Die aktuelle Kolumne
Der G20-Gipfel in New Delhi
Ein Wegbereiter für den SDG-Gipfel?
Wisskirchen, Alma / Axel BergerDie aktuelle Kolumne (2023)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 04.09.2023
Am 9. und 10. September treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G20 Staaten zu ihrem diesjährigen Gipfel in New Delhi. Dort werden sie von globalem Wachstum über Digitalisierung bis hin zu nachhaltiger Entwicklung eine Vielzahl drängender Themen diskutieren. Die G20 trifft keine bindenden Entscheidungen und ist vor allem dann wirkmächtig, wenn sie an multilaterale Prozesse andockt und diese befördert. In diesem Jahr folgt auf den G20 Gipfel am 18. und 19. September der SDG Summit der Vereinten Nationen in New York. Letzterer ist von höchster Bedeutung, findet er doch nur alle vier Jahre auf Ebene der Staats- und Regierungschef*innen statt, um Maßnahmen zur beschleunigten Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu beschließen. Es ist dringend notwendig, dass die Treffen in New Delhi und New York sowohl politisches Momentum als auch konkrete Initiativen hervorbringen, da die Bilanz zur Halbzeit der Agenda 2030 verheerend ist: nur bei 18% der SDG-Indikatoren ist die Staatengemeinschaft auf dem richtigen Weg, diese bis 2030 zu erreichen.
Die G20 bringt 19 wirtschaftsstarke Staaten und die Europäische Union zusammen, die gemeinsam für 80% der globalen Wirtschaftsleistung aber auch 80% der globalen Treibhausgase verantwortlich sind. Ins Leben gerufen zur Lösung der globalen Finanzkrise im Jahr 2008, ist die G20 zu einem der wichtigsten Foren für die Bearbeitung globaler Herausforderungen geworden. Zunehmende geopolitische Rivalitäten und eine Vertrauenskrise, die durch Russlands Krieg in der Ukraine deutlich hervortreten, belasten die thematisch fokussierten Diskussionen der G20. Dabei wiederholten einzelne G20 Staaten zuletzt explizit, dass die Gruppe nicht der Klärung geopolitischer Fragen diene, sondern die Themen Wachstum und Entwicklung im Mittelpunkt stünden.
Wie kann der G20 Gipfel vor dem Hintergrund eines geopolitisch belasteten Umfelds einen konstruktiven Beitrag zum SDG Summit leisten? Drei zentrale Themen sollten hervorgehoben werden: Finanzierung für die SDGs, nationale Umsetzung der Agenda 2030 und Reform des multilateralen Systems.
Die bisherigen Fachminister*innentreffen der G20 bieten einen ersten Eindruck davon, wo die Gruppe kurz vor dem Delhi-Gipfel steht. Nach wie vor gibt es ein klares, allgemeines Bekenntnis zur Agenda 2030. Die indische Präsidentschaft benennt sie als zentrales Zielsystem und betont die Verantwortung der G20 hinsichtlich ihrer Umsetzung. Von vielen wird die Agenda 2030 vor allem als Investitionsagenda verstanden. So rief UN-Generalsekretär Guterres die G20 auf, einen SDG Stimulus aufzusetzen, um öffentliche und private Gelder für die Umsetzung der Agenda 2030 zu generieren, während innovative Maßnahmen wie debt for SDG swaps zur Schuldenerleichterung führen sollen. In diesem Kontext betonen die Entwicklungs- und Außenminister*innen der G20, dass es neuer und innovativer Finanzierung für die Implementierung der Agenda 2030 bedürfe. In ihrer Abschlusserklärung bekräftigen die Finanzminister*innen routinemäßig die Verpflichtung der Industrieländer, bis 2025 jährlich 100 Mrd. USD an Klimafinanzierung für die Unterstützung von Ländern niedrigen Einkommens zu mobilisieren. Es ist ernüchternd, dass diese Verpflichtung trotz des tatsächlich weit höheren Finanzierungsbedarfs noch immer nicht erfüllt ist. Zumindest sprechen sich die Finanzminister*innen aber für Beratungen über ein ehrgeizigeres Ziel für Klimafinanzierung aus. Im für viele Niedrigeinkommensländer so wichtigen Bereich der Schuldenerleichterung gibt es allerdings nach wie vor wenig Bewegung.
Trotz der Priorisierung der Agenda 2030 in den Abschlusserklärungen der G20-Minister*innen fehlen zugleich wichtige Maßnahmen zur Umsetzung zentraler SDG. Selbst die wirtschaftsstarken G20 Länder hinken bei der nationalen Umsetzung hinterher, während bestehende Produktions- und Konsummuster zu negativen Spillover-Effekten führen, welche die Implementierung der SDG in anderen Ländern erschweren. Finanzielle oder politische Bekenntnisse, um zum Beispiel die geforderte Verdreifachung erneuerbarer Energien bis 2030 zu gewährleisten, bleiben in der Abschlusserklärung der G20 Energieminister*innen unerwähnt. Auch mit Blick auf den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen verweist die Abschlusserklärung lediglich auf bestehende Differenzen zwischen den G20 Staaten und bietet so einen weiteren Beleg dafür, dass die G20 vom Abbau von Subvention fossiler Energieträger weit entfernt sind.
Auch wenn die Erwartungen an die Ergebnisse des G20 Gipfels also weitestgehend begrenzt bleiben, sind Reformen multilateraler Strukturen und der G20 selbst möglich. Die G20 spielt etwa eine zentrale Rolle in Diskussionen über eine Reform der Weltbank. Die G20 Außenminister*innen sprechen sich in ihrer Abschlusserklärung für eine „inklusiveren und wiederbelebten Multilateralismus“ aus. Viele G20-Mitglieder machen sich auch für die Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) stark. Gleichzeitig steht eine Erweiterung der BRICS bevor, einem alternativen Staatenverbund der großen Mächte des Globalen Südens. Die erweiterten BRICS könnten zusätzlich an Bedeutung gewinnen und China die Möglichkeit bieten, eine noch wichtigere Rolle zu spielen. Die Aufnahme der AU in die G20 wäre ein wichtiger Schritt, um einer Blockbildung gegenüber den BRICS vorzubauen.
Das Bild des G20-Prozesses ist durchaus gemischt. In vielen der kontrovers diskutierten Themenbereichen wirkt das Misstrauen unter den zentralen Akteuren fort und erschwert entschiedene Fortschritte zur Umsetzung der Agenda 2030. Ohne konkrete Politikinitiativen der Staats- und Regierungschef*innen in New Delhi würde aber das erforderliche politische Momentum für den SDG Summit in New York in weite Ferne rücken. Dies wäre eine verpasste Chance, denn wir befinden uns zwar in der Halbzeit der Agenda 2030, längst aber nicht auf halbem Weg zu ihrer Umsetzung.