Die aktuelle Kolumne

Zweifelhafte Partnerschaft

Die verborgenen Kosten der Sicherheitskooperation mit Ägypten

El-Haddad, Amirah / Jannis Grimm
Die aktuelle Kolumne (2022)

Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne vom 14.03.2022

Die Bundesregierung hat ihre langjährige Ablehnung gegenüber Waffenlieferungen in Konfliktgebiete angesichts des Krieges in der Ukraine aufgegeben. In Anbetracht der existenziellen Bedrohung eines demokratischen Partners in Europa kündigte Bundeskanzler Scholz an, die ukrainische Armee mit Stinger-Raketen und Panzerabwehrwaffen zu beliefern. Diese historische Kehrtwende einer Politik, die ihre Wurzeln im Erbe des Zweiten Weltkriegs hat, wurde weithin als Akt der Solidarität gewertet. Sie nährt aber auch Sorgen, die Bundesregierung könnte im Zuge ihres Kurswechsels auch andere Beschränkungen für Waffenexporte aufgeben – etwa an Autokratien. Obschon die russische Invasion doch die Notwendigkeit unterstreicht, bisherige Rüstungspolitik stärker auf den Prüfstand zu stellen – gerade gegenüber Autokratien.

Ein Beispiel ist die Sicherheitskooperation mit Ägypten: Die USA und Deutschland haben kürzlich umfangreiche Waffengeschäfte mit dem Land abgeschlossen, die EU strebt mit dem Land eine Partnerschaft zur Terrorismusbekämpfung an. Diese Initiativen wurden vor dem Hintergrund der katastrophalen Menschenrechtsbilanz Ägyptens heftig von Befürworter*innen einer restriktiveren Rüstungsexportpolitik kritisiert. Jenseits der Frage nach der moralischen Vertretbarkeit der Geschäfte sind sie aber auch mit erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Kosten verbunden.

Erstens werfen große Waffengeschäfte Fragen zu den Entwicklungsprioritäten Ägyptens auf. Geld, das für Militärflugzeuge, Schiffe und Radarsysteme ausgegeben wird, steht nicht für die Armutsbekämpfung oder die Modernisierung baufälliger Schulen und Krankenhäuser zur Verfügung. Die Rüstungsgeschäfte im Wert von 7,5 Milliarden Dollar entsprechen fast drei Viertel des Bildungsbudgets des Landes oder 75 % der jährlichen Ausgaben für die Einfuhr von Grundnahrungsmitteln. Sie übersteigen das Gesamtbudget für die Gesundheitsversorgung in Zeiten einer Pandemie. Waffenimporten Vorrang vor inländischen Investitionen zu geben, bedroht die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit des Landes, den sozialen Zusammenhalt und letztlich die Stabilität Ägyptens.

Zudem nimmt der Abwertungsdruck auf die ägyptische Währung zu. Die Inlandsverschuldung des Staates besteht vor allem aus Schatzbriefen in ägyptischen Pfund, deren realer Wert und Zins in Folge der hohen Inflation bereits stark verfielen. Da in- und ausländische Investoren mit einem baldigen Anstieg der US-Zinsen rechnen und immer weniger rentable Investitionsmöglichkeiten sehen, verlassen sie das Land zunehmend auf der Suche nach sichereren Märkten. Die Kluft zwischen dem von Ägyptens Regierung verwalteten und dem auf freien Märkten angewandten Wechselkurs wird dadurch noch größer. Dies setzt das Leistungsbilanzdefizit weiter unter Druck, sodass eine baldige Abwertung des Pfundes unmittelbar bevorsteht. Versuche, hiergegen anzukämpfen, führen nur dazu, dass die ägyptischen Währungsreserven aufgebraucht werden und der Wert des Pfundes weiter sinkt. Die neuen Importe erhöhen zudem die Auslandsverschuldung des Landes. Und der Schuldendienst wird nach einer Abwertung des Pfundes erneut teurer, was die Fähigkeiten der Regierung weiter beeinträchtigt, den Bürger*innen wichtige Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und dringend benötigte Investitionen zur Entwicklung des Landes zu tätigen.

Darüber hinaus untergraben die Waffengeschäfte den westlichen Anspruch einer rechtsbasierten Außenpolitik sowie die Fähigkeit als vertrauenswürdiger Partner der Zivilgesellschaft aufzutreten. Derartige Bedenken werden in Brüssel oder Berlin oft mit Verweis auf realpolitische Notwendigkeiten beiseite gewischt. Die deutsche Exportpolitik gegenüber Ägypten folgt immer noch dem von Genscher geprägten Dogma „Was schwimmt, geht“. Demnach ist der Export von Rüstungsgütern rechtfertigbar, solange diese nicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. U-Boote und Schiffe machen daher den Großteil der deutschen Rüstungsexporte an Autokratien aus. Diese Sichtweise lässt jedoch außer Acht, dass Waffenlieferungen auch über die gelieferten Güter hinaus Folgen haben: Sie bekräftigen die Empfänger in ihrem Kurs und erweitern ihre innenpolitischen Handlungsspielräume. Genschers Grundsatz mag Diplomat*innen eine Rechtfertigung liefern. Menschenrechtsaktivist*innen werden sich indes kaum davon überzeugen lassen, dass die durch Waffengeschäfte geschaffenen Abhängigkeiten der Kritik an Menschenrechtsverletzungen zuträglich sind.

Dies gilt auch für die gemeinsame Bewerbung der EU und Ägyptens um den Vorsitz des Globalen Forums für Terrorismusbekämpfung. An dieser wird trotz der dokumentierten brutalen Repressionen in Ägypten unter dem Deckmantel des „Krieges gegen den Terror“ festgehalten. Die geplante Partnerschaft bei der Terrorismusbekämpfung lässt sich sogar noch schwerer nachvollziehen als die Waffendeals, da sie kaum durch wirtschaftliche Interessen erklärbar ist. Zudem erweist sie den Versuchen, auf multilateraler Ebene wirksame PVE/CVE-Politiken zu entwickeln, einen Bärendienst. Die Zusammenarbeit mit Behörden, deren juristische Definition von Terrorismus praktisch alle politischen Gegner*innen erfasst, politisiert die Prozesse zur Gefährdungseinschätzung der globalen Terrorismusbekämpfung. Sie legitimiert repressive Strukturen, welche Radikalisierung befördern. Und sie untergräbt rechtsstaatliche Prinzipien bei der Bekämpfung politischer Gewalt.

Ist es wirklich in Europas Interesse, Ägypten an die Spitze einer Plattform mit weitreichendem Einfluss auf die globale Sicherheitspolitik zu verhelfen? Will es Ägypten wirklich zu einer regionalen Militärmacht mit Hochseekapazitäten machen, anstatt Investitionen in seine Bevölkerung zu unterstützen? Abgesehen von den potenziellen Folgen einer massiven Aufrüstung in der Region – ein Risiko, das die Eskalation in der Ukraine deutlich macht – ist eine Sicherheitskooperation dieser Größenordnung mit erheblichen Reputationskosten verbunden. Im besten Fall wird sie als ignorant und von nationalen Wirtschaftsinteressen geleitet wahrgenommen – im schlimmsten Fall als offene Unterstützung autoritärer Strukturen.


Prof. Dr. Amirah El-Haddad ist Ökonomin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm „Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme“.

Dr. Jannis Grimm leitet die Nachwuchsgruppe "Radical Spaces" am Zentrum für Interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung (INTERACT) der Freien Universität Berlin.

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