Die aktuelle Kolumne

Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2019

Die Würdigung von experimentellen Ansätzen ist wohlverdient – es gibt aber noch Einiges zu tun!

Kuhnt, Jana / Julia Leininger / Armin von Schiller
Die aktuelle Kolumne (2019)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 09.12.2019

Bonn, 09.12.019. Gestern hielten Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer ihre Preisvorlesung in Stockholm, wo sie mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurden. Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigte sie „<link https: www.nobelprize.org prizes economic-sciences press-release>für ihren experimentellen Ansatz zur Linderung der globalen Armut“. Diese Wissenschaftler*in stehen an der Spitze einer experimentellen Revolution und hatten unbestreitbar einen wichtigen Einfluss auf Entwicklungspolitik und -forschung. Die Nominierung hat jedoch auch eine hitzige Debatte in der breiteren Öffentlichkeit und entwicklungspolitischen Kreisen ausgelöst.

Die Preisträger*in sind vor allem dafür bekannt, dass sie die Anwendung <link file:24190>eines bestimmten Ansatzes zur Wirkungsmessung entwicklungspolitischer Maßnahmen vorangebracht haben: randomisierte Kontrollstudien (randomised controlled trials, RCTs). Das in der Medizin weit verbreitete Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass es ‚Zufälligkeit‘ zur Abschätzung von Folgen nutzt. Forscher*innen ordnen potenzielle Adressaten einer Entwicklungsmaßnahme nach dem Zufallsprinzip zwei unterschiedlichen Gruppen zu: einer Gruppe, die von einer Maßnahme profitiert und einer Kontrollgruppe, die nicht versorgt wird. Personen in der ersten Gruppe erhalten dann zum Beispiel Sozialtransfers oder Malarianetze, die Kontrollgruppe erhält nichts. Annehmend, dass es keine weiteren wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppen gibt, können nach Abschluss der Entwicklungsmaßnahme unterschiedliche Ergebnisse zwischen diesen Gruppen auf die Maßnahme zurückgeführt werden. Die vermehrte Anwendung von RCTs hat sich als entscheidend erwiesen, um Entwicklungspolitik evidenzbasierter zu gestalten.

Nur RCTs? Nein – gemischte Methoden, um zu erklären ob und warum etwas funktioniert

Methodologisch sind die Möglichkeiten begrenzt, mit RCTs wichtige Politikfragen zu beantworten. Mit RCTs untersucht man, ob eine Politikmaßnahme effektiv ist. Um die Wirkung komplexerer Entwicklungsprogramme festzustellen, ist es notwendig, einen Mix an Methoden zu verwenden. Zusätzliche Erkenntnisse aus qualitativen Studien können beispielsweise Aufschluss darüber geben, warum ein Programm eine Wirkung hatte und nicht nur, ob es eine Wirkung hatte. Außerdem ist es wichtig systematisch zu prüfen, ob die angenommenen Auswirkungen über den gesellschaftlichen Kontext der Studie hinaus und auf lange Sicht Bestand haben.

Nutzbarkeit von RCTs erhöhen

Die Ergebnisse von RCTs werden häufig nicht ausreichend genutzt. Obwohl es sehr erfolgreiche Beispiele gibt, herrscht unter Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen der weitverbreitete Eindruck, dass <link https: www.3ieimpact.org blogs evidence-policy-bridging-gaps-and-reducing-divides>RCTs im Durchschnitt unter den Erwartungen bleiben, die sie erzeugen. Zum einen haben sie oft wenig Einfluss auf Politikentscheidungen. Zum anderen werden RCTs während der Umsetzung von Politikmaßnahmen nicht hinreichend genutzt, zum Beispiel für den Aufbau von Evaluierungskapazitäten bei Projektpartnern in Entwicklungsländern. Um das Potenzial von RCTs voll auszuschöpfen, ist eine frühzeitige, systematische und strategische Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik notwendig. Dies erfordert, dass Wissenschaftler*innen und politische Entscheidungsträger*innen gemeinsam RCTs konzipieren und planen. Darüber hinaus müssen sie offen ihre Erwartungen und Vorbehalte gegenüber der Methode diskutieren. Nur dann können sie sicherstellen, dass es ein geteiltes Verständnis und eine gemeinsame Vision des Projekts gibt, wozu auch die geplante Nutzung der durch RCTs generierten Evidenz gehört.

Ethische Standards entwickeln und anwenden

Mit RCTs in der Entwicklungsforschung sind ethischen Probleme verbunden, die oft unberücksichtigt bleiben. Randomisierung als Methode ist ethisch umstritten: Auf den ersten Blick erscheint die zufällige Zuordnung von Menschen zu einer Gruppe, die in den Genuss von Maßnahmen kommt und zu einer Kontrollgruppe als angemessen. Ein solches Verfahren berücksichtigt jedoch nicht die Bedürfnisse und Vulnerabilität einer Zielgruppe (zum Beispiel Armut oder bestehende Krankheiten). Randomisierung bedeutet auch, dass eine Versorgung oder Dienstleistung – von der ein Nutzen zu erwarten ist – einer Gruppe bewusst vorenthalten wird. Das kann als unethisch gelten. Die Aufmerksamkeit für ethische Dilemmata mit Hinsicht auf den Schutz von Studienteilnehmer*innen nimmt zu, doch ist die Problematik keinesfalls gelöst. Insbesondere <link en research description details ethics-in-development-research-doing-no-harm-when-conducting-research-in-the-global-south>ethische Herausforderungen, denen sich lokale und internationale Forschende gegenübersehen, etwa Gefährdungen des körperlichen und emotionalen Wohlbefindens, werden oft ignoriert und erhalten nicht die gebührende Aufmerksamkeit.

Insgesamt haben Banerjee, Duflo und Kremer einen bemerkenswerten Wandel in der Entwicklungsforschung bewirkt. Sie haben eine methodologische Revolution in der Entwicklungsökonomie eingeleitet, indem sie RCTs auf Entwicklungsfragen anwendeten. Sie haben auch dazu beigetragen, die Praxis der strengen Folgenabschätzung zu institutionalisieren und zu professionalisieren, indem sie Organisationen wie das <link https: www.povertyactionlab.org>Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab gründeten. Sie sind auch nicht vor der Welt der Politik zurückgeschreckt, sondern haben sich proaktiv mit ihr auseinandergesetzt. Dies ist zu Recht mit dem Nobelpreis gewürdigt worden. Dennoch bleibt, wie immer bei großen Ideen, Raum für Verbesserung, hier der RCT-Praxis. Die Aspekte, die wir hier ansprechen, halten wir für besonders dringlich und vielversprechend. Wir sehen als unser aller Aufgabe in der Entwicklungsforschung und –politik, auf dem Beitrag der Preisträger aufzubauen und diese Lücken zu schließen.

Weitere IDOS-Expert*innen zu diesem Thema

Janus, Heiner

Politikwissenschaft 

Keijzer, Niels

Sozialwissenschaft 

Klingebiel, Stephan

Politikwissenschaft 

Röthel, Tim

Ökonomie