Die aktuelle Kolumne
Europawahl 2024
Entwicklungspolitik bei den anstehenden Europawahlen (wieder) ins Blickfeld rücken
Hackenesch, Christine / Niels Keijzer / Svea KochDie aktuelle Kolumne (2024)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 29.01.2024
Bonn, 29. Januar 2024. Für die Europäische Union wird 2024 ein entscheidendes Jahr. Im Juni wählen die Bürger*innen das nächste Europäische Parlament. Das EU-Parlament spielt eine Schlüsselrolle bei der Gesetzgebung. Auch bei Entscheidungen über die strategische Ausrichtung der nächsten Europäischen Kommission, die im Herbst ihr Amt antreten wird, wirkt das Parlament entscheidend mit.
Aktuellen Umfragen zufolge könnte die Europäische Volkspartei (EVP, der Zusammenschluss konservativer Parteien in Europa) ihre Position als größte Fraktion im Europäischen Parlament behalten. Ungewiss bleibt, ob die anderen Fraktionen groß genug sein werden, um eine pro-europäische Mehrheit zu bilden, oder ob die EVP stattdessen mit euroskeptischen oder sogar rechtsradikalen Bündnissen zusammenarbeiten wird. Die nächste EU-Kommission wird angesichts der Wahlen im Juni und des jüngsten Rechtsrucks in den Mitgliedstaaten voraussichtlich eine konservativere Zusammensetzung und politische Agenda haben als die aktuelle Kommission.
Um die Auswirkungen der Wahlen auf die EU-Entwicklungspolitik zu beurteilen, lohnt sich ein Rückblick. Bei ihrem Amtsantritt 2019 kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine geopolitische EU-Kommission an. Die Entwicklungspolitik sollte dieser geopolitischen Ausrichtung folgen. Dies führte zu grundlegenden Verschiebungen der entwicklungspolitischen Ziele der EU. Große Krisen wie die Covid-19 Pandemie und die russische Invasion in der Ukraine haben diesen Trend weiter verschärft. Konkret heißt das: Im Vergleich zu 2019 soll die Entwicklungspolitik heute noch stärker zu den Zielen anderer Politikbereiche wie der Sicherheits-, Energie- oder Migrationspolitik beitragen. Sie soll zudem die Sichtbarkeit, die strategische Autonomie und die Widerstandsfähigkeit der EU zugunsten einer größeren Eigenständigkeit in Sicherheits- und Verteidigungsfragen und einer Diversifizierung der Außenwirtschaft fördern.
Global Gateway und Team Europe sind in dieser Hinsicht wegweisend. Team Europe war zunächst Teil der Corona-Krisenreaktion der EU. Ziel war, die finanziellen Ressourcen aller EU-Institutionen und ‑Mitgliedstaaten zu bündeln, um die Sichtbarkeit Europas bei der Bewältigung der Pandemiefolgen in den Partnerländern zu erhöhen. Global Gateway sollte das Gegengewicht zu Chinas „Belt and Road“-Initiative sowie ganz allgemein zum wachsenden chinesischen Einfluss in Entwicklungsländern bilden. Global Gateway sieht die Förderung groß angelegter Infrastrukturinvestitionen in den Bereichen Energie, Verkehr, Digitalisierung, Bildung und Gesundheit vor. Dabei betont die EU, als Verbund demokratischer Staaten verfolge sie einen anderen Ansatz als China. Ein weiteres Ziel von Global Gateway ist der Aufbau strategischer Korridore mit Partnerländern, um Europas Versorgung mit Energie und wichtigen Rohstoffen zu sichern.
Welche entwicklungspolitischen Veränderungen können wir nun vom neuen Europäischen Parlament und der neuen Kommission erwarten?
Erstens könnte ein Rechtsruck zu grundsätzlicheren und noch stärker polarisierten Debatten über Sinn und Zweck der EU-Entwicklungspolitik führen. Dies würde den Druck weiter erhöhen, das Entwicklungsbudget zur Eindämmung der Migration einzusetzen. Zweitens werden sowohl Team Europe als auch Global Gateway unabhängig von den neuen politischen Machtverhältnissen innerhalb und zwischen den EU-Institutionen vermutlich weitergeführt.
Bislang haben Team Europe und Global Gateway zu einer größeren Sichtbarkeit und einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten beigetragen. Beides sind grundsätzlich wichtige Schritte.
Für die Zeit nach den Wahlen im Juni ist jedoch auch klar, dass Team Europe und Global Gateway in ihrer jetzigen Ausgestaltung der EU mittel- und langfristig eher schaden als helfen. Setzt die EU den derzeitigen Kurs fort, ihre geostrategischen Interessen offensiv zu verfolgen, läuft sie Gefahr, Interessenkonflikte mit dem selbstbewusster auftretenden Globalen Süden zu schüren und den geopolitischen Wettbewerb eher zu verschärfen als einzuhegen.
Nach den Wahlen im Juni sind die demokratischen Parteien der Mitte gefordert, Team Europe und Global Gateway so auszurichten, dass sie die Interessen Europas mit den Bedürfnissen der Partner*innen in Einklang bringen und Multilateralismus, Frieden und Nachhaltigkeit auf globaler Ebene fördern.
Derzeit verfolgen die EU und der Globale Süden bei einer Reihe wichtiger globaler Themen einen unterschiedlichen Kurs. Sei es bei der Migration, der Gewinnung kritischer Rohstoffe, der Energiepolitik oder Fragen von Krieg und Demokratie in der Ukraine und im Nahen Osten.
Um diesen Spannungen entgegenzuwirken, sollte die EU sich offener für einen echten Dialog mit ihren Partner*innen zeigen, was auch heißt, auf deren Prioritäten – wie z.B. unhaltbare Schuldenniveaus – einzugehen und deutlich mehr Unterstützung für eine sozial verantwortliche, klimaneutrale Umgestaltung ihrer Volkswirtschaften zu leisten. Die nächste Führung des Europäischen Parlaments und der Kommission sollte sicherstellen, dass die EU zwar ihre eigenen Prioritäten verfolgt und eindeutig kommuniziert, gleichzeitig aber auch ihren Partner*innen zuhört und von ihnen lernt.