Die aktuelle Kolumne
Demokratieschutz
Die Zeit ist reif für einen globalen Demokratiegipfel
Leininger, Julia / Staffan I. LindbergDie aktuelle Kolumne (2021)
German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 19.01.2021
Angriffe auf die Demokratie sind zur neuen Normalität geworden. Dennoch ist es beispiellos, dass ein US-amerikanischer Präsident Anfang 2021 einen Mob zur Erstürmung des Kapitols aufstachelte. Angesichts des weltweiten Aufschwungs „autokratischer Projekte“ haben führende Politiker*innen erneut die Idee einer globalen Koalition für Demokratie ins Spiel gebracht. So kündigte der designierte US-Präsident Joe Biden an, einen internationalen Demokratie-Gipfel einzuberufen. Boris Johnson schlug vor, die G7, also die Gruppe sieben führender Wirtschaftsmächte, mit Australien, Indien und Südkorea zu einer „D10“ der zehn wichtigsten Demokratien auszubauen. Der deutsche Außenminister Heiko Maas schlug kürzlich einen Marshallplan für Demokratie vor, und Schweden hat einen außenpolitischen Fokus auf demokratische Rechte (Drive for Democracy).
Demokratieschutz ist sowohl eine nationale als auch eine internationale Aufgabe ist. Das übersehen Kritiker*innen der Gipfelidee häufig. Um die Demokratie vor autokratischen Tendenzen zu bewahren, muss sie einerseits im Inland wiederhergestellt und im Ausland geschützt werden. Globale Initiativen für die Demokratie können – und müssen – neue Impulse für zukünftiges Handeln geben. Damit globale Initiativen zum Demokratieschutz erfolgreich sind, ist es wichtig sich dem neuen globalen Kontext zu stellen:
Das Ende des „Westens als Vorbild für Demokratie“
Wer heute für die Demokratie eintreten will, muss sich auch eingestehen, dass „der Westen“ keineswegs die Lösungen parat hält und selbst mit Problemen zu kämpfen hat. Frühere Initiativen wie die Community of Democracies konzentrierten sich ab 2000 allein auf äußere Demokratiebedrohungen. Doch innerstaatliche Feinde der Demokratie sind genauso gefährlich. Die Fratze des Nationalismus, wirtschaftliche Unsicherheit, soziale Polarisierung, Desinformation und Verschwörungstheorien, deuten auf einen möglichen Paradigmenwechsel hin, der Demokratie und Menschenrechte nicht befördert. Wie wir in den 1930er Jahren erleben mussten, ist Angst eine sehr mächtige und gefährliche politische Kraft. Offen anzuerkennen, dass die Demokratie weltweit bedroht ist, hilft auch einen Paradigmenwechsel in der internationalen Demokratieförderung einzuleiten – hin zu einer Allianz mit Ländern aus dem globalen Süden und Norden, die auf gegenseitiges Lernen bei der Lösung von Demokratieproblemen baut.
Ein überzeugendes demokratisches Narrativ entwickeln
Wir wissen, dass es kein „Ende der Geschichte“ gibt. Die Auflösung demokratischer Strukturen war in der Geschichte eher die Norm als die Ausnahme, und die Welt befindet sich jetzt in der dritten Autokratisierungswelle. Es stimmt, dass Länder wie China, Russland, Saudi-Arabien und die Türkei Demokratiedefizite und Ereignisse wie den 6. Januar in den USA zum Anlass nahmen, sich selbst als stabil und sicher darzustellen, während sie weltweit aktiv eine antidemokratische Agenda verfolgen. Externen und internen Bedrohungen der Demokratie muss daher mit einem Narrativ begegnet werden, das die Stärken der Demokratie klar in den Vordergrund stellt. Politik und Wissenschaft müssen dringend viel mehr tun, um die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile der Demokratie und des Schutzes von Bürger- und Menschenrechten zu erforschen und zu präsentieren.
Demokratische Werte hochhalten und auf Verbündete bauen
Demokratie verteidigen ohne defensiv zu sein – das ist angesichts wirtschaftlicher Erfolge von Autokratien zentral. Globale Initiativen beruhen auf gemeinsamen Werten wie Gleichheit oder die Achtung der Menschenwürde. Der Philosoph Karl Popper beschreibt im „Paradoxon der Toleranz“, dass eine tolerante, demokratische Gesellschaft nicht das Intolerante tolerieren darf.. Die gegenseitige Toleranz von Pluralismus, des Respekts universeller Menschenrechten und der Gleichwertigkeit der Menschen ist das Wertefundament, das nicht angetastet werden darf. Demokratieschutz erfordert, eine rote Linie zu ziehen, die diese Werte schützt, und mit Eliten, Institutionen und Zivilgesellschaften in Dialog zu treten, wenn diese rote Linie in Gefahr ist oder überschritten wurde. Überparteiliche politische Bildung für verschiedene Gesellschafts- und Altersgruppen ist zentral, um diese Werte zu bilden und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Die Bundeszentrale für politische Bildung könnte dafür international ein gutes Vorbild sein.
Auch wenn die Zahl der Autokratien global steigt, sind Regierungen bei der Verteidigung demokratischer Werte nicht mehr auf sich allein gestellt, so wie im Kalten Krieg. Zivilgesellschaften sind nun mächtige Akteure in der Innen- und in der Weltpolitik. Überall auf der Welt zeigen Umfragen, dass sich an den meisten Orten eine klare Mehrheit der Bürger für die Demokratie ausspricht. Es gibt also keinen Grund, sich in eine Abwehrhaltung zu begeben, – die Welt ist voller demokratisch gesinnter Kräfte.
Demokratieschutz? Keine Wahl
Befürchtungen, dass eine globale Initiative zum Schutz der Demokratie die Spaltungen in der Weltpolitik vertiefen wird, sind bedenkenswert. Doch wir haben keine Wahl. Feinde der Demokratie im In- und Ausland haben für die Entstehung und Verschärfung solcher Spaltungen gesorgt. Deutschland ebenso wie alle anderen Länder in Europa wissen aus historischer Erfahrung, dass es die Propheten der Intoleranz nur ermutigt, wenn sie Nachsicht zeigen und eine gemeinsame Antwort mit ihnen suchen. Die EU muss jetzt für die Demokratie eintreten – zuhause und im Ausland.
Professor Staffan I. Lindberg ist Direktor des V-Dem Instituts der Universität Göteburg, Wallenberg Academy Fellow und Leiter der Forschungsprogramme Varieties of Democracy (V-Dem) und Failing And Successful Sequences of Democratization (FASDEM, ERC Consolidator).
Dr. Julia Leininger ist Leiterin des Programms „Transformation politischer (Un-)Ordnung“. Sie arbeitet zu politischer Transformation, Demokratieförderung und sozialer Kohäsion.