Die aktuelle Kolumne
Von Wahlbetrug zur Revolution?
Die Protestbewegung in Mosambik im Fokus
Dworschak, Christoph / Salvador Forquilha / Karina MrossDie aktuelle Kolumne (2024)
Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 25.11.2024
Bonn, 25. November 2024. Seit fünf Wochen bringen landesweite Proteste das öffentliche und wirtschaftliche Leben in Mozambik zum Erliegen. Auslöser war die offizielle Bekanntgabe, dass die amtierende Partei FRELIMO (die das Land seit 1975 regiert) die Präsidentschafts- und Parlamentswahl vom 9. Oktober gewonnen habe – ein Ergebnis, das von der Opposition in Frage gestellt wird. Zwei Oppositionelle wurden seitdem ermordet. Die Polizei ist mit Tränengas und scharfer Munition gegen die Proteste vorgegangen, wodurch Berichten zufolge fast 50 Menschen ums Leben kamen. Vor Kurzem führte eine vergleichbare Protestbewegung in Bangladesch zum Sturz der Regierung. Könnte Ähnliches nun auch in Mosambik geschehen?
Zu den Protesten aufgerufen hatte der oppositionelle Präsidentschaftskandidat Venâncio Mondlane, der den Wahlsieg für sich beansprucht. Dies lässt sich zwar nicht eindeutig belegen, doch Wahlbeobachter*innen beanstanden in der Tat massiven Wahlbetrug. All dies geschieht im Umfeld einer elektoralen Autokratie, die den ohnehin begrenzten Spielraum der Opposition seit Jahren immer weiter einschränkt. Hinzu kommt wachsender Unmut angesichts der Unfähigkeit der Regierung, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Armut, Ungleichheit und Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jüngeren, nehmen stetig zu in einem Land, das ohnehin bereits zu den ärmsten der Welt gehört.
Diese Perspektivlosigkeit gilt auch als eine Ursache des seit 2017 anhaltenden islamistischen Aufstandes in der nördlichen Provinz Cabo Delgado. Dort hat es zwar in erheblichem Umfang internationale Investitionen in Projekte zum Rohstoffabbau gegeben, doch ohne den erwarteten Aufschwung oder Jobs für die Bevölkerung zu liefern. Die Lösung dieser Probleme bilden die Grundlage des politischen Programms von Mondlane, der vor allem unter jungen Wähler*innen große Beliebtheit erlangt hat. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen war der Wahlausgang ein weiteres Zeichen dafür, dass mit einer Wende zum Besseren nicht zu rechnen ist. Im Gegenteil: Die überwältigende Parlamentsmehrheit, die FRELIMO angeblich erlangt hat, erlaubt der Partei nun, eigenmächtig die Verfassung zu ändern und damit ihre Vormacht noch weiter auszubauen. Unter den Protestierenden herrscht daher eine Stimmung von „Jetzt oder nie“.
Die Proteste aus Sicht der Forschung
Die Protestbewegung hat ein für Mosambik beispielloses Momentum erlangt. Ein solches Momentum stellt eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg von Widerstandsbewegungen dar. Überhaupt erfüllen die aktuellen Entwicklungen zahlreiche Kriterien, die Forschende mit erfolgreichen Bewegungen in Zusammenhang bringen: Einerseits erhebt Mondlane öffentlich „maximalistische“ Forderungen bis hin zum Sturz der amtierenden Regierung, gleichzeitig hat er aber ein wiederholtes Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit abgegeben, was dazu beitragen könnte, Stützpfeiler des Regimes zu untergraben. Die Polizei setzt derweil auf eine Strategie der unverhohlenen Repression. Sie bezeichnet Protestierende als „urbane Terroristen“ und wendet schwere Gewalt an, um die Teilnahme an den Protesten zu verhindern. Sollte die Bewegung ihr Momentum jedoch aufrechterhalten können, wird FRELIMO entweder in einen Dialog treten oder den Einsatz des Militärs ausweiten müssen. An diesem Punkt kann ein Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit den Protestierenden helfen, Armeeangehörige – vor allem Wehrdienstleistende – auf ihre Seite zu ziehen. Weniger wahrscheinlich sind Übertritte aus den Reihen der Armeeführung, da das Militär eng mit der Politik verbunden ist. Alles dürfte also von den Entscheidungen der Soldat*innen abhängen, die den Protestierenden auf der Straße gegenüberstehen.
In der gegenwärtigen Phase stellt sich daher vor allem die Frage, ob die Opposition in der Lage sein wird, genügend Druck aufzubauen, um die Regierung zum Handeln zu zwingen - oder ob das Momentum erlischt und die Protestbewegung sich langsam auflöst. Dazu ist es unter anderem wichtig, dass unterschiedlichezivilgesellschaftliche Organisationen zusammenwirken. Daher ist es vielversprechend, dass – neben der augenscheinlichen Solidarität zwischen den größten Oppositionsparteien – inzwischen auch andere Gruppen dazu aufrufen, den politischen Raum zu öffnen. Das Regime nutzt indes verschiedene Mittel, um die Koordination und Mobilisierung der Protestbewegung zu behindern. Darunter sind auch weniger offensichtliche Formen der Repression wie Verhaftungen und gezielte Internetabschaltungen. Sollte es die Regierung mit diesen Maßnahmen schaffen, Mosambikaner*innen von der Straße fernzuhalten, könnte dies dazu führen, dass die Proteste in sich zusammenbrechen.
Die Opposition hat unterdessen keine systematischen Anstrengungen unternommen, internationale Aufmerksamkeit für Ihre Bewegung zu gewinnen, und das Interesse der internationalen Gemeinschaft an den Geschehnissen ist bemerkenswert gering. Dies fügt sich in altbekannte Muster ein: Wahlfälschungen und Menschenrechtsverletzungen in Mosambik, einem von Gewaltkonflikten betroffenen Land, das zudem reich an fossilen Bodenschätzen ist, wurden in der Vergangenheit immer wieder ignoriert. Doch wer um der Stabilität willen über Verstöße gegen Demokratie und Menschenrechte hinwegsieht, riskiert das genaue Gegenteil zu erreichen. Wenn die inländische Bestrebung nach politischer Veränderungen ausreichend Kraft entfaltet, kann internationale Unterstützung – diplomatischen Druck eingeschlossen – einen entscheidenden Beitrag leisten und womöglich eine weitere Eskalation der Gewalt verhindern.
Christoph Dworschak ist Juniorprofessor an der University of York und Leiter für Quantitative Methoden im Beyond Compliance Project. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Protest- und Konfliktforschung, mit einem besonderen Fokus auf Dynamiken von Widerstandsbewegungen, zivil-militärische Beziehungen und UN Friedensmissionen.
Salvador Forquilha ist Gastwissenschaftler am IDOS und Senior Researcher am Institute for Social and Economic Studies (IESE - Maputo). Seine Forschung konzentriert sich auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Statebuilding Dynamiken in Mosambik.
Karina Mross ist Senior Researcher bei IDOS. Ihre Forschung – unter anderem zu Mozambik - konzentriert sich darauf, wie sich politische Institutionen auf Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt in von Konflikt betroffenen Kontexten auswirken, insbesondere nach Bürgerkriegen.