift damit den Diskurs der AfD auf. Durch die Verlagerung der Debatte auf das Kernthema der AfD, eine striktere Migrationspolitik, stärkt die Regierungskoalition ungewollt die extreme Rechte. Dies war auch in anderen Ländern zu beobachten, die versucht haben, dem Aufstieg der Rechten bei den Wahlen mit einer strikteren Migrationspolitik zu begegnen.
Die Regierung hat sich nicht den Herausforderungen der Integration von Migrant*innen gestellt und dringende Fragen von Ungleichheit und Inklusion priorisiert, sondern das Thema als externes Problem behandelt, welches allein durch Einreisebeschränkungen gelöst werden könne. Warum hat sie diesen Weg gewählt? Ich denke, dass die aktuelle Migrations-, Asyl- und Integrationspolitik – aus humanitärer und entwicklungspolitischer Perspektive – verkennt, dass diese Probleme vor allem im Kontext der fehlenden Inklusivität der Aufnahmegesellschaft betrachtet werden müssten. Dieses Versäumnis könnte beeinflusst haben, wie diese Herausforderungen angegangen wurden.
Über soziokulturelle Bedenken hinaus verstärken die herkömmlichen Ansätze vor allem wirtschaftliche Bedenken unter vulnerablen Gruppen und schüren eine feindliche Stimmung gegenüber Geflüchteten. Der humanitäre Ansatz sieht Geflüchtete als schutzbedürftige Personen, die Hilfe benötigen und die begrenzten Ressourcen des Aufnahmelandes belasten. Der entwicklungspolitische Ansatz betont das Recht auf Arbeit, erkennt ihr Potenzial von Geflüchteten und setzt auf ihre Integration in den Arbeitsmarkt. Hierbei sind Fortschritte zu beobachten, bleiben aber losgelöst vom breiteren Kontext des Aufnahmelandes und können die Ängste vor Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nicht mindern. Daher werden Flucht und Migration als externe Probleme betrachtet, die auch den politischen Diskurs und politische Entscheidungen prägt.
Die herkömmlichen Ansätze sind wichtig, aber die Entwicklungsperspektive sollte stärker die innerdeutschen Dimensionen der Problematik berücksichtigen, um Ängste vulnerabler Gruppen zu entschärfen. Zum Beispiel sollte der Zugang von Geflüchteten zum Arbeitsmarkt nicht mehr vorrangig mit dem Recht auf Arbeit begründet werden. Derzeit stützt sich die Politik auf Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und damit zusammenhängende internationale Konventionen, die das Recht auf Arbeit betonen. Stattdessen sollte der Schwerpunkt auf Artikel 17 liegen, in dem es um Eigentumsrechte geht.
So ließe sich beurteilen, wie wirksam die Aufnahmegesellschaften die Eigentumsrechte von Geflüchteten an ihren Ressourcen anerkennen (das Recht, Eigentum zu besitzen, zu nutzen und zu übertragen). Zudem sollten neben menschlichen auch finanzielle und materielle Ressourcen berücksichtigt werden. Dann stünde nicht nur der Zugang Geflüchteter zum Arbeitsmarkt im Zentrum, sondern auch die Frage, wie inklusiv die soziale Ordnung der Aufnahmegesellschaft ist. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Eigentumsrechte würden aus Perspektive der Netzwerkökonomie untersucht. Wie etwa der Wert eines Telefonnetzes mit der Zahl der Nutzer*innen steigt, können die Anerkennung und Zusammenführung der Ressourcen von Geflüchteten mit denen der Aufnahmegesellschaft den gegenseitigen Nutzen vervielfachen.
Dieser Ansatz wird dazu beitragen, zu erkennen, warum Eigentumsrechte von Geflüchteten nicht anerkannt werden, und wie ihre Ressourcen mit denen der Aufnahmegesellschaft besser verknüpft werden könnten. Dann ließe sich der Grad an Vertrauen und Inklusivität innerhalb der sozialen Ordnung umfassend bewerten – schließlich sind das Schlüsselfaktoren, die die Flexibilität und den „Handlungsspielraum“ von Politiker*innen bei der Gestaltung von Institutionen und Maßnahmen beeinflussen, die sowohl die Anerkennung der Eigentumsrechte von Geflüchteten, als auch die Ängste vulnerabler Gruppen berücksichtigen.
Dies ist kein Aufruf zu offenen Grenzen oder mehr Aufnahme von Geflüchteten. Es geht mir um einen proaktiven Ansatz, der die Herausforderungen im Inland ins Zentrum stellt. Wenn die Politik ihre Anstrengungen darauf konzentriert, sowohl die Situation von Geflüchteten als auch lokale Probleme anzugehen, könnte sie eine einheitlichere Lösung entwickeln, die Integration und sozialen Zusammenhalt fördert. So könnte sie extrem rechten Parteien auch den Wind aus den Segeln nehmen und deren Anziehungskraft auf die Wähler*innen verringern.