Die aktuelle Kolumne
Ein altes Thema, hochaktuell: Rohstoff-klemme und Welthandelsordnung
Wiemann, JürgenDie aktuelle Kolumne (2010)
Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) (Die aktuelle Kolumne vom 20.12.2010)
Bonn, 20.12.2010. Kaum scheint die Finanzkrise einigermaßen überwunden, da bedroht eine neue globale Herausforderung den Aufschwung der deutschen Wirtschaft: Die Rohstoffe werden knapp. Vielleicht nicht alle, aber ausgerechnet einige der für Elektromobilität und Photovoltaik benötigten seltenen Mineralien und Metalle. Laut einer aktuellen Umfrage des DIHK (November 2010) klagen die meisten Industrieunternehmen über steigende Rohstoffpreise, und jedes zweite befürchtet sogar, die erforderlichen Rohstoffe bald überhaupt nicht mehr zu erhalten. Dabei schwören die Geologen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, dass auf absehbare Zeit sämtliche Metalle in ausreichender Menge in der Erdkruste vorhanden sein werden, allenfalls beim Öl könnte es eng werden (siehe hierzu <link record:tx_ttnews:tt_news:4441 internal-link>„Die aktuelle Kolumne“ vom 19. Juli 2010 zu Peak Oil).
Die Geologie ist allerdings für die Konzentration der Lagerstätten auf wenige Erdregionen und Länder verantwortlich. Das erlaubt Kartellbildung und Monopolverhalten, zumal weltweit unterhalb der „geologischen Produktionsmöglichkeiten“ gefördert wird, weil die politischen Rahmenbedingungen rohstoffreicher Entwicklungsländer für Investitionen im Bergbau oft nicht besonders einladend sind. Und das ist kein Zufall – seltene und strategisch wichtige Rohstoffe ziehen Kriege und Bürgerkriege geradezu an.
Die akute Furcht der deutschen Industrie vor einer „Rohstoffklemme“ (DIHK) wird von dem Aufeinandertreffen von ansteigender Weltnachfrage und Angebotszurückhaltung einiger Rohstoffländer geschürt: Hochtechnologieindustrien verarbeiten immer neue Mineralien und seltene Metalle. Wenn nur einer der Stoffe nicht ausreichend zur Verfügung steht, ist die gesamte Wertschöpfungskette gefährdet. Genau damit ist aber zu rechnen, weil auch die Schwellenländer im Zuge ihrer Industrialisierung zunehmenden Bedarf an Industrierohstoffen entwickeln. Kein Wunder, dass sie dazu neigen, den Export ihrer Rohstoffe einzuschränken oder mit Exportsteuern zu belasten, um der eigenen Industrie Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Gerade in jüngster Zeit hat China diese Art brachialer Industriepolitik mit seinen Exportbeschränkungen für Seltene Erden vorgeführt und damit die alten Industrieländer aufgescheucht. Darüber hinaus versuchen die Schwellenländer, sich einen direkten Zugang zu den Rohstoffen anderer Entwicklungsländer, vor allem in Afrika, zu sichern. Dabei setzen sie durchaus unkonventionelle Instrumente ein, z. B. leisten chinesische Staatsunternehmen Entwicklungshilfe für komplementäre Infrastrukturentwicklung.
Die Sorgen um die Rohstoffversorgung sind also durchaus begründet. Daher nehmen sich die Bundesregierung und die Europäische Kommission des Themas an. Ein Bericht der Europäischen Kommission schätzt die Versorgungslage bei 14 Stoffen als kritisch ein. Mit ihrer „Raw Materials Initiative“ will sie den sich abzeichnenden Versorgungsrisiken begegnen und gemeinschaftliches Handeln der EU-Mitgliedstaaten anregen, um die externe Rohstoffabhängigkeit durch erhöhte Materialeffizienz, Recycling und Forschung nach alternativen Rohstoffen zu verringern. Auch der deutsche Wirtschaftsminister legt eine aktualisierte „Rohstoffstrategie der Bundesregierung“ vor, gründet eine „Deutsche Rohstoffagentur“ unter dem Dach der BGR und regt an, dass eine „Deutsche Rohstoff AG“ als Nachfragekartell der Angebotsmacht Chinas und anderer Rohstoffländer entgegenwirken soll (inzwischen erfuhr die Öffentlichkeit, dass bereits 2006 eine DRAG gegründet wurde). Für einen liberalen Wirtschaftsminister ist dieser rohstoffpolitische Aktionismus alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Nach seinem ordnungspolitischen Credo soll sich jedes Unternehmen am besten selbst um seine Rohstoffversorgung kümmern, während es an der Regierung ist, für die Einhaltung der Spielregeln für freie Welt(rohstoff)märkte zu sorgen.
Doch bei genauerem Hinsehen könnte sich die Anrufung der WTO durch Bundesregierung und Europäische Kommission im Konflikt mit China über dessen aggressive Exportpolitik als wenig effektiv erweisen. Bekanntlich ist die Sanktionsgewalt der WTO (hard power) gegen Regelverstöße gering; sie kann dem Sieger in einem Streitfall lediglich das Recht einräumen, zu Vergeltungsmaßnahmen von vergleichbarer Wirkung wie derjenigen des Regelverstoßes der unterlegenen Streitpartei zu greifen. Doch die Hebelwirkung europäischer Strafzölle auf Importe aus China wird mit dessen zunehmendem weltwirtschaftlichem Gewicht und der fortschreitenden Einbindung seiner Industrien in internationale Wertschöpfungsketten immer schwächer.
Das multilaterale Regelwerk der WTO wirkt aber auch durch seine pure Existenz und die von möglichst allen Vertragsparteien auch ohne Streitschlichtung geübte Regeltreue. Wer sich auf die soft power der WTO beruft, wenn die eigenen Wirtschaftsinteressen durch Regelverstöße anderer beeinträchtigt werden, hat jedoch ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn er in der Vergangenheit die Regeln gebeugt hat, um den Druck des internationalen Wettbewerbs auf eigene Wirtschaftszweige abzuwehren. So hatten Europäer und Amerikaner noch nie Gewissensbisse, ihre Landwirtschaft mit Importbeschränkungen gegen den Wettbewerb überlegener Entwicklungsländer zu schützen und europäischen Agrarexporten mit Exportsubventionen Wettbewerbsvorteile auf Drittmärkten zu verschaffen. Die davon betroffenen Entwicklungsländer wurden auf Liberalisierungszugeständnisse in immer fernerer Zukunft vertröstet. Nicht nur notorische Globalisierungskritiker erkennen eine asymmetrische Machtverteilung in den weltwirtschaftlichen Institutionen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, die mit der „Entwicklungsrunde“ wenigstens in der WTO hätte korrigiert werden sollen. Doch nach bald zehn Jahren der Verhandlungen in der Doha-(Entwicklungs-)Runde ist das Versprechen noch immer nicht eingelöst. Über die ritualisierten Bekenntnisse in jedem Kommuniqué von G-7-/ G-8- / G-20-Gipfeltreffen hinaus haben weder EU noch USA einen überzeugenden Versuch unternommen, den gordischen Knoten der sich gegenseitig blockierenden Agrarinteressen von Industrie- und Entwicklungsländern durch ein großzügiges Angebot zur Marktöffnung und zum Subventionsabbau zu durchschlagen.
Ein weiteres Indiz für das halbherzige Bekenntnis der Europäer zur Welthandelsordnung mit ihren Implikationen für die Handels- und Wirtschaftspolitik aller Mitgliedstaaten ist auch die geringe Aufmerksamkeit, welche dem diesjährigen World Trade Report der WTO zum Thema „Trade in Natural Resources“ geschenkt wird. Der Bericht ist eine Fundgrube für alle an den spezifischen Aspekten des Welthandels mit Rohstoffen und seiner handels- und investitionspolitischen Steuerung interessierten Wirtschaftswissenschaftler und Politiker. Auf dem Stand der Theorie und anhand vieler empirischer Beispiele stellt der World Trade Report 2010 die spezifischen Mechanismen und Tücken der Rohstoffmärkte und der Rohstoffausbeute in einer endlichen Welt dar. In seinem Vorwort stellt der WTO-Generaldirektor Pascal Lamy sogar die reine Lehre der Außenhandelstheorie für den internationalen Rohstoffhandel in Frage, wonach Freihandel immer zum besten Ergebnis für alle beteiligten Länder führen werde. Das Rohstoffmanagement der Entwicklungsländer müsse gestärkt werden, um eine Überausbeutung zu verhindern, und in der WTO müssten die Regeln für den Welthandel mit Rohstoffen ergänzt und präzisiert werden, um die sich abzeichnenden Konflikte zwischen Produzenten- und Verbraucherländern zu entschärfen. Daher fordert Lamy zu Recht einen raschen Abschluss der Doha-Runde, damit endlich die neuen Herausforderungen und Handelskonflikte im internationalen Rohstoffhandel unter dem Dach der WTO bearbeitet werden können.
Der Beitrag stellt die persönliche Meinung des Autors dar und muss sich daher nicht mit den Ansichten der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) oder des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) decken.