Die aktuelle Kolumne

Reform der Kohlenstoffbepreisung

Eine langfristige Perspektive für die aktuelle Energiekrise

Böhl Gutierrez, Mauricio / Daniele Malerba
Die aktuelle Kolumne (2022)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), (Die aktuelle Kolumne vom 17.10.2022)

Bonn, 17. Oktober 2022. Inmitten der sich zuspitzenden Krisen, wie dem Ukraine-Krieg, COVID-19 und dem Klimawandel, wird deutlich, wie schwierig es für Regierungen ist, kurzfristige mit langfristigen Prioritäten in Einklang zu bringen. Einerseits machen diese Krisen deutlich, dass ein Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und sozialer Gerechtigkeit notwendig ist. Das Konzept der „gerechten Übergänge“ hat an Zugkraft gewonnen, einschließlich der Debatten auf G7-Gipfeln und Klimakonferenzen über Partnerschaften für gerechte Energieübergänge und Klimaclubs. Andererseits scheinen die Prioritäten zur Energiesicherheit einer ehrgeizigen Klimapolitik entgegenzustehen, und die befürworteten Preissubventionen und -obergrenzen können die Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und der Energienachfrage insgesamt einschränken.

Reformen der Kohlenstoffbepreisung könnten die Kohärenz zwischen den derzeitigen Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise und längerfristigen Ansätzen verbessern, also kurzfristige Maßnahmen mit dem gerechten Übergangsprozess verbinden. Eine Reform der Kohlenstoffbepreisung kombiniert zwei Komponenten: die Bepreisung von Kohlenstoffemissionen, einschließlich der Abschaffung von Subventionen für fossile Energieträger, die umweltschädlichem Verhalten entgegenwirken, sowie die Verwendung der erzielten Einnahmen. Eine vielversprechende Möglichkeit, die Einnahmen zu verwenden, sind Sozialprogramme, die die Menschen während des Übergangsprozesses vor höheren Preisen schützen. Derzeitige Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise nutzen auch Transfers an Haushalte, um Preissteigerungen abzufedern. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass selbst bei den derzeitigen Energiepreiserhöhungen die Einführung von Kohlenstoffpreisen und die Umverteilung der Einnahmen an die Haushalte den Wohlstand im Vergleich zu einer Situation mit stabilisierten Preisen erhöhen würde. Gezielte Transfers würden bedürftigen Haushalten helfen und gleichzeitig Anreize zur Emissionsreduzierung bei den Reichsten schaffen, da die reichsten 10 % der Weltbevölkerung 50 % der globalen Emissionen ausstoßen. Transfers an Haushalte sind daher von entscheidender Bedeutung. Erkenntnisse zur Kohlenstoffpreisgestaltung bieten eine Orientierung, wie diese umgesetzt werden können.

Erstens sollten die Regierungen bei ihren Umverteilungsstrategien auf bestehende Armut und Ungleichheiten sowie auf politökonomische Hindernisse eingehen. Während der Energiekrise haben die Regierungen sowohl universelle Preismaßnahmen wie Obergrenzen und Subventionen für Gaspreise als auch Transfers an alle Bürger*innen oder gezieltere Unterstützung für die schwächsten Bevölkerungsschichten eingesetzt. Die Denkfabrik Bruegel stellt fest, dass alle europäischen Länder mit Ausnahme von Ungarn gezielte Unterstützung für gefährdete Gruppen bereitstellten. Wie Studien über die öffentliche Akzeptanz von Klimapolitik und Kohlenstoffpreisen verdeutlichen, beeinflusst die Wahrnehmung von Fairness den Erfolg und die Auswirkungen von Maßnahmen. Die Energiekrise zeigt jedoch, dass es für Regierungen schwierig ist, gefährdete Gruppen während großer Schocks zu identifizieren. Darüber hinaus müssen politisch-ökonomische Hindernisse überwunden werden, insbesondere, wenn auch wichtige Interessengruppen wie Energieversorger, der Privatsektor und Haushalte mit höherem Einkommen angesprochen werden sollen. Gezielte Transfers an ärmere Haushalte könnten steuerlichen Spielraum freisetzen, um diese anderen wichtigen Akteure zu unterstützen.

Zentral ist auch eine klare Kommunikation darüber, welche Ziele und beabsichtigten Wirkungen Sozialtransfers haben sollen. Die Bürger*innen müssen verstehen, welche Leistungen sie von der Regierung erhalten können und wie die Transfers die Verteilungsgerechtigkeit verbessern und sozial schwachen Haushalten zugutekommen. In der Vergangenheit stießen die Vorteile der Kohlendioxidsteuerreform auf mangelnde öffentliche Wahrnehmung. Auch in Ländern, die die Einnahmen aus der Kohlendioxidsteuer umverteilt haben, waren Bürger*innen nicht ausreichend informiert worden, etwa  in der Schweiz, wo Bürger*innen Rabatte auf ihre Krankenversicherungsprämien erhalten haben.

Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind in ihren Umverteilungsoptionen aufgrund von Budgetbeschränkungen in Verbindung mit geringeren technischen und informatorischen Kapazitäten stärker eingeschränkt. So unterstützen z.B. Informationssysteme wie umfassende Melderegister die sozialen Sicherungssysteme. Ihre entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Schocks durch gezielte Maßnahmen wurde während der COVID-19-Pandemie deutlich. So verwenden Länder mit niedrigem Einkommen aufgrund ihrer geringeren Kapazität zur Umsetzung gezielter Maßnahmen häufig universelle Subventionen anstelle von gezielteren Geldtransfers. Dies kann negative steuerliche und ökologische Folgen haben. Daher ist die Verbesserung der Informationssysteme für kurz- und langfristige Reformen wichtig. Insbesondere Länder mit niedrigem Einkommen benötigen Unterstützung, um ihre technischen Kapazitäten für den gerechten Übergang zu stärken, etwa, wenn sich der Preisanstieg, auch bei Kraftstoffen und Lebensmitteln, verschärft.

Politikgestaltung in der Energiekrise muss den gerechten Übergang im Blick haben. Andernfalls könnten die Länder die Gelegenheit verpassen, wie in vielen COVID-19-Konjunkturpaketen geschehen, die Klimaziele auf sozial gerechte Weise anzustreben. Angesichts ihres Potenzials, sind in vielen Ländern Reformen der Kohlenstoffbepreisung geplant, die für die Erreichung der Klimaziele und den Schutz und die Förderung gefährdeter Haushalte in den kommenden Jahren entscheidend sein werden.


Die Autoren Mauricio Böhl Gutierrez und Daniele Malerba arbeiten im BMBF-geförderten Forschungsprojekt "Wie wirkt die COVID-19-Pandemie auf die Klimapolitik? Fallstudien zu Klimazielen, Konjunkturpaketen, und Kohlenstoff-Steuerreformen (COVCLIM)".

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